- SIXTY-FOUR -

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,,Das da drinnen tut mir leid.", entschuldigte ich mich, als wir die Grundstücksgrenze passiert hatten. ,,Mein Vater ist wohl einfach durch den Wind."

Wir steuerten den nahen Park an. Im Gegensatz zu Jay, Lewis und Henry, stützte Harry mich immer noch und hielt meinen Arm fest. Es war wahnsinnig umständlich so zu laufen, aber ich machte mir nur Gedanken darüber, ob es mir gefiel, was er da tat, oder nicht.

,,Verständlich.", murmelte er nun.

,,Harry...", tadelnd blickte Lewis ihn an.

Harry versteifte sich. ,,Was?" Seine Hand fiel von meinem Arm. Ein klagender Laut entwich meinen Lippen. ,,Er hatt doch recht!" Dann drehte er sich zu mir. ,,Ich hätte dich umbringen können."

Die Art wie er mich anstarrte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Auf einmal wirkte er so jung und ängstlich. Während ich gebannt zurück sah und den Blick nicht abwenden wollte, hatte ich das dringende Bedürfnis, ihn in meinen Armen zu wiegen und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde und dass ich noch am leben war.

Erschrocken über meine eigenen Gedanken, blinzelte ich mehrere Male, aber Harry war schon längst mit gesenktem Kopf weiter gegangen.

Langsam gingen wir ihm hinterher. Natürlich konnte ich seinem Tempo nicht mithalten.

,,Was ist denn nur los mit ihm?", fragte ich, eher zu mir selbst.

,,Keine Ahnung, der benimmt sich total merkwürdig." Jay schüttelte den Kopf. ,,Wir haben ihn eben irgendwo bei deiner Straße aufgegabelt. Es schien, als würde er einfach ohne Grund und Ziel durch die Gegend laufen."

***

Später, als Lewis und Jay schon gegangen warum, brachten mich Henry und Harry nach Hause. Ich wusste, das Harry eigentlich auch schon weg wollte, aber Henry hatte leise auf ihn eingeredet, unbewusst dessen, dass ich jedes Wort verstand.

Gerade kramte ich meine Schlüssel aus der Hosentasche und lehnte mich dabei gegen die Haustür. Als ich aufblickte, bemerkte ich, dass Harry nicht schon auf dem Gehweg stand, wie Henry. Er stand ein paar Meter von mir entfernt, gegen eine unserer Laternen gelehnt und hielt sein Handy in der Hand.

,,Ich brauche noch deine Nummer.", sagte er so nebenbei, als würde er übers Wetter reden, während er auf dem Display rum tippte.

,,Wie bitte?", überrascht ließ ich fast meine Schlüssel fallen. Ungeschickt fuchtelte ich mit ihnen herum. Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden.

,,Ich brauche deine Handynummer. Du weißt schon, um dich nach deinem Zustand zu fragen und so."

Stotternd sagte ich sie ihm. Dann nickte er mir zu und ging mit langen Schritten hinter Henry her.

Ich drehte mich um und schloss mit zittrigen Fingern die Tür auf.

Was ging bloß in seinem Kopf vor? Erst wollte er unbedingt von mir weg, redete kaum ein Wort und im nächsten Moment verlangte er nach meiner Nummer.

Und was um Himmels Willen ging in meinem Kopf vor, dass ich sie ihm einfach gab?

Als ich die Haustür hinter mir schloss, ließ ich Luft durch meine Lippen entweichen. Mein Vater wartete schon im Hausflur auf mich.

,,Ich will, dass du dich von diesem Kerl fern hältst."

,,Ich bitte dich." Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Dann kletterte ich die Treppe hoch und verschwand in meinem Zimmer.

Wie sollte ich mich von ihm fern halten, wenn ich ihn nichtmal aus meinen Gedanken verbannen konnte?

***

Lost In Forest || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt