Epilogue
{irgendwann, irgendwo}
Die Sonne war am untergehen.
Der erste warme Abend dieses Jahres hatte mich nach draußen gelockt. Neben mir dieser unglaublich dämliche junge Mann, der es trotzdem irgendwie geschafft hatte, sich mein Herz unter den Nagel zu reißen. Er starrte fasziniert auf den roten Feuerball am Horizont, der die Baumkoronen des weit entfernten Waldes anzustecken schien.
Ich bewunderte ihn mit Ehrfurcht. Harry war wunderschön. Wenn ich ihn zu lange beobachtete, stiegen mir jedes Mal die Tränen in die Augen. Manchmal hatte ich Angst, er würde verschwinden, sich einfach in Luft auflösen, wenn ich mal nicht hinsah. Er war ein Kunstwerk. Und ich hatte das Privileg an seiner Seite zu sein.
Ewigkeiten waren vergangen, seit dem Tag, an dem wir uns im Bus zum ersten Mal gesehen hatten. Manchmal fühlte es sich an, als wäre das in einem komplett anderen Universum geschehen. Wie wir uns verändert hatten. Wie ich mich verändert hatte. Der Zusammenprall mit Harry hatte meine gesamte Lebenseinstellung auf den Kopf gestellt. Er hatte sämtliche Teile meines Lebens durcheinander gebracht, erst hatte ich das für etwas Schlechtes gehalten, aber dann ist mir aufgefallen, dass manchmal alles erst im Chaos enden muss, damit die Dinge neu geordnet werden können.
Und dort im Wald hatte wohl irgendwer für mich entschieden, dass ich, so wie ich war, nicht mehr sein sollte. Dass ich mich verlieren sollte. Und das habe ich getan. All das verstehe ich erst heute. Ich habe damals Teile von mir im Wald gelassen. Ich habe in einer einzigen Woche so viel gelernt. So viel über Freundschaft und Verrat, über Liebe und Hass und Wut, über Vertrauen und darüber, dass irgendwie nichts so ist, wie es scheint, dass es im Nachhinein unmöglich war, ein Leben zu führen, wie das, vor dem Camp. Meine Eltern haben mich dahin geschickt, damit sich mein Verhalten bessert, natürlich obwohl mein Verhalten bis auf das eine mal ausgezeichnet war. Aber irgendwie hat die Zeit dort, die Nerven in meinem Kopf so gebogen, dass ich endlich begonnen habe zu sehen.
Und ich habe Harry gesehen. Mit seinem irgendwie abgefuckten Leben. Mit seinem Hass, den er ausgerechnet auf mich richten musste. Mit seinem Egoismus. Mit all den Dingen, mit denen er mich Tage für Tag zur Weißglut gebracht hatte. Aber schließlich konnte ich auch irgendwann den kleinen Jungen sehen, der das Leben eigentlich nur genießen wollte. Der eigentlich nur lachen wollte und der sich von seinen Problemen abwenden wollte, der Junge, der seine Mutter so sehr vermisste, dass er manchmal nicht schlafen konnte und der Junge, der anfing zu weinen, weil er langsam ihre Stimme vergaß, der Junge, der sich aufopfern würde, für die Dinge die ihm etwas bedeuteten, der Junge, der so verzweifelt nach einem positiven Gefühl gesucht hatte, dass er keine Hemmungen mehr verspürte, sich die guten Momente bei unzähligen Mädchen zu besorgen. Der Junge, dessen Lachen die Sonne aufgehen ließ und die Blumen zum Blühen brachte. Und es gab für mich keine schönere Lebensaufgabe, als diesen Jungen zum Strahlen zu bringen.
Es war unausweichlich. Ich liebte ihn. Von seinen Zehnspitzen, bis nach oben, hin zu seinen Locken. Ich liebte ihn mit allem was ich war. Und es war manchmal grausam. Es war manchmal einschüchternd. Es war beängstigend. Und es war eine Liebe, dich ich, für den Fall, dass er mich jemals verließ, mit dem Leben bezahlen würde. Aber ich wollte ihn, ich brauchte ihn und Liebe ist nun mal einfach so, wie sie ist.
Und ich wusste, dass ich nicht die einzige war. Harry hatte mir erzählt, dass auch er Angst hatte. Dass er noch nie so etwas gefühlt hatte und dass er sich sorgte, es würde ihm irgendwann die Substanz nehmen.
Aber der Augenblick zählte. Und im Augenblick kämpfte keiner von uns beiden mehr allein. Nein, im Augenblick waren wir unbesiegbar. Wir waren eins.
Harry nahm meine Hand und lächelte leicht. Zusammen beobachteten wir, wie der Tag ein Ende nahm, wie die Sonne dem Mond wich. Wie etwas Gutes zu Ende ging, damit etwas Besseres beginnen konnte.
~ T H E E N D ~
DU LIEST GERADE
Lost In Forest || H.S.
Fanfiction❝Hinter dem Vorhang aus Zorn, versuchte ich mein niedergeschmettertes Selbst zu verstecken❞ © txmmxsbae