1. - Morgens

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Müdigkeit. Müdigkeit und Kopfschmerzen. Oder Kopfschmerzen und Müdigkeit? Er wusste nicht, was schlimmer war. War sich unsicher bezüglich der Reihenfolge. Flau im Magen war ihm auch noch.

Der brünette Mann öffnete langsam die Augen. Eine weiße, eher weniger gut gestrichene Zimmerdecke sah ihm entgegen. Man erkannte genau, wo beim letzten Nachstreichen ein wenig unsauber gearbeitet worden war. Nicht schön. Selbst die neuste Farbschicht war schon ein paar Jahre alt. Sie hatte einen deutlichen Graustich.

Nicky schloss die Augen wieder. Wartete, bis die Kopfschmerzen ein wenig nachließen und die Lichter nicht mehr ganz so grell waren.

Er drehte den Kopf zur Seite und öffnete wieder die Augen. Ein Poster vom FC Liverpool. Von vor acht Jahren. Oder waren es neun? Der "You never Walk alone"-Schal hatte ein bisschen Staub angesetzt. Aber er hing akkurat über dem Mannschaftsfoto seines Clubs. Das war ihm sehr wichtig gewesen, als er ihn angebracht hatte... Vor fast zehn Jahren.

Nicky schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Schwindel konnte auch Spaß machen. Hatte schließlich was von einer Achterbahn.

Das Bett knatschte leicht, als er sich erhob. Der Liverpool-Wecker zeigte an, dass es bereits kurz vor elf war. Egal.

Bei der Treppe, auf deren Geländer er früher immer herunter gerutscht war, hielt er kurz inne. Ging langsam und hielt sich fest. Schwindel und Treppe waren in Kombination nie gut.

Unten angekommen kam ihm direkt seine Mutter entgegen.
"Nicholas. Guten Morgen. Wie geht's dir heute, mein Schatz?", Fragte sie und er war dankbar, dass sie nicht versuchte ihn abzuknutschen. Er wollte nachsichtig mit ihr sein. Sie hatte immerhin gedacht, er würde sterben. Oder dass er nie mehr würde ganz zurück kommen. Es lag wohl in der Natur der Sache, dass sie ihn nun mit all der Liebe überschütten wollte, die sie dachte, ihm nicht mehr zeigen zu können. Dummerweise würde Nicky nur am liebsten einfach weitermachen. Nicht mehr dran denken und sein Leben fortführen.

"Mir geht's gut. War Berta schon draußen?", Fragte er.
"Nein. Magst du das übernehmen?", Fragte sie, als würde sie ihm ein Schwert zum Kampf gegen einen Drachen anvertrauen und nicht die Leine eines zehnjährigen Hundes mit Arthrose.

"Ja. Mache ich."
"Magst du erstmal was frühstücken?"
"Nein. Danke.", Murmelte Nicky, zog sich seine Schuhe an und griff sich ein Brötchen aus dem Korb auf dem Esstisch.

"Komm Berta!", Rief er ins Haus und die alte Labrador-Hündin kam tatsächlich nur einen Augenblick später angehechelt. Fröhlich schlug sie mit der Rute hin und her und leckte ihm die Hände ab, als er ihr das Halsband umlegen wollte. Das war etwas hinderlich, aber sie machte das schon, seit sie ein Welpe gewesen war und irgendwie konnte man ihr sowieso nichts mehr so wirklich übel nehmen.

"Schatz, möchtest du nicht doch erst einen Tee?", Fragte seine Mutter zweifelnd, als er sich beim Aufrichten kurz an der Wand abstützen musste.

"Geht schon. Bis gleich.", Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, öffnete die Tür und ging mit Berta die Stufen hinunter. Nur drei Stück. Das ging ohne festhalten. Er wusste dass seine Mutter in der Küche stand und aus dem Fenster sah. Dass sie nur darauf wartete, den Krankenwagen zu rufen.

Er drehte sich nicht um. Ging einfach weiter in Richtung Park. Eine kurze Runde. Die Lange schafften er und Berta aktuell beide nicht so gut.

Er hatte das Gefühl, dass er etwas holperiger ging als vorher. Aber sonst dürfte man es ihm nicht anmerken, wenn man ihn nicht kannte.

Er kam bei der Hundewiese an und leinte Berta ab. Die ignorierte die anderen Hunde und suchte sich vermutlich einen Stock zum essen.

Die frische Luft half gegen die Kopfschmerzen. Aber der Schwindel blieb. Sicherheitshalber setzte er sich auf eine Bank. Es wäre ihm fürchterlich peinlich, wenn er umkippen würde.

Ein Mädchen lächelte ihn an und grüßte mit "Hi.", als würden sie sich kennen. Sie hatte einen Dalmatiner dabei. Ob sie ihn wohl kannte? Da sie weiterging, vermutete Nicky, dass sie sich wenn dann nur so kannten, wie man andere Hundehalter eben so kannte. Man unterhielt sich über Hundekotze im Haus, während sie die Lieblinge gegenseitig am Arsch beschnupperten.

Eine Weile blieb er noch sitzen, bevor er Berta rief und sie wieder anleinte. Er hatte schon wieder das Gefühl, als ob ihn jemand beobachten würde. Vielleicht war seine Mutter ihm gefolgt? Nein, das war unwahrscheinlich. Wenn er verfolgt wurde, dann war es ganz wahrscheinlich er.

Unwillkürlich begannen Nickys Hände zu zittern. Er hatte einen Stalker. Oder so etwas in der Art?

"Komm Berta. Wir gehen nach Hause. Mum wartet bestimmt schon mit dem Mittagessen.", Erklärte er seinem Hund laut. Sollte er das ruhig hören. Dann wüsste er auch gleich, dass Nicky nicht allein wäre.

Schnell ging er los. Die Kopfschmerzen wurden wieder doller. Wieso war er hier? Nicky hatte doch gesagt, dass er seine Ruhe haben wolle.

Immer schneller eilte er den Weg vom Park nach Hause entlang. Er achtete nicht mehr darauf, wer ihm entgegen kam. Er wollte nur noch Heim und war heilfroh, als er angekommen war.

Bis er hörte, dass sich seine Mutter im Garten mit jemandem unterhielt. Und dann war da seine Stimme. Wie konnte ihm nur seine eigene Mutter so in den Rücken fallen? Und... Wenn er hier war, hatte er nicht gleichzeitig im Park sein können. Vielleicht drehte Nicky langsam aber sicher auch einfach durch.

Leise schlich er sich um eine Büsche herum und duckte sich, um zu hören, was da gesprochen wurde.

"Ich kann es nicht, Mary. Ich kann das nicht!", Jammerte er.
"Aber du machst Nicholas Angst. Er... Er möchte nicht mehr mit dir zusammen sein. So schlimm das auch ist... Ich weiß... Wäre der Unfall nicht gewesen... Aber .. es ist so, wie es eben ist..."
"Ich kann ihn nicht vergessen. Kann uns nicht vergessen. Vier Jahre. Vier Jahre meines Lebens gehören ihm. Wie könnte ich da einfach weiter machen?"
"Ich weiß es doch, Christian. Ich weiß. Aber..  er hat eben genau die vier Jahre vergessen."

Remember me - wird fortgesetzt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt