4. - Ben

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Nicky hatte keine Ahnung, was die nach seinem Abgang noch so redeten. Es war ihm aber auch egal. Er ging duschen und setzte sich danach an den PC. Vielleicht wäre Ben da. Ben war sein bester Kumpel. Immer schon gewesen und das hatte sich auch in diesen vier, für ihn nicht existenten Lebensjahren nicht geändert.
Der Schock war groß gewesen, als er von Bens Kind erfahren hatte. Mit 19 bei Bens erstem Mal gezeugt. Er hatte die Mutter des Kindes noch während der Schwangerschaft geheiratet. Ob die beiden glücklich miteinander waren? Schwer zu sagen. Ohne den kleinen Henry wären sie wohl nicht zusammen gekommen. Aber es klappte irgendwie. Ben war durch seinen Sohn auf eine ganz andere Weise erwachsen geworden. Nicky hatte die ersten Male immer lachen müssen, wenn sein Kumpel mit seinem Kind sprach. Für ihn selbst hatten sie gestern noch Furzwettbewerbe gemacht und hatten sich mit verbundenen Augen gegenseitig mit allem möglichen vermöbelt. All so einen Mist. Ben der Draufgänger und Nicky der Ruhigere. Und nun? Und nun erzog der Draufgänger selbst ein Kind.
Wobei Nicky davor wirklich Respekt hatte. Ben hatte Freya nie allein gelassen. War sofort an ihre Seite getreten und hatte diese nie verlassen. Darauf angesprochen hatte Ben erzählt, dass er da mit Nicky so oft drüber gesprochen hätte und Ben sich immer bei ihm ausgeheult hätte. Dass er ganz andere Pläne gehabt hätte aber inzwischen sehr glücklich sei, dass es Henry gab und das dessen Mutter ganz genau Freya war. Mit einer anderen Frau hätte das laut Ben niemals geklappt. Auf eine gewisse Weise war es wohl Liebe, dachte sich Nicky.

Er selbst hatte sich geschämt. Er hatte Ben beigestanden und wusste es nicht mehr. Wie hatte er die bestimmt sehr tief gehenden Gespräche nur vergessen können? Noch dazu fühlte er sich selbst wie der letzte Looser. Ben hatte in seine Rolle gefunden. Und er selbst? War über Nacht ein komischer Mensch Anfang zwanzig geworden und hatte ansonsten einfach alles vergessen. Er hatte nichts, worauf er stolz sein konnte. Ein Studium, mit Inhalten von denen er nun keine Ahnung mehr hatte. Und ehrlich gesagt interessierte ihn der Krams auch nicht. Ein Blick in die Unterlagen hatte ihn sich nur schlecht fühlen lassen.

"Hey! Na, was geht ab?", Fragte Ben, sobald Nicky sich in ihr Onlinegame eingeloggt hatte.
"Ach nichts. Der Mann ist wieder hier.", Erklärte Nicky und wechselte die Ausrüstung seines Avatars.

"Nenn ihn nicht immer so...", Brummte Ben.
"Ey, der rasiert sich nicht. Wäre der Bart weiß, würde der aussehen wie son trainierter Weihnachtsmann.", Kicherte Nicky.
"Gehen wir durch den Wald, dann auf die Tiefebene und dann direkt ins Dämonenschloss?", Fragte Ben.
"Klar. Direkt durch. Ich gehe vor und du gibst mir von hinten Deckung?"
"Geht klar. Hast du ein Höllenschwert? Ich hab nur eine Dämonensense."
"Waaas? Dann lass uns erst noch ein bisschen in die Ruinen von Pinenga gehen. Dann kannst du erst Geld sammeln und ein neues Höllenschwert kaufen."
"Geht klar."

+++

Nach gut einer Stunde loggte Nicky sich bei dem Game aus. Ben musste jetzt Henry vom Kindergarten abholen. Und Nicky? Der konnte sich nicht mehr konzentrieren.

Also ging er leise runter und in die Küche. Er hatte heute morgen die Tabletten vergessen. Mist. Das passierte ihm ständig.

Schnell nahm er sie, genau wissend, dass die nächste Stunde fürchterlich werden s
würde. Oh. In der einen Packung waren nur noch vier Stück drin. Stimmt. Seine Mutter hatte ihm gestern noch gesagt, er solle beim Arzt anrufen. Oder war das schon letzte Woche gewesen? Er sollte immer, wenn er den letzten Blister anfing für Nachschub sorgen. Naja. Würde er machen. Später. Er hasste Telefonate. E-Mails waren sein Ding. Wenn er da denn gerade Lust drauf hatte.

Er sah bewusst nicht hin, ob seine Mutter und der Mann immer noch zusammen saßen. Schnell verzog er sich wieder nach oben und schmiss sich in das protestierend knatschende Bett.

Zwischendurch hatte er Mal überlegt durchzubrennen. Auf Weltreise zu gehen oder sowas. Gut, ein wenig Kleingeld wäre da nicht schlecht. Aber einfach, um all dieser Situation hier zu entkommen. Sich nicht so schrecklich hilflos zu fühlen. Und immer in die besorgten Gesichter sehen zu müssen, genau wissend, dass sie den Nicky vermissten, der er offenbar gewesen war, bevor der Unfall passierte. Dabei wusste er genau, dass dieser Nicky aufgehört hatte zu existieren. Er war ja nun hier.
Wo ihn niemand kannte, würde niemand wissen, dass "etwas mit ihm nicht stimmte". Aber seine Mutter würde vermutlich nie wieder schlafen vor Sorge. Und dann waren da noch so Sachen, wie die Tabletten und so etwas. Nicky konnte sich nicht selbst organisieren, wie seine Mutter das immer so schön gesagt hatte. Am Besten war es, wenn jemand anderes so etwas machte. Oder zumindestens ein Auge auf ihn hatte. Selbst wenn er wusste, dass etwas wichtig für ihn war, hieß das noch lange nicht, dass er sich darum kümmerte. Nicht, weil er sich selbst egal war oder so. Das war es nicht. Er wollte sich nur eben später drum kümmern... Und vergaß es dann halt...

Seine Mutter hatte darüber früher immer gemeckert. Das wusste Nicky noch genau. Und in den vier, in seinem Kopf, nicht existenten Jahren? Laut Ben hatte sich der Mann immer um Nicky gekümmert. Der hatte für ihn Termine gemacht, hatte sich für ihn um Fristeinhaktungen gekümmert, wichtige Mails geschrieben, sich mit Energieversorgern auseinandergesetztund all so ein Krams. Nicky hatte gefragt, ob das nicht vielleicht keine romantische Beziehung gewesen war, sondern mehr... Keine Ahnung... Etwas anderes eben.

Ben hatte ihn traurig angesehen und gesagt: "Doch, Nick. Da bin ich mir sicher. Glaub mir: Jeder ist das. Da wird dir niemals jemand etwas anderes sagen können."

Da hatte Nicky dann lieber nicht mehr weiter gefragt.

Remember me - wird fortgesetzt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt