18. - Date (Teil 3)

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Nicky war stolz auf sich. Er hatte tatsächlich ein paar Dosen abgeräumt und der Mann, der sich todesmutig sehr nah neben die Dosen gesetzt hatte, konnte nach wie vor aufrecht gehen und erfreute sich bester Gesundheit.
Natürlich hatte er nun kein riesengroßes Plüschhäschen in den Händen. Zunächst einmal war er dann nun doch nicht sooo gut im Dosenwerfen und zum anderen hatte er ja auch gar nicht so viele Versuche gekauft. Außerdem: Wo sollte man denn mit so einem Riesenvieh hin?

Nicky hatte einen kleinen Schlüsselanhänger in der Hand, der aussah wie eine empörte Banane. Immerhin. Offenbar wirklich das erste Mal Dosenwerfen und es war größer als eine Billig-Plastikblume. Also war er ganz zufrieden.

Christian probierte sich natürlich an der Schießbude aus und gewann ein kleines Kuscheltier. Einen Hasen, den er natürlich Nicky in die Hand drückte.

"Das gehört sich so.", Erklärte er, noch bevor Nicky widersprechen konnte.
"Du kannst das echt gut.", Merkte Nicky schüchtern an.
"Ich stelle mir einfach die Köpfe meiner Schüler vor. Dann geht's.", Witzelte Christian und dann gingen sie weiter.

Irgendwann hingen sie vollgefressen auf einer Bank im angrenzenden Park.
"Ich glaube, ich kann nie wieder etwas essen...", Seufzte Nicky schwer.
"Sauren Drop?", Fragte Christian und hielt ihm eine Süßigkeitentüte hin.

Tief durchatmend steckte sich Nicky also noch einen Drop in den Mund, denn für Desserts und Süßigkeiten gab es ja irgendwie einen Extra-Magen.

"Hast du eigentlich keine Angst, dass Schüler hierher kommen und dich sehen?"
"Nein. Zum einen sind wir in einem ganz anderen Stadtteil als die Schule. Dort direkt würde ich meine Freizeit eher nicht verbringen wollen. Aber hier geht das. Selbst wenn, ich würde nett grüßen und fertig."

Nicky sah hinauf in die alten Bäume, deren Blätterkronen einen angenehmen Schatten boten. Der leichte Wind fuhr durch sie hindurch. Das Licht spiegelte sich darin und er konnte verstehen, wie Menschen in Geschichten Feen und all sowas erfanden. Es sah wunderschön aus. Er spürte die Wärme, die von Christian neben ihm ausging. Leicht blickte er zur Seite. Sah in das entspannte Gesicht. Christian war hübsch. Nicht so glatt wie ein Model oder so. Sondern eher... Er hatte Charme.

"Erzähl mir was über mich.", Bat Nicky dann.
"Wirklich?", Fragte Christian skeptisch mit gerunzelter Stirn.
"Ja. Ich hab jetzt so viel gefragt und... Ich komme nicht drum herum, was in den letzten vier Jahren gewesen ist..."
"Was genau möchtest du wissen?"
"Irgendwas. Woran hast du am meisten gedacht, während ich im Krankenhaus war und ... Nicht wach gewesen bin?"
"Hm... Nicht an irgendwelchen großen Momente. Ich hab eigentlich immer nur darüber nachgedacht, wie es war, wenn ich Mal nachts wach war und du neben mir gelegen hast. Oder wie wir zusammen gefrühstückt haben. Banalitäten würde man wohl sagen."
"Oh..."
"Es... Keine Ahnung. Wir haben viel miteinander erlebt... Aber in diesen kleinen Alltagssituationen... Da habe ich am Meisten gemerkt, wie du fehlst. Natürlich denkt man auch darüber nach, was man gern alles noch gesagt hätte, was wir alles noch vorgehabt haben... Es sah ja erst so aus... Als würdest du nie wieder aufwachen... Also, ja natürlich: Ich musste immer daran denken, was du mir immer erzählt hast, was du gern Mal machen würdest. Was ich dir gern viel viel öfter gesagt hätte... Ich.. habe mir aber eher viele Gedanken darüber gemacht, wo du da warst. Ob es dunkel war, ob du Angst hattest... Ob dir kalt war..  ich hatte Angst, dass du vor dem Zustand Angst hattest, in dem du gefangen warst. Als es hieß, dass du aufwachst. Ich war... Scheiße, ich glaube, das war der beste Tag meines Lebens."
"Und der Schlimmste... Ich hab dich rausgeschmissen."
"Ich dachte ja erst, dass das... Vorübergehend wäre... Aber ja.. das war schlimm... Man... Wartet die ganze Zeit auf einen Menschen und dann... Dann wird der wach und es ist ein anderer. Es war..  als wären wir alle nur Avatare, die man wechseln kann..."
"Im Nachhinein tut mir das leid... Aber in dem Moment. Ich hatte Angst vor dir."
"Natürlich... Für mich ist meine große Liebe im Bett aufgewacht und für dich saß ein Fremder an deinem Bett...", Murmelte Christian bitter.

Nicky knetete seine Finger. Unbequeme Punkte im Leben waren eben nicht dafür gemacht bei einem ersten Date auf den Tisch zu kommen. Und doch... Bei ihnen lagen die Dinge eben irgendwie anders. Beidseitig einseitig, würde Nicky das Mal beschreiben. So wie er eben absolut keine Ahnung von so vielem zwischen ihnen hatte, hatte Christian alles, aber sie konnten den jeweils anderen nicht wirklich teilhaben lassen. Wenn Christian erzählte, war das für Nicky, als würde er ihm eine Geschichte erzählen. Vielleicht den Inhalt eines Buches wiedergeben, was er beim Lesen sehr gemocht hatte. Ein Buch, welches ihn persönlich sehr berührt hatte. Aber für Nicky hatte das nichts mit ihrer beiden Leben zu tun.

"Weißt du... Es war ein Fehler dich zu bedrängen. Ich weiß das... Aber ich konnte mich nicht davon abhalten."
"Ist okay. Wir... Alle machen Fehler. Wie leben schließlich zum ersten Mal.", WInkte Nicky ab und Christian nickte lächelnd.

Eine Weile saßen sie da und schwiegen.

"Fahren wir noch zu dir und spielen Mario Kart?", Fragte Nicky dann und fühlte sich sehr sehr mutig, dass echt gefragt zu haben.

"Klar doch.", Grinste Christian breit und so machten sie sich auf den Weg.
Nicky wusste nicht, was er da so alles verloren hatte, aber er bekam langsam ein Gefühl dafür, dass es etwas verdammt Großes gewesen sein musste. Etwas, was man nicht überall fand. Er beschloss, während sie langsam zum Auto schlenderten, dass er die Nummern, die ihn längst schon wieder angeschrieben hatten, dieses Mal nicht ignorieren würde. Er würde zurückschreiben und er würde ihnen zu hören, bei was auch immer sie ihm zu sagen hätten. Und vielleicht war er eben dann doch kein soo schlechter Ersatz für das Ich von ihm, welches durch einen Unfall offenbar aufgehört hatte zu existieren.

Allein der Gedanke fiel ihm schwer. Es würde bedeuten, in das Leben einzutauchen, welches nicht seins war, aber irgendwie auch doch. Und dieses Date hatte ihm ja gerade erst gezeigt, wie komisch das war, wenn Leute einen kannten, die man selbst aber nicht kannte. Alles war etwas holprig und theoretisch könnten die ihm alle allen möglichen Scheiß erzählen. Aber... Vielleicht wäre es das trotzdem wert...

Remember me - wird fortgesetzt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt