21. - Freunde?

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"Haha.", heulte Julian und musste doch belustigt Schnauben, während er Nicky einfach noch etwas fester drückte.

Der hatte das Gefühl, er könne den ganzen Druck und die ganze Anspannung in dem Anderen förmlich spüren.

"Du bist doof.", maulte Julian dann und zog geräuschvoll die Nase hoch.
"Nein. Nicky.", schluchzte der nun auch los.
Na toll. Da saßen sie. Zwei Jungs Anfang 20 morgens im Park und heulten. Die wenigen Leute, die vorbei gingen, sahen sie an, wie Enten, die das Alphabet aufsagten und dabei Smokings trugen.

Nicky wusste nicht, wie die Freundschaft zwischen ihnen gewesen war oder was sie für Geheimnisse geteilt hatten. Er wusste nichts mehr. Aber er vermisste es, einen Freund wie Julian zu haben. Klar, er hatte Ben, aber er hatte ja schon mitbekommen, dass es Bereiche in seinem Leben gegeben hatte, von denen er Ben nichts erzählt hatte. Und wenn Julian die kannte..  dann vermisste Nicky genau einen solchen Freund. Trauriger als den Verlust seiner eigenen Geheimnisse, machte ihn das Nichtwissen der Geheimnisse der anderen. Leute, die ihm etwas anvertraut hatten. Die über etwas Bestimmtes mit ihm hatten reden wollen. Vielleicht nur mit ihm. Die sich vielleicht zu bestimmten Themen durchringen gemusst hatten und die sich überwunden hatten, ihm etwas zu sagen. Und er hatte einfach alles vergessen. Es tat ihm leid. In diesem Moment fühlte er eigentlich nichts anderes.

"Es ist so... Surreal.. dass du nichts mehr weißt..."
"Glaub mir, es ist surreal, dass alle mehr von mir wissen, als ich selbst. Dass sie mir Dinge erzählen können von mir, die theoretisch genau so gut gelogen sein können, wie dass sie wahr sind. Man könnte mir den größten Scheiß über mich erzählen und ich würde es einfach nicht merken."
"Na dann frag mich, ob's stimmt. Ich weiß alles. Dafür sind Freunde doch da... Wir sind doch noch Freunde, oder?", fragte Julian und löste sich von Nicky.

Sie sahen sich gegenseitig ins Gesicht. Beide liefen ihnen Rotz und Tränen.

Nicky sah sich sein Gegenüber genau an. Das Gesicht war sympathisch. Also mal abgesehen von den Flüssigkeiten, die da gerade herunter liefen. Dieser Mann sah aus, als könnte man mit ihm wirklich sehr viel Spaß haben. Aber das war gar nicht so relevant. Dieser erwachsene Mann (in Nickys Kopf fühlte er sich noch immer 18 und der Typ da war eben vier Jahre älter) war an einem ganz normalen Morgen während der Woche sofort losgeeilt um ihn hier zu treffen. Nicky wusste nicht, wo der wohnte aber zehn Minuten für ein Treffen waren nicht viel. Der Typ trug sogar noch seine Schlappen.  Vermutlich war er sofort losgehechtet, weil Nicky ihn hatte treffen wollen. Und das hatte er nicht Mal besonders freundlich kund getan. Und dann war der Typ so erleichtert, dass er direkt anfing Rotz und Wasser zu heulen und nun sah er ihn aus derart bettelnden Augen an... Nicky konnte nicht anders als eins ganz fest zu glauben: Julian war ein richtiger echter Freund. Und wenn so ein Mensch wie Julian ihn so toll fand, dann konnte auch er nicht alles falsch gemacht haben.
Gleichzeitig aber schreckte er vor einem "ja" zurück. Denn ein "ja" auf ein "noch" drückte aus, dass es weiter ging. Anknüpfend an etwas, was gewesen war. Und genau das konnte Nicky nicht. Weil es dieses "vorher" für ihn nicht gegeben hatte. Aber ein "nein" würde sich absolut verkehrt anfühlen. Er wollte Julian nicht weh tun, wie der ihn da so ansah. Und sich selbst auch nicht. Er würde gute Freunde brauchen können. Und wollte gern wieder ein guter Freund sein. Es hatte einmal mit Julian geklappt. Vielleicht ginge das auch ein zweites Mal.

"Nein. Nicht noch. Aber... Wir können bestimmt Freunde werden.", stammelte er.
Zuerst fiel Julians Blick in sich zusammen aber dann lächelte er sanft und nickte.

"Das ist bestimmt super komisch für dich.", seufzte Nicky.
"Ach was. Komisch ist, wie lang du es schon bei deiner Mutter aushältst.", grinste Julian und stieß Nicky wieder den Arm in die Seite.

"Bor, wenn du wüsstest. Hab mich eben erst mit ihr gestritten.", nuschelte Nicky.
Julian lachte.

"Nach jedem Telefonat und jedem Besuch regst du dich über sie auf. Du hast ihr aber nicht gesagt, dass du dich mit mir triffst."
"Nein. Du bist nicht Christian. Das reicht ihr, um sich aufzuregen."
"Oh, hättest du gesagt, mit wem du dich triffst, würde sie dahinten in der Büsche hocken."
"So schlimm?"
"Ich sollte sie nicht schlecht reden... Sie ist deine Mutter und hat sich unendlich viele Sorgen gemacht."
"Ja... Aber sie erdrückt mich manchmal. Nach dem Unfall..."
"Nee, das hat sie vorher schon gemacht."
"Für mich ist präsent, dass es eine Zeit in meinem Leben gab, in dem ich für sie wohl nur schwer zu erreichen war..."
"Ja. Die Pubertät. Man kennt es. Erinnerst du dich an das erste Mal, als du dir einen runter geholt hast?"
"Idiot. Das habe ich gemacht, bevor ich 18 war."
"Ach schade. Stell dir Mal vor: das Gefühl noch einmal..."
"Äh... Soll ich dich kurz allein lassen?", fragte Nicky belustigt, weil Julian so verträumt guckte.
"Tschuldigung. Nein, nein. Alles gut."
"Was hast du denn meiner Mutter nun getan, dass sie dich so wenig leiden kann."
Wieder lachte Julian.

"Nett ausgedrückt. Sie hasst mich. Hat sie immer schon getan. Sie hat kein Problem mit deiner sexuellen Orientierung, so lange du trotzdem ein Klischee-Heten-Leben lebst. Mit dem Mann, der Lehrer ist, zwei reizenden Kindern - Junge und Mädchen natürlich, einem Hund und einem Haus mit kleinem Garten."
"Äh... Sehe ich jetzt eher nicht so kommen. Wieso störst genau du denn da ihr Bild?"
"Ich habe dich unter meine Fittiche genommen, dir damals Leute vorgestellt und ich habe dich mit in Clubs genommen. Aus ihrer Sicht bin ich ein böser Dämon, der den armen kleinen Nicky all die Laster erst gebracht hat. Ich war der Erste mit dem du Sex hattest... In deinem Kinderzimmer übrigens und du warst laut. Und dabei solltest du dich für deine erste große Liebe aufsparen..."
"Na super. Ich habe noch nicht soo lange wieder mein Bewusstsein. Aber Sex hatte ich schon. Also der Plan würde vermutlich in keinem Leben aufgehen."
"Ach? Erzähl?"
"Das war beides nicht so dolle."
"Waaas? Du hattest quasi erst zwei Mal Sex und beides war nicht so dolle?!"
"Jop."


Remember me - wird fortgesetzt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt