27. - Der Morgen danach

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Sex machte Spaß. Sich fallen lassen machte Spaß. Sex mit Julian und auch mit Christian machte verdammt viel Spaß. Aber... Man merkte eben, dass Christian ihn liebte. Die Art wie er ihn berührte und anfasste. Es war eben Sex plus Liebe. Aber liebte er wirklich ihn? Sein altes Ich? Keine Ahnung. Das war wohl das Problem an der Sache...

Als Nicky aufwachte fühlte er sich jedenfalls nochmal locker um vierzig Jahre gealtert und wäre er jetzt in einem Krankenhaus aufgewacht, wäre das wohl eines Flashbacks wert gewesen. Alles tat irgendwie etwas weh. Aber gut. Ihm dürfte die nächsten paar Tage der Hintern schmerzen und Christian dafür der Schwanz. Sie hatten es immer wieder gemacht. Gefühlt die ganze Nacht durch. Hatten alle möglichen Stellungen ausprobiert und als Nicky immer wieder hatte reiten und von hinten genommen werden wollen, hatte Christian gelacht und gemeint, dass sich manche Dinge eben nie änderten. Aber stimmte das? Möglicherweise hatten sich seine Vorlieben für bestimmte Speisen oder auch Sexstellungen nicht geändert. Aber eben alles andere... Nicht drüber nachdenken jetzt.

Wo war Christian eigentlich? Der lag jedenfalls nicht mehr im Bett. Stöhnend richtete Nicky sich auf und machte erstmal einen Abstecher ins Bad. Wo er schonmal hier war, duschte er auch gleich.
Nutzte die Zeit, um richtig wach zu werden und genoss es, wie das warme Wasser seine Muskeln entspannte.

Tja... Nun stand er hier. Am liebsten, würde er, wenn sein Körper das zu lassen würde einfach weiter machen. Sex mit Cristian haben und fertig. Weil er dann nicht nachdenken musste und die ganzen unbequemen Fragen noch eine Weile ausschließen könnte. Dummerweise tat sein Hintern ziemlich weh und eine Lösung seiner Probleme wäre eine tagelange Orgie nun auch nicht. Er seufzte. Doofes Problem, wenn das nicht die Lösung war.

Nicky beschäftigte im Wesentlichen ein Gedankengang: Christian und er waren vor dem Unfall offensichtlich so glücklich miteinander gewesen, dass ihnen theoretisch Herzchen aus dem Hintern hätten fliegen müssen. Alles wunderbar soweit. Nur dann war eben der Unfall passiert und Nicky erinnerte sich nicht mehr. Und anhand der Beziehung zu Christian wurde ihm eben klar, dass er nicht nur Christian vergessen hatte, sondern auch sich selbst. Das Studium hatte er abgebrochen, weil er zur Materie überhaupt keinen Zugang gefunden hatte und auch keinen Ahnung mehr hatte, was er da eigentlich schon alles für Kurse belegt hatte. Er hatte abgebrochen, weil er lieber von sich aus hatte gehen wollen, als dass er wegen nicht bestandenen Klausuren exmatrikuliert worden wäre. Er hatte seine Freunde und seinen Lebenswandel vergessen. Die Info, dass er auf Männer stand, hatte ihn doch zu Beginn schon erstaunt. Wie viel also war er der Nicky, den Christian liebte? Und in wie weit war er jemand ganz anderes? Bisher hatte er selbst diesen anderen früheren Nicky nicht sonderlich gemocht. Die Haare waren ihm ein Graus, der Studiengang, die Klamotten, eigentlich alles, was er über den wusste. Gut, der hatte sehr gute Freunde und auch eine sehr harmonische Partnerschaft... Alle wollten im Grunde den zurück haben, was dann wohl bedeutete... Langsam glitt er an den Fliesen herab und, um nicht auf seinem schmerzenden Po zu landen, ließ sich halb seitlich hängend auf den Boden der Dusche nieder.

Es würde bedeuten, dass er die Ätzgurke war. Dass er die Verschlechterung war. Und was würde passieren, wenn Christian ihn eines Tages ansehen und verstehen würde, dass derjenige, den er liebte, eben damals wirklich gestorben war? Wenn sich Nicky jetzt doch irgendwie an Christian hängen würde, bestünde immerzu die Gefahr. Das hier war absolut kein Kampf, den er gewinnen konnte. Er hatte keinen Kontrahenten vor sich stehen. Keinen zum dran messen. Sein Feind war letztlich er selbst. Eine vergangene Form von ihm, zu der er selbst keinen Zugang hatte. Und wie schlimm wäre es für Christian und ihn, für sie beide, wenn das ewig zwischen ihnen stehen würde.

Längst suchten sich Tränen zusammen mit dem auf ihn prasselnden Wasser ihren Weg in den Ausguss. Toll. Er war so ein verdammtes Weichei! Er musste sich halt einfach trauen zu gehen. Neu anzufangen. Sein Leben aufbauen. Mit dieser, ihm einzig zu Verfügung stehenden schlechteren Version von sich. Wenn man die bessere nicht kannte, dann nahm man die schlechtere als gegeben hin. Eigentlich ganz einfach.

Langsam formte sich in seinem Kopf ein Plan. Er würde gehen. Seine Mutter hatte doch gesagt, dass es ihm finanziell sehr gut gegangen wäre, weil er keine Miete oder so hatte zahlen müssen. Christian hatte ihre gemeinsamen Ausgaben quasi allein übernommen. Er hatte also Geld.

Er würde Christian höflich begegnen und noch mit dem frühstücken. Damit der keinen Verdacht schöpfte. Und dann würde er nach Hause fahren, sich mit seiner Mutter versöhnen und packen. Und dann würde er sich verabschieden. Sagen, er würde sich kurz irgendwas zu trinken kaufen oder so. Und dann würde er einfach gehen. Zum Bahnhof. In den nächsten Zug einsteigen und niemals mehr zurück kommen. Vielleicht könnte er zwischendurch noch einen Brief schreiben. Dass sie weiter leben sollten und es nicht ihre Schuld sei, aber dass er auf der Suche nach sich selbst einfach weiter weg in die Ferne müsste. Irgendwie sowas.
Entschlossen stand er auf, trat aus der Dusche und trocknete sich ab. Immerhin hatte er frische Wäsche bei. Toll. Zunächst trug er seine Unterwäsche verkehrt herum. Nichts klappte. Egal.

Christian saß in der Küche. Es duftet herrlich und der ganze Tisch war reich gedeckt.

"Oh... Morgen.", sprach Nicky dann doch etwas sprachlos. Frisch gepresster Orangensaft stand da neben Rührei, gebratenem Speck, Kakao und allem möglichen anderen Kram.

"Hey.", lächelte Christian sanft.
"Wie viele Leute erwartest du denn zum Frühstück?", fragte Nicky noch immer mit großen Augen.
"Nur dich..."
"Wenn wir das alles essen, passen wir nicht mehr durch die Tür..."
"Ich weiß..."
"Hä?"
"Wenn es dich daran hindert, abzuhauen...", murmelte Christian und blickte auf den
Teller vor sich.

Nicky starrte ihn entgeistert an. Wie kam der darauf?!

"Was?", fragte er nur verwirrt.
"Ich kenne dich. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich Angst hatte, dass du abhaust, während ich schlafe..."
"Äh..."
Das wäre echt eine gute Idee gewesen. Hätte Nicky sich auch dieses Gespräch sparen können. Wieso war er selbst da nicht drauf gekommen?

Und dann hob Christian den Blick, sah ihn offen an und sprach leise: "Ich... Erwarte bitte nicht, dass ich dabei zusehe, wie du aus meinem Leben verschwindest... Ich... Ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann, wenn du das nicht willst und... Dass ich dich nicht festhalten darf... Und vielleicht klappt's auch gar nicht und wird eine fruchtbare Sache mit uns nach allem was war, aber.... Ich ich würde so gern rausfinden, ob es nicht doch klappt..."

Remember me - wird fortgesetzt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt