6. - Schwäche

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Schweigend saß Nicky da. Das Auto fuhr ruhig durch die Nacht. Er fand es scheiße, dass Ben nicht einmal mitgefahren war. Er und der Mann allein im Auto. Die Luft war so dick, man bräuchte einen Presslufthammer, um sie zu durchdringen. Noch dazu immer diese besorgten Seitenblicke auf sich zu spüren. Es war grässlich.

"Hast du schonmal eine Frau gefickt?", Fragte Nicky möglichst platt. Schweigen war unglaublich schwierig. Also lieber plappern."
"Ja. Mit 19."
"Uh, lang her... War bei dir wohl auch nicht so der Bringer?"
"Tja, ich bin schwul. Nicht aus Ermangelung an dem Interesse an Frauen, sondern weil ich mich zu Männern hingezogen fühle."
"Ah...", Machte Nicky nur. Vielleicht war das doch ein scheiß Thema. Er hätte doch schweigen sollen.

"Hast du Kopfschmerzen?", Fragte der Mann.
"Hab ich immer.", Brummte Nicky unwillig zurück.
"Wie viel hast du-"
"Es geht dich nichts an, okay?! Wenn du mich unbedingt nachts durch die Gegend fahren willst, ist das deine Entscheidung.  Für dich muss ich nicht bezahlen, wie für ein Taxi. Das ist der einzige Unterschied! Also misch dich nicht in mein Leben ein!", Schimpfte Nicky heiser. Er hätte gern etwas zu trinken. Und was gegen die verdammten Kopfschmerzen.

"Es würde mir leichter fallen, mich daran zu halten, wenn du in deinem klar kommen würdest.", zischte der Mann zurück.
"Ich käme super klar, würdest du mich endlich in Ruhe lassen!"
"Ach?! In dem du irgendwelche Schlampen fickst?! In dem es dein Hauptziel am Tag ist abends wieder zu schlafen? Komm schon, Nicky, das ist nicht klar kommen."
"Erzähl das einem deiner Schüler, Herr Lehrer."
"Die benehmen sich mitunter viel besser als du."
"Wieso? Weil sie dir nicht widersprechen? Weil du ihnen Noten gibst. Sie sind auf dich angewiesen!"
"Warst du auch immer... Und du warst es gern."
"Tja. Dinge ändern sich eben."
"Toll. Und dann willst du dein Leben jetzt einfach vor die Wand fahren?"
"Mein Gott, ich habe mit dir Schluss gemacht. Was interessiert es dich noch?!"
"Du kannst eine Beziehung beenden. Aber nicht meine Gefühle. Du wirst mir immer wichtig sein."
"Nein. Eine Variante von mir, die gestorben ist. Nicht ich."
"Ich habe dich abgeholt. Dich. Ohne die Erwartung, du könntest freundlich zu mir sein."
"Vielleicht stehst du drauf."
"Nein.", Kam es sehr entschieden zurück.
Nicky schloss für einen Moment angestrengt die Augen. Alles drehte sich.

"Scheiße! Fahr Mal Ran! Ich muss kotzen!", Brachte er noch hervor.
Christian fuhr sofort Ran und Nicky übergab sich, kaum dass er die Tür geöffnet hatte, während er noch angeschnallt war.

"Sieht es so für dich aus, wenn jemand sein Leben im Griff hat?", Fragte sein Fahrer ohne eine winzige Spur von Belustigung. Da war nur Schmerz.

"Hab nen schwachen Moment."
"Ahja...", Brummte der Mann und reichte Nicky ein Taschentuch.

"Geht's wieder?"
"Nein... Ich glaube da kommt noch -", wieder würgte er und übergab seien Mageninhalt auf den Seitenstreifen.

Christian seufzte, bevor er sich abschnallte, aus dem Wagen stieg und ums Auto herum ging.

Völligst ohne Berührungsängste kniete er sich vor Nicky.
"Haste Schiss um dein Auto?", Fragte der provokativ. Er fühlte sich noch hilfloser als sonst. Ein schreckliches Gefühl. Würde der Mann wenigstens irgendwie sauer sein..

"Nein."
"Wieso?"
"Weil es nur ein Haufen Blech und Metall ist."
"Ich hab keinen Bock eine Rechnung wegen ner Autoreinigung zu bekommen.", Knurrte Nicky ungerührt und schnallte sich ab, ohne dabei die Schwerkraft zu bedenken. Beinahe wäre er mit dem Gesicht voran in das sehr flüssige Erbrochene geklatscht. Aber Hände an den Schultern hielten ihn zurück.

"Wieso gehst du nicht einfach?", Fragte Nicky. Er fühlte sich absolut gedemütigt und hilflos.
"Das ist mein Auto...", Murmelte der Mann mit einem schiefen Grinsen.
"Du weißt was ich meine. Wieso kümmere ich dich noch so sehr? Du könntest im Bett liegen und pennen. Oder wer weiß was mit wer weiß wem tun. Wieso bist du hier?"
"Weil ich es dir vesprochen habe."
"Was man an einem Krankenbett verspricht, muss man nicht halten. Ist schon okay."
"Ich hab's dir vorher versprochen. Ständig. Wann immer du dich allein gefühlt hast, habe ich versprochen, dich niemals allein zu lassen. Das halte ich."
"Ja... Nur dummerweise sind wir kein Paar mehr. Ist schon sehr cringe."
"Ich...", Sprach der Mann und Nick hörte nur an dem Wort, dass der schon wieder begann zu weinen. Na Klasse. Beide verteilten also gewissermaßen Körperflüssigkeiten auf den Seitenstreifen. Wow! Moment! Das klang sehr missverständlich. Aber sein besoffenes Hirn fand es trotzdem unfassbar lustig.

"Ich... Wenn du jemand anderen hast, der bei dir ist... Der... Meinen Platz einnimmt... Dann wird die Person mir versprechen müssen, dass sie statt mir immer bei dir sein wird.", Schniefte der Mann.
Nicky übergab sich ein weiteres Mal. Stützte sich dabei notgedrungen an dem Mann ab.

"Du könntest ein schönes Leben haben. Hast nen Job und eine Vergangenheit und eine Zukunft. Ich habe nichts davon. Nur, weil du nicht loslassen kannst, sorgst du dafür, dass dein Leben von einem kaputten Menschen bestimmt wird."
"Kein Leben ohne dich könnte jemals ein schönes Leben sein. Ein akzeptables. Ja. Ich werde damit leben müssen, wenn du mich nicht mehr brauchst. Aber so lange du dich so benimmst, ist es noch nicht so weit.", Sprach der Mann und wischte Nicky umsichtig den Mund ab.

Der lehnte nun am Auto. Beobachtete eine Weile den Verkehr, der hier auch Nachts um drei nicht zum Erliegen kam. Manche Autos hupten. Weil es dann natürlich immer schneller ging. Idioten. Wo sie wohl alle hin wollten um diese Uhrzeit?

"Ich hab Kotzgeschmack im Mund.", Murmelte Nicky mehr zu sich und der Leitplanke als zu dem Mann.
"Tja...", Machte der nur und schmunzelte auch noch.
Nicky wollte gerade wirklich gern Mitleid haben für sein elendes Leben. Er wollte sich verkriechen und wollte -

Er sah auf, weil der Mann mit ausgebreiteten Armen vor ihm stand. Ein Angebot. Als wüsste der, was Nicky brauchte. So verlockend.
Nicky wusste, dass sein verkatertes ich ihm dafür morgen am liebsten das Fell über die Ohren ziehen würde. Aber in diesem Moment war er einfach zu schwach. Also ließ er sich einfach gegen die Brust des Mannes sacken.

Der atmete tief durch und schloss seine Arme sachte um ihn. Tränen benetzten den Pullover aus zwei Augenpaaren.

Remember me - wird fortgesetzt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt