XI

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Noah wollte nicht, dass Colin geht. Aber er wusste, dass er das tun musste. Er konnte nicht von jetzt auf gleich bei Noah einziehen und sein Studium schmeißen, mit dem er glücklich und vorallem fast fertig war.

 Also standen die beiden jungen Männer am Samstag Vormittag am Hamburger Hauptbahnhof. Colins Zug hatte eine halbe Stunde Verspätung, deshalb hatten Noah und er noch genügend Zeit um sich zu verabschieden. Obwohl keiner von beiden das wirklich wollte. Sie wollten weiterhin in ihrer Blase gefangen sein, wo nur sie existierten. Aber das ging nicht, sie mussten sich der Realität stellen. 

Noah, der immernoch kleiner war als Colin, hatte sich an den Lockenkopf gelehnt und die Arme um seine Hüfte geschlungen. Er war noch lange nicht bereit Colin wieder gehen zu lassen. Diesmal zwar als wieder festen Freund, aber trotzdem. Es tat weh, wenn man einen Mensch, der einem viel bedeutet, gehen lassen muss, weil es nicht anders geht. Colin hatte seine Arme um die Schultern von Noah gelegt und mit einer Hand fuhr er sanft die Haare auf der Kopfhaut entlang. Ab und zu setzte er einen kleine Kuss auf Noahs Kopf, der ihm signalisieren sollte, dass er da war. Das er immer da sein würde. 

Die Menschen, die ebenfalls am Bahnhof waren, beachteten sie gar nicht. Sie wollten für die letzten Minuten wenigstens so tun als wären es nur die beiden. 

Noah presste sich noch näher an Colin und nahm seinen Geruch auf. Er wollte ihn am besten in einem Glas aufbewahren und immer dran riechen, wenn er wollte. Auch Colin nahm Noahs Geruch intensiv auf. Er roch wie früher und kurz fühlte Colin sich in die Zeit am Einstein zurück versetzt. Wie sie sich verabschieden musste, weil Julias Eltern sie und Colin abgeholt hatten. Wie sie sich nicht loslassen wollten. Wie sie alle ausgeblendet haben, sich lange und oft geküsst haben und wie sie nicht trennen ließen. Es war wie jetzt am Bahnhof, nur eben 9 Jahre später. 

Noah hob seinen Kopf an, um den Brünetten anzusehen und schließlich ihre Lippen zu verbinden. Er wollte dieses Gefühl nicht wieder für 5 Monate verlieren, jetzt wo er es doch schon wiederhatte. Die Welt war ungerecht, es war so als wolle sie, dass Noah und Colin getrennt sind. „Ich liebe dich", flüsterte Colin zwischen 2 Küssen. Zur Antwort drückte Noah seine Lippen fordernder auf die seines Freundes. „Ich werde dich vermissen", meinte er und legte seinen Kopf dann wieder in Colins Halsbeuge. „Es ist nur eine Stunde Zugfahrt, du kannst mich besuchen kommen, wann du willst", schlug Colin dann vor. Noah nickte. 

Er hatte schon darüber nachgedacht, mit Colin mitzugehen. Seine Ausbildung konnte auch noch ein paar Monate warten. Aber vielleicht sollte er wirklich in Hamburg bleiben und dann mit Colin sein Leben wieder neu beginnen. Colin konnte seine Exfreundin vergessen und den Schmerz, den Noah ihm hinterlassen hatte, als er sich trennen musste.

Sie hörten durch die Bahnhofsdurchsage, dass Colins Zug in ein paar Sekunden im Bahnhof einfahren würde. Es wurde langsam Zeit und beide wollten diese einfach anhalten. Noah schob seine Hände von Colins Rücken in die Bauchtasche von Colins Hoodie und klammerte sich daran. Colins Hände ruhten um Noahs Nacken. Sie schauten sich in die Augen und Noah konnte sich eine kleine Träne nicht verkneifen. Sanft lehnte Colin sich vor und küsste die Träne vorsichtig weg. Dann legte er seine Lippen wieder auf Noahs. Es war ihr Abschied und keiner war bereit dafür. Noah lehnte seine Stirn an Colins und ließ sie dort einfach ruhen. 

Der Zug fuhr ein, jetzt war es soweit. Ihre letzten Worte, letzten Küsse und letzten Berührungen. „Ich liebe dich", murmelte Colin und Noah antwortete mit den gleichen 3 magischen Worten. Colin atmete nervös aus, der Abschied von Noah fiel ihm schwerer als er dachte. Er liebte diesen Mann wie niemanden sonst und ihn jetzt loszulassen, auch nur für 5 Monate, tat ihm so unendlich doll weh. 

Ein letzter sanfter Kuss und dann trennte sich der Lockenkopf aus der Umarmung, nahm sein Gepäck und verschwand im Zug. Noah schaute ihm dabei hinterher, presste die Lippen aufeinander und versuchte seine Tränen zu unterdrücken. 

Da der Zug noch 3 Minuten stehen blieb, rannte Colin nochmal aus dem Wagon direkt in Noahs Arme. Er klammerte sich an den Blonden, als wäre er kurz davor zu ertrinken. „Geh nicht", flüsterte Noah bittend, während ihm nun wirklich ein paar Tränen über die Wangen rollten. Er hatte sich eigentlich vorgenommen nicht zu weinen. Doch was sollte er schon machen? Auch in Colins Augen glitzerten ebenfalls die Tränen. „Ich muss", flüsterte er zurück. Ihm fiel es so schwer diese Worte über die Lippen zu bringen, aber er musste es tun. 

Dann schaute er auf die Uhr. Noch genau eine Minute, er musste wirklich zurück in den Zug. Er küsste Noah noch ein allerletztes Mal, prägte sich sein Gesicht nochmal genau ein und verschwand dann im Zug. 

Zumindest sein Körper. Sein Herz blieb in Hamburg bei Noah.

 Und genau in dem Moment, als Colin sich auf den Sitz setzte, fuhr der Zug ab. Jetzt war es zu spät, einfach wieder umzudrehen, sein altes Leben komplett wegzuschmeißen und einfach mit Noah von Tag zu Tag zu leben, so wie sie es die ganze letzte Woche gemacht hatten. 

Diesmal hatte Colin sich für einen Zweiersitz entschieden, sein Rucksack stand auf dem Platz neben ihm. Er kramte seine Kopfhörer aus der Tasche, machte Musik an und lehnte seinen Kopf an die kühle Fensterglasscheibe. Er fühlte sich irgendwie leer. Sein Leben war jetzt in Hamburg, nur sein Studium war in Kiel. Und Noa, der er immernoch ein Erklärung schuldig war.


Noah schaute dem Zug solange hinterher bis er ihn nicht mehr sah. Sein Herz fuhr gerade weg und es gab keine Möglichkeit, es wieder zurückzuholen. Noah blieb nichts anderes übrig als durch den Bahnhof zu seinem Auto zu gehen und dann nach Hause zu fahren. Er würde heute noch eine Runde mit Freddy Gassi gehen, sich etwas bei McDonalds fürs Abendessen holen und dann schlafen gehen. So wie er es immer tat, bevor Colin gekommen war. Er musste wieder sein Leben alleine leben, solange bis Colin wieder da war. Doch das fühlte sich für den Blonden an wie eine halbe Ewigkeit. 

Im Auto angekommen ließ er seinen Kopf gegen das Lenkrad stoßen und musste durchatmen. Er presste die Augen zusammen, um nicht noch mehr Tränen zu vergießen. Dann fuhr er los. Sein Kopf war leer, er achtete stumpf auf den Verkehr ohne etwas um sich herum wirklich wahr zu nehmen. 

Er kam sicher bei sich an und in der Wohnung merkte er erst, was für eine Leere entstanden war, als Colin heute aus der Tür getreten war. Vorher war ihm nie aufgefallen, wie allein er eigentlich war, denn Freddy war da. Und dann war das allein-sein okay. Jetzt drohte die Stille Noah zu ersticken. Er ließ sich aufs Sofa sinken und konnte dann wirklich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Langsam liefen sie ihm warm über die Wange und landeten auf seiner Hose, dem Sofa oder seinem Shirt. 

Colin war weg und diese Tatsachte tat Noah im Herzen so sehr weh, als hätte man tausende Messer durch seine Brust gestochen. Es tat fast so sehr weh wie damals, als er sich trennen musste. Doch jetzt waren sie zusammen, und man konnte einen Funken Hoffnung am Horizont erkennen. 

Noah würde sich daran klammern, genau wie Colin, der gerade im Zug saß, Musik hörte und ebenfalls weinte. 

Aber wie gesagt, es gibt Hoffnung für die beiden. Und die beiden würden daran glauben, solange bis es gut werden wird. Denn am Ende wird alles gut. Und wenn es das nicht ist, ist es noch nicht das Ende.

i can't breath without youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt