IV

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Am nächsten Morgen, waren beide nicht wirklich ausgeschlafen. Langsam und schweigend tranken sie ihren Kaffee und machten sich fertig für die Uni. Beziehungsweise machte sich Noa fertig für die Uni. Colin wollte allein in der Wohnung bleiben und nachdenken. Über sich, seine Beziehung mit Noa und seine Beziehung mit Noah. Als seine Exfreundin aus dem Haus ging, schmiss er sich nochmal ins Bett. Auf der Couch hatte er maximal 2 Stunden Schlaf bekommen. Er war todmüde und wollte jetzt wenigstens noch eine oder zwei Stunden schlafen. Zu seiner Überraschung klappte das sogar. Innerhalb von 10 Minuten war er in einen ruhigen traumlosen Schlaf geglitten.


Als er nach fast 4 Stunden wieder wach wurde, schnappte er sich sein Handy. Eine Nachricht von Noa, ob er heute mit arbeiten ginge und eine Benachrichtigung von Instagram. Besser gesagt eine Dm von Noah. Sofort beschleunigte sich sein Herz und Colin saß kerzengerade in seinem Bett. „Sorry, falls ich störe, aber ich würde das gerne mit dir klären", war der Text. Darunter eine Adresse. 

Colin konnte es nicht ganz glauben. Noah wollte ihn wieder sehen. Klar, sie hatten gestern zwar gefacetimed, aber das ist immer noch etwas anderes als sich in Wirklichkeit gegenüber zu stehen. Ohne lange zu fackeln, sagte er zu. Er kopierte die Adresse und gab sie in Google Maps ein. Eine kleine Straße am Stadtrand von Hamburg. 

Colin sagte die restliche Woche in der Uni ab und nahm sich eine Woche Urlaub von seinem Job. Dann buchte er ein Zugticket nach Hamburg. Er wusste noch nicht, wie lange er dort bleiben würde, also holte er sich noch kein Ticket zurück nach Kiel. Er schnappte sich noch einen Koffer vom Schrank, den er mit den wichtigsten Dingen befüllte. 

Dann war er bereit. Zumindest war er bereit nach Hamburg zu fahren. Ob er bereit war, sich Noah und seinen Gefühlen zu stellen, dass wusste er nicht so ganz. Aber wahrscheinlich nicht. Immerhin waren 7 Jahre zwischen heute und ihrem letzten Treffen. Und das letzte Mal hatte Noah Schluss gemacht. Optimale Voraussichten also.

 Als er am Bahnhof stand und auf seinen Zug wartet, fällt ihm auf, dass Noa nicht über seine spontane Entscheidung informiert hatte. Die beiden hatten auch noch nicht geredet, obwohl sie das dringend sollten. Colin schrieb ihr einen ausführlichen Text, was er machen wollte und was ihn dazu bewegte und natürlich auch eine sehr lange Entschuldigung. Er wusste, dass so ein Text nicht an ein Gespräch rankommen würde, aber jetzt musste es reichen.


Die Zugfahrt war angenehm. Colin hörte Musik und schaute aus dem Fenster. Er wusste nicht, wie er Noah gegenüber treten sollte. Allein die Begrüßung könnte ein Problem werden. Umarmen? Hände schütteln? Einfach nur „Hi" sagen? Colin wusste nicht, was am unangenehmsten wäre. 

Irgendwann in der Hälfte der Zugfahrt, wurde er von Julia angerufen. Zum Glück hatte er sich für ein Abteil entschieden und konnte nun ungestört telefonieren. 

„Bevor du irgendwas sagst, ich hab die besten Neuigkeiten des Jahrhunderts", fiel sie direkt mit der Tür ins Haus. „Hallo, schön von dir zu hören", antwortete Colin ohne auf ihre Euphorie anzuspringen. „Jaja, keine falschen Formalitäten. Du weißt ja, dass Ava und ich im Moment in so einem richtig romantischem Hotel sind". „Ja, du hast es ja auch nur 20 mal erwähnt", sagte er durchs Telefon. 

Julia konnte 2 Wochen vor der Abfahrt über nichts anderes reden, als über den Urlaub in einem abgelegen Hotel in Österreich. Ava hatte ihr diese Reise zum Geburtstag geschenkt. „Ava hat mir gestern einen Antrag gemacht. Colin, ich werde heiraten!", schrie sie praktisch ins Telefon. Colin war sofort hellhörig und die Nervosität schob sich für kurze Zeit in den Hintergrund. „Krass, herzlichen Glückwunsch. Und Ava natürlich auch", sagte er, allerdings nicht ganz so aufgeregt, wie Julia es eher gepasst hätte. 

Die Nervosität wuchs wieder, als die Überraschung abklang. Da kann nicht mal die Verlobung seiner besten Freundin etwas gegen tun. „Ist alles gut? Ich dachte du freust dich für mich". Julia kannte ihn leider viel zu gut. 

„Doch, ich freu mich, versprochen. Und du weißt, dass ich nur das beste für dich will. Aber ich hab gerade ein eigenes Problem", erzählte er mit einem kleinen Seufzer. „Willst du drüber reden?", fragte sie und genau in diesem Moment kam ein Kontrolleur und wollte sein Ticket sehen.

 Er stellte sich stumm und zeigte schnell seinen Bahnschein. Der Kontrolleur nickte und ließ ihn in dem Abteil wieder allein. „Wo bist du?", wunderte sich Julia. Sie war auch noch ein wenig empört, dass Colin die Verbindung kurz unterbrechen musste. „Im Zug". „Hör auf, dir alles aus der Nase ziehen zu lassen. Ist Noa bei dir, wo gehts hin? Und warum hast du mir nicht erzählt, dass du wegfährst, gibts irgendeinen Anlass?". 

Manchmal konnte Julia verdammt neugierig sein, vor allem, wenn es um Colin geht. Da die beiden nicht mehr in der Nähe wohnten, wollte sie mindestens einmal in der Woche telefonieren, um auf dem laufendem zu bleiben.

 „Ich fahr nach Hamburg, ohne Noa. War ne spontane Entscheidung, aber ja es hat einen Grund...", erklärte Colin ihr. Die nächste Frage kam angeschossen, bevor er so richtig weiterreden konnte. „Und der wäre?", fragte sie und ihr Ton verriet ihm, dass sie nur die Wahrheit akzeptieren würde. Colin hatte die Wahrheit noch nie ausgesprochen. Nur per Handy eine SMS geschrieben. Jetzt, wo er es sagen musste, wurde die Situation real.

 „Ich fahr zu Noah". 

„WAS?!", schrie Julia in sein Ohr, sodass Colin sein Handy erstmal ein paar Zentimeter von seinem Gesicht wegbewegte. „Ich fahre. Zu. Noah", wiederholte er überdeutlich, so als hätte sie ihn akustisch nicht verstanden. 

Colin wusste, dass Julia nicht begeistert davon sein würde, aber er dachte, dass er das brauche. Egal, was raus kommt, er kannte danach vielleicht endlich den Grund, warum er mit ihm Schluss gemacht hat. 

„Ich hab dich schon verstanden, aber warum? Ich dachte, er hat dir das Herz gebrochen und sich danach nie wieder gemeldet". Colin seufzte. Das würde ein längeres Telefonat werden, als er dachte. 

Er erzählte ihr alles von gestern Nacht. Wie er Noah angeschrieben hatte, wie sie telefoniert hatten und wie er sich von Noa trennte. Sie überraschte am wenigsten sogar, dass Colin nicht mehr mit Noa zusammen war. Laut ihrer Meinung hätte das eh nicht geklappt. Sie musste selber zugeben, dass er zu Noah gehörte. Unterbewusst wusste jeder in meinem Umfeld, dass Noah sein Seelenverwandter ist. Unterbewusst hatte er sich damit abgefunden, dass er wahrscheinlich nie so richtig glücklich in einer Beziehung sein kann, die nicht mit Noah ist. Aber jetzt kommt Hoffnung auf. Vielleicht haben sie doch noch eine Zukunft zusammen.

 „Colin, du weißt, ich will nur das beste für dich. Aber Noah hat dir dein Herz gebrochen, ich will nicht, dass du wieder fast 3 Monate nur im Bett liegst und dich selbst bemitleidest. Aber wenn du meinst, dass du Noah brauchst und du denkst, dass das das richtige ist, dann halte ich dich nicht auf". „Danke Julia. Du bist die beste. Ich liebe dich. Wenn wir uns wiedersehen, feiern wir deine Verlobung, versprochen", sagte er, als sich das Gespräch zum Ende neigte. „Ich liebe dich auch. Viel Glück mit Noah", verabschiedete sie sich und 3 Sekunden später, hörte man nur noch ein Tuten auf der anderen Seite. 

Und auf einmal war es unheimlich still. Schnell setzte Colin sich seine Kopfhörer auf, um die Stille mit Musik zu unterbrechen. 

i can't breath without youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt