Erwachen

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Ria erwachte in Blakes Armen. In dieser Nacht war sie von schrecklichen Albträumen geplagt worden. Obwohl sie eigentlich nicht mehr mit ihm schlafen wollte, hatte sie doch mehrmals diese Art von Trost bei ihm gesucht.

Das Grauen der Nacht hallte noch in ihren Augen nach, als ihr fahriger Blick den seinen traf. „Du bist am erwachen", erklärte er sachlich. „Deine Kräfte intensivieren sich langsam und dein Körper bereitet sich auf ein langes, hartes Leben vor. Das werden nicht deine letzten Albträume gewesen sein. Bald wirst du die Welt mit ganz anderen Augen sehen." Sanft drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn. „Es ist ein Schutzmechanismus, weißt du. Eine Art Tarnung. Du solltest erst etwas essen, bevor ich dir weiter von uns Jägern erzähle."

Unbeholfen und mit leicht verkaterten Muskeln kletterte sie aus dem Bett. „Für eine Unterrichtsstunde ist es doch viel zu früh."

Im Nu stand er vor ihr. Ihr Kinn in den Händen haltend zwang er sie dazu, ihn anzusehen. „Nein. Deine nächsten Tage werden hart. Du musst verstehen, was passiert."

Ihre Müdigkeit war verflogen. Das zornige Funkeln in ihren mittlerweile unnatürlich hellen Augen konnte nichts Gutes bedeuten. „Gestern erst hast du mir noch gesagt, es gehe mich alles nichts an."

„Beruhige dich", fuhr er sie ungehalten an. „Du hast keine Chance, gegen mich zu bestehen."

Nur zu gerne hätte sie es in diesem Augenblick darauf ankommen lassen. Und was hätte es ihr gebracht? Herzlich wenig. Wahrscheinlich hätte er sie ans Bett gekettet.

Ruckartig befreite sie ihr Kinn aus seinem Klammergriff und setzte sich mit störrisch verschränkten Armen auf den neben dem Bett stehenden Sessel. „Dann erzähl, was du erzählen musst." Sie hatte keine Lust, nach seiner Pfeife zu tanzen. Wenn er glaubte damit durchzukommen, hatte er sich gehörig geschnitten.

Allerdings machte ihr lautes Magenknurren ihr erst einmal einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Blake lächelte kalt, eine stumme und zugleich eindrucksvolle Erinnerung daran, wer hier der Boss war. Sie kam nicht umhin zu bemerken, dass es ihm gefiel. Nein, eigentlich wusste sie es. Blake war ein skrupelloser Mistkerl. Es war ihr Fehler zu denken, er könne jemals so etwas wie echte Empathie empfinden. Ob das wohl eine rein menschliche Eigenschaft war? Abgesehen davon, dass menschlich ein sehr weiter Begriff war, würde sie genauso werden wie er? Vermutlich gab es zigtausende Menschen, die sich ähnlich aufführten. Sie hoffte inständig, dass gewisse Charakterzüge nicht artgebunden waren.

Frustriert sprang sie auf und ging zum Kleiderschrank. Sie würde nicht nackt nach unten gehen. Ungehalten schnappte sie sich die erstbesten Sportsachen, die sie finden konnte. In T-Shirt und Sportpants stapfte sie nach unten. Blake folgte ihr, sichtlich amüsiert. Sein Lächeln verschwand jedoch, als er sah, wie eine Person am Ende der Treppe Ria anstarrte. Sie zog eindeutig zu viel Aufmerksamkeit auf sich.

„Was willst du, Gian?" Sein scharfer Ton ließ die beiden anderen zusammenfahren. Während Gian ihn ehrfürchtig anstarrte, sah Ria ihn lediglich neugierig an. Blake nutzte die Gelegenheit, seinen Arm um ihre Taille zu legen und sie an sich zu ziehen. Währenddessen ließ er den anderen nicht aus den Augen.

„Es hieß, dass die Jägerin hier sei. Ich wollte sie nur sehen", stotterte Gian und senkte unterwürfig den Blick.

Blake war drauf und dran, ihm den Kopf abzureißen. Vermutlich verdankte Gian Ria sein Leben, denn noch bevor er einen Finger rührte, wand sie sich aus seiner Umarmung und schlenderte scheinbar entspannt auf den anderen zu. Kokett lächelte sie den jungen Jäger an. Sie hatte gesehen, wie diese billigen Flittchen im Pool flirteten. Es konnte ja wohl nicht allzu schwer sein, das nachzuahmen. Zumal sie Blake zufolge sowieso mit einem blinkenden Pfeil überm Kopf herumlief.

Rot wie Blut [Schattenseelen 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt