Zufälle & das Haus am Meer

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Einige Tage später lagen zwei Akten auf Reeces Schreibtisch. Die Belgier hatten endlich die Akte über den Mord an Dubin freigegeben. Und es hatte einen weiteren Mord gegeben, bei dem keine verwertbaren Spuren aufgetaucht waren. Reece hätte beinahe gelacht, als er die Fotos des neuen, ungeklärten Mordes sah. Ein Faschingskostüm. Dabei war diese Zeit doch nun wirklich schon vorbei. Die Todesursache war eindeutig: das Wurfmesser steckte noch in der Schläfe des Toten.

Die Akten aus Brüssel waren schon ein wenig seltsamer. Reece war davon ausgegangen, dass Dubin das einzige Opfer des Mörders gewesen war. Laut Fallakte aber handelte es sich um zwei Morde. Beide unaufgeklärt, aufgrund nicht auffindbarer Spuren. Zuerst sah er den Fall Dubin durch. Anscheinend hatte sie versucht, sich mit einem Messer zu verteidigen, war dann aber erschossen worden. Vom Projektil fehlte jede Spur. Auch keine Hülse war gefunden worden. Der saubere Kopfschuss musste von jemandem ausgeführt worden sein, der sich aufs Töten verstand. Ein Stümper hätte Spuren hinterlassen. Wenn er seinen belgischen Kollegen Glauben schenkte, war dieser Fall ebenso klinisch rein, wie seine ungeklärten Morde. Er fragte sich, ob der Killer sich tatsächlich die Mühe gemacht hatte, sich dem Opfer vorher zu zeigen. Das wäre eine große Dummheit gewesen, wenn die Sache schief gegangen wäre.

Seufzend nahm er den anderen Mord unter die Lupe. Diese Leiche war nur wenige Meter von Dubin entfernt gefunden wurden. Dem Pathologen zufolge hatte ihm sein Mörder ein Messer in die Luftröhre gerammt. Den Behörden war die Identität des Mannes unbekannt. Reece legte den Bericht beiseite und wandte sich dem Foto zu. Er stutze. Ein Ninja. Genau wie sein neuer, so gut wie unlösbarer Fall. Das konnte doch kein Zufall sein.

Kopfschüttelnd überflog er den Bericht seiner Kollegen. Die gingen davon aus, dass eine dritte Person an der ganzen Sache beteiligt gewesen sein musste. Und dieser Jemand hatte Patronenhülse und Projektil mitgenommen. Es gab zwei mögliche Abläufe. Zum einen konnte der Mörder die beiden überrascht haben, als Mr. Ninja versuchte Dubin zu erledigen. Wer zuerst starb, konnte unmöglich festgestellt werden, denn anstelle von Stunden trennten diese Morde ja nur Minuten, wenn nicht gar Sekunden. Die andere Möglichkeit war die, dass der Ninja den Mörder von Dubin überrascht und ebenfalls dran hatte glauben müssen. 


Bei Anbruch der Dunkelheit verließ Ria das kleine Stadthaus am Meer. Nachdem Blake sie einen Tag lang eingesperrt hatte, war sie endlich wieder frei. Zwar vorerst nur für die Dauer eines Auftrags, aber immerhin. Gestern war sie hier angereist. Völlig untypisch für sie, hatte sie den gestrigen Tag damit verbracht, die Gegend zu erkunden. Noch nie zuvor hatte sie sich wie ein einfacher Tourist benommen. Dabei hatte sie unerwartet viel Spaß gehabt. Aber Spaß war etwas, das sie in dieser Form nicht haben durfte. Der Spaß, der jetzt auf sie wartete, war doch wesentlich vielversprechender.

Heute Morgen hatte sie mitbekommen, dass in der Nähe ein Mafiatreffen sein sollte. Das musste sie unbedingt aufmischen. Diese Leute versprachen mehr Befriedigung als einfache Straßengangs oder schlichte Auftragsmorde. Entspannt sprang sie von Steinstufe zu Steinstufe. Was für eine herrliche Nacht. So düster. Und dann der Meeresgeruch, der von der rauen See herüber wehte... einfach himmlisch.

Je näher sie dem hell erleuchteten Haus, ein wenig außerhalb des idyllischen Städtchens kam, desto höher stieg ihr Adrenalinpegel. Der Auftrag war einfach: schalte den Kopf der Bande aus. Nun ja, das würde sie. Aber erst, nachdem sie sich jeden einzelnen seiner Männer vorgeknöpft hatte.

Lässig schlenderte sie die Auffahrt entlang. Die beiden dort positionierten Wachen – bullige Männer, mit Maschinengewehren – geflissentlich ignorierend.

„Hey, du. Verschwinde." Der linke der Kerle deutete mit seinem Gewehr auf sie.

Ria verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Bedaure, aber das ist leider nicht machbar."

Rot wie Blut [Schattenseelen 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt