In flagranti

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Zufrieden strich Blake über ihre warme Schulter. Es wiederstrebte ihn, sie wieder an den Tod ihrer Eltern erinnern zu müssen. Eineinhalb Jahre lang hatte sie nach dem Mord an ihrem Vater mit niemandem gesprochen. Selbst vor ihm und Kemal hatte sie sich gefürchtet. Es hatte unendlich lange gedauert, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen. Selbst jetzt verließ sie sich nicht völlig auf ihn. Bei Kemal war das eine andere Sache, aber der schlief ja auch nicht mit ihr.

Seufzend stricht er eine lose Strähne hinter ihr Ohr. Wenn sie herausfand, dass er ihr ein Schlafmittel verabreicht hatte, würde sie durchdrehen. Aber ihr durfte nichts geschehen. Sie war noch immer nicht stark genug. In diesem Moment bezweifelte er, dass dies überhaupt jemals der Fall sein würde.

Merkwürdig ausgeruht wachte Ria in Blakes Bett auf. Beim Aufsetzen rutschte ihr eines seiner Hemden von den Schultern. Verwirrt sah sie sich um. Untypischerweise standen Getränke auf einem Tablet auf der anderen Betthälfte bereit. Da es in ihrer Kehle ein wenig kratzte, goss sie sich sogleich ein Glas Wasser ein.

Kurz darauf brachte ein ihr unbekannter junger Mann ein Tablett mit Essen herein. Es duftete herrlich. Mit Wasser im Mund nahm sie ihm das dampfende Bami Goreng ab. „Besten Dank. Können Sie mir sagen, ob Blake da ist?"

Der junge brünette Mann verzog seinen schmallippigen Mund. „Du bist nur sein Betthäschen. Das geht dich nichts an."

Mit der Gabel im Mund warf sie ihm einen bösen Blick zu. „Wer sind Sie?"

„Jemand, den du nicht kennen musst. Es sei denn, du willst mir heute Nacht Gesellschaft- " Das leere Tablett fiel scheppernd auf den Boden. Rias Gabel steckte knapp neben der Hauptschlagader im Hals des unmöglichen Kerls.

Bedauernd stellte sie ihr Essen auf den Nachttisch und zog Blakes Hemd ein wenig enger um sich. Ungehalten schubste sie den schockierten Kellner auf den Sessel. „So, und jetzt erzähl mir mal, warum du mich für irgendein unwichtiges Betthäschen hältst? Blake hat noch nie einen One-Night-Stand mit in sein eigenes Bett genommen. Geschweige denn in sein Haus."

Auf seinem Gesicht zeichnete sich blanke Panik ab. Mit den Fingern tastete er nach der Gabel in seinem Hals.

„Oh, keine Angst", informierte ihn sie entspannt, „die Gabel hat deine Halsschlagader nicht durchtrennt. Schließlich habe ich ein paar Fragen an dich."

Entsetzt starrte er sie an. „Was bist du?"

Ria lächelte kalt. „Ich dachte, ich sei ein dummes Betthäschen. Also, wie kommst du auf die Idee, ich wäre es?"

Mit schmerzverzerrter Miene schnitt er ihr eine Grimasse. „Könntest du bitte zuerst die Gabel entfernen?"

Ungerührt zog sie ihre Augenbraue hoch. „Nein, ich denke nicht. Und jetzt antworte."

Sie konnte seinen donnernden Puls beinahe spüren. Dennoch versuchte er cool zu bleiben. „Weil die anderen..."

Bevor er seinen Satz beenden konnte, war Ria aus dem Raum gerauscht. „Blake!" Sie polterte die Marmortreppe hinunter, durch die Glastür und in den Wintergarten. Die Terrassentüren waren wie immer geschlossen. Hier war keine Spur von ihm. Auch die Sofas waren leer. In ihrer kopflosen Suche schob sie die Außentür im Küchenbereich auf und stieg die Gartentreppe nach unten hinab. Es dämmerte bereits und die im Garten verteilten indirekten Lichter tauchten die weißen Steine in ein warmes, vanillefarbenes Licht. Hätte sie es nicht so eilig gehabt, hätte sie angehalten und dem Szenario die ihm gebührende Bewunderung geschenkt.

Enttäuschenderweise fand sie unten im Poolbereich lediglich eine kleine Gruppe billig aussehender Frauen. Kein Wunder, dass der Junge dachte, sie wäre eine von ihnen. Auch wenn sie deren Anwesenheit verdächtig fand, erklärte das noch lange nicht, wo Blake sich gerade aufhielt.

Rot wie Blut [Schattenseelen 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt