Katze mit Herz

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Fasziniert beobachtete sie, wie die dunkelrote Flüssigkeit von der Spitze des glatten Metalls tropfte. Mit einem leisen Plop schlug er auf dem Boden auf und zersprang in tausend Stücke. Dem ersten folgte ein weiter, dann noch einer. Sie wartete, bis auch der letzte Tropfen die Klinge hinab gewandert war, ehe sie sich seufzend über die Leiche beugte. Schon wieder ein Leben, das sie hatte nehmen müssen. Und dabei war sie heute nicht einmal auf Krawall aus gewesen. Dieser Widerling hatte einfach nicht einsehen wollen, dass sie nicht auf eine Nummer aus war. Und das, wo sie heute nicht einmal anzüglich gekleidet war. Unter ihrem schwarzen Gothic-Wollmantel trug sie doch eine ganz züchtige, hoch geschlossene kurze Hose und ein weißes Top mit anthrazitfarbener Weste.

Kopfschüttelnd wischte sie das Messer an der Kleidung des Verblichenen sauber. Männer und Alkohol vertrugen sich ganz eindeutig nicht. Als die Klinge wieder einigermaßen sauber war, ließ sie sie mit einer geübten Handbewegung in ihrem Ärmel verschwinden. Anschließend machte sie sich daran, die Taschen des Toten zu durchsuchen. Abgesehen von ein paar Kreditkarten fand sie nur wenige Scheinchen Bargeld. Wenn er sie schon so dumm anmachen musste, konnte er doch wenigstens genug Geld dabeihaben. Wäre auch zu schön gewesen, wenn sie diese Geschichte als einfachen Raubüberfall hätte aussehen lassen können.

Wäre sie heute Nacht nicht so außergewöhnlich schlecht drauf gewesen und er nicht so besoffen, hätte sie sich vielleicht den einen oder anderen Drink von ihm spendieren lassen. Aber sie war halt nicht gut drauf. Schließlich hatte Blake sie heute Abend versetzt. Unabgemeldet. Ein wenig zu energisch steckte sie das Portmonee des Mannes wieder in seine Jackentasche. Dann ließ sie ihre mit Blut bespritzten Handschuhe in ihren Manteltaschen verschwinden und zog ihr Handy hervor. Was sie nicht alles tat, um wie eine mustergültige Bürgerin zu erscheinen, dachte sie mit leicht ironischem Lächeln auf den Lippen.

„Notruf", ertönte es ruhig am anderen Ende der Leitung.

Mit gekonnt panischer Stimme rief sie in den Hörer: „Bitte, kommen sie schnell her, hier ist jemand niedergestochen worden. So viel Blut, ich glaube er lebt nicht mehr."

„Bitte bewahren Sie Ruhe und sagen uns, wo Sie sich aufhalten."

Es gab einen recht makabren Eindruck ab, wie sie so seelenruhig neben der Leiche kniete und panisch ins Telefon heulte, mit zitternder Stimme die Adresse durchzugeben versuchend. Sie wusste, dass niemand ihr Telefon zurückverfolgen konnte. Dafür hatte Blake gesorgt.

Nachdem sie den Notruf abgesetzt hatte und der Lärm der Polizeisirenen immer näher rückte, machte sie sich entspannt auf den Rückweg. Würde sie jedes Mal, wenn sie eine Leiche meldete am Tatort bleiben, würde sie mittlerweile bestimmt des Massenmordes verdächtigt werden. Sie brachte es nun mal nicht über sich, diese Toten einfach so in der Gegend liegen zu lassen.

Tock, tock, tock. Das Klackern ihrer dünnen Absätze klang wie Musik in ihren Ohren. Nichts ging über das beruhigende Geräusch ihrer eigenen gleichmäßigen Schritte. Vor allem im Dunkel der Nacht. Ein natürlicher Umhang. Seit sie denken konnte, übte die Nacht übte eine gewisse Faszination auf sie aus.

Fröhliches Gelächter, laut wummernde Bässe und Gesangsfetzen wehten in einer leichten Bö zu ihr herüber. Normalerweise war es um diese Uhrzeit immer ruhig. Heute musste aber irgendwo eine große öffentliche Veranstaltung sein. Vielleicht feierten Fans ja ein für ihre Mannschaft gut gelaufenes Fußballspiel. Frustriert kickte sie eine Dose in eine kleine, stinkige Gasse. Ihre Abendplanung war jedenfalls hinüber. Eine aufgescheuchte Katze sprang fauchend in die Dunkelheit einer Mülltonne davon. Dabei zog sie ihren Hinterlauf merkwürdig hinter sich her. Die Stirn runzelnd folgte sie ihr. Dieses arme kleine Kätzchen hatte eine Verletzung am Hinterlauf. Sie konnte unmöglich alleine hier draußen überleben. Wie richtig sie mit dieser Einschätzung lag, konnte sie wenige Augenblicke später feststellen. Das viel zu dürre Katzenjunge starrte hungrig und hilflos auf einen halb vergammelten Fisch, der auf einem Karton lag. Mit dem verletzten Bein konnte es unmöglich hochspringen.

Die Protestschreie der kleinen Katze und die sich in ihren Arm bohrenden Krallen ignorierend drückte sie das kleine Tier an sich. In ihren Händen konnte sie das wild klopfende Herz so deutlich spüren wie ihren eigenen Puls. Geradezu zärtlich barg sie das Kätzchen in ihren Mantel und machte sich auf den Heimweg. Morgen würde sie einen Tierarzt aufsuchen um sicherzugehen, dass das Tier seine Verletzung überleben würde.

In ihrer kleinen vollgestopften Wohnung stellte sie zuerst sicher, dass das junge Lebewesen genug zu fressen bekam, bevor sie es sich genauer besah. „Du bist ja eine sie", stellte sie erstaunt fest. Ängstlich, aber mit nicht mehr ganz so schlimm rasendem Herzen folgte die Katze mit großen gelben Augen jede ihrer Bewegungen.

„Wie niedlich." Vorsichtig strich sie über die vorwitzige weiße Stelle auf der Brust des sonst schwarzen Kätzchens. „Du hast ja ein Herzchen auf deiner Brust." Nun ja, als Herz konnte man diesen Fleck nicht direkt identifizieren. Mit ein wenig Phantasie, konnte man sich das jedoch als solches vorstellen.

Rot wie Blut [Schattenseelen 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt