1. Noah

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Neuanfänge scheinen in Filmen und Büchern immer so leicht zu sein: es gibt einen lauten Knall und ab dann wird alles schön. Man sieht das Leben mit neuen Augen, freut sich auf die vorliegende Zeit und fühlt sich leicht. All das, was passiert ist und wer man war, ist nicht mehr da und wenn doch, dann denkt man nur noch an das Gute zurück. Alles ist gut, alles wird gut.

Alles wird gut.

Alles wird gut.

Alles wird gut.

Nein. Ich kann das nicht. All diese Neuanfänge. Ich kann nicht so tun, als würde ein anderer Ort mich zu einem neuen Menschen machen.

Ich bin Noah Temel. Ich war es schon immer und ich werde es immer bleiben.

Ich seufzte, schlug mein Notizbuch zu und legte den Füller mit der roten Tinte zur Seite. Der Weg zu dem Schloss Einstein Internat scheint wirklich ewig zu sein. Ich sitze in diesem vollem Bus, in dem Kinder rumschreien, laut lachen und zu blöd sind, um ruhig auf ihren Sitzen zu bleiben. Hier und da fliegt ein Papierflugzeug gegen die Fensterscheibe, Namen werden rumgebrüllt und ein paar Koffer rollen zwischen den Sitzreihen auf dem Boden umher. Toll, wirklich. Was für ein schöner, ruhiger Start.

Es ist nicht so, dass ich mich gar nicht auf die neue Schule freue. Im Gegenteil, die Schulwebsite schien sehr vielfältig und der Unterricht sehr modern zu sein. Digitalisierung, gemischte Klassen, ein recht freiwählbarer Kursplan... ich muss zugeben, die Atmosphäre ist auf dem ersten Blick gar nicht so übel. Außerdem soll es in diesem Schuljahr ein Literaturmodul geben und die Vorstellung, mich intensiv auf ein paar gute Bücher und Analysen einzulassen, gibt mir mehr, als man es sich vorstellen kann.

Der Bus stoppte abrupt und ich wurde aus meinen Gedanken herausgerissen. Endlich. Die Schüler:innen drängelten sich alle zum Ausgang und ich nahm mir diese paar Sekunden, um aus dem Fenster zu schauen. Vor mir stand ein grau-blaues Gebäude umgeben von Bäumen an einem warmen Sommernachmittag. Ein perfektes Bild. Wie viele Menschen hier wohl schon gewohnt und welche Geschichten sie hier erlebt haben... es war schön, ja, sehr schön sogar, aber etwas in mir weigerte sich, diesen Anblick einfach mal so hinzunehmen. Immer wenn ich ein wenig Harmonie und Ruhe fühle, kommen all diese Gedanken in mir auf, mit denen ich nicht umzugehen weiß...

„Junger Herr, hallo?". Ich schaute nach vorne zu dem Busfahrer. „Wir sind da, du kannst aussteigen."

„Ja", antwortet ich schnell. „Danke".

Ich bin da. 

||nolin|| gefunden in der liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt