2. Colin

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„Also", warf Frau Schiller mit einem kurzen Händeklatschen in die Gruppe von uns Schüler:innen ein, die sich in einem Halbkreis um sie versammelten, „auch in diesem Jahr heißen wir wieder viele neue Leute an unserem Internat herzlichst Willkommen. An den ersten Tagen wird hier alles ein kleines Durcheinander sein, aber ich weiß, dass wir es trotzdem schaffen werden, uns einzuleben und wohl zu fühlen. Wenn ihr Fragen habt, wendet euch erstmal an eure Zimmernachbar:innen- so lernt ihr euch gleich auch besser kennen. Schonmal im Voraus: es werden keine Zimmer getauscht, umgestellt oder sonst irgendwelche Extrawünsche geäußert, die Zimmerlisten stehen fest...."

...ihre Worte verblassten und versanken in einem Rauschen. Ich kannte die Rede schon aus dem vorherigen Jahr und ich wollte nochmal die letzte Ruhe aufnehmen, bevor hier gleich das Chaos ausbricht. Ein leichtes Grinsen zeichnete sich auf meinem Gesicht und ich legte meinen Kopf in den Nacken. Vor meinen Augen waren jetzt nur noch ein Teil des Internatsgebäude und ein paar Blätter der Bäumen zu sehen, alles vor diesem kräftigen blauem Himmel, in dem Vögel Hin und Her flogen. Eine wohlige Gänsehaut überkam mich. Ich hatte es echt vermisst, hier zu sein. Meine Ferien waren wirklich schön, sehr ruhig und familiär. Aber mittlerweile verbringe ich mehr Zeit hier als in meiner Heimat, weshalb das Einstein ebenfalls mein Zu Hause ist. Und ich hatte wirklich Heimweh nach diesem Ort.

Ich schaute wieder auf und sah mich ein wenig in der Runde um: da war ein braunhaariger Junge mit einer goldenen Brille, die ich sonst nur von Serienmördern kannte, ein Mädchen in sehr bunten und durcheinander gewürfelten Kleidungsstücken, die Julia damit Konkurrenz machte, Sirius und Chiara, die sehr glücklich aussahen, einen verrückten Wissenschaftler in einem Blazer, der Einsteins Sohn hätte sein können, ein Mädchen mit einem roten Fahrrad... ein blonder Junge, der mir in die Augen sah.

Ich musterte ihn. Er war sehr dunkel gekleidet, ein schwarzer Rucksack war locker um seine linke Schulter geworfen, er stützte sich leicht an seinem Koffer ab und hielt ein Notizbuch in der Hand. Ich wollte mich weiter in der Runde umsehen, aber mein Blick kam nicht von ihm los. Ich-...

Plötzlich ertönte wieder die Stimme von Frau Schiller in meinem Kopf und ich fühlte mich kurz so, als würde ich aus einem Trance erwachen.

„Seid also so offen und lieb wie immer und dann wird das auch alles schon. Die Zimmerlisten hängen im Flur. Los gehtˋs!"

Alle machten sich zum Eingang des Internats auf und ich versuchte, ihn weiter mit meinen Blicken zu verfolgen, aber ich verlor ihn.

„Colin? Coooolin?" Julia stupste mich von der Seite an.

„Ja?"

„Welches Modul hast du eigentlich als Fokus gewählt? Wieder das Theatermodul?" fragte sie mich ironisch.

„Hmm, genau", lachte ich auf. „Nein, ich habe mich für das Literaturmodul eingeschrieben. Mehr lesen und analysieren, ein bisschen zur Ruhe kommen, dachte ich mir." Als ich von dem neuen Modul erfahren habe, war ich sofort begeistert. Das Einstein ist eigentlich eher naturwissenschaftlich orientiert und damit kam ich auch immer gut zurecht, aber das Schreiben war schon immer... ich. Ich schreibe immer, immer und überall. Es kann also echt eines dieser Fächer werden, das mich auch ganz persönlich noch weiter bringen wird.

„Passt zu dir. Aber schade finde ich es trotzdem, dass wir nicht mehr zusammen auf der Bühne stehen", antwortete sie gespielt dramatisch.

„Du bist für die Bühne gemacht, ich bleibe ein bisschen im Hintergrund und-"

Julia quietschte plötzlich auf: „omg omg omg COLIN. Wir gründen einfach unser eigenes Theater. Du schreibst, ich spiele. Du kannst in Ruhe im Hintergrund bleiben, ich stehe in schillernden Kleidern auf der Bühne und bekomme den Applaus. Wir können in Paris spielen, in New York, überall und dann-"

„Okay, okay reicht Julia", versuchte ich sie zu stoppen und wollte ihr eine Hand auf den Mund legen. „Du bist manchmal echt so verrückt", lachte ich. Auch das hatte ich vermisst. Zu jeder Zeit verträumte Gespräche mit meiner besten Freundin führen zu können. „Lass uns jetzt auch mal rein gehen. Neue Mitbewohner:innen warten auf uns."

||nolin|| gefunden in der liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt