26. Colin

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Auch die nächsten zwei Tage vergingen mit einer Leichtigkeit und einem zeitlosen Gefühl. Wir haben gemeinsam mit dem Kurs viele Museen und Sehenswürdigkeiten besucht, in einem Park gepicknickt und die kleinen Straßen und Läden von Paris erkundet. Noah und ich haben sogar Freundschaftsarmbänder für Julia, Ava, Joel und uns gekauft.

Doch die intensivste Zeit kam am Abend auf uns zu, wenn Noah und ich alleine waren und die Stadt mit all ihren Menschen schlief. Wir füllten unser Hotelzimmer mit unserem lauten Atem, mit Berührungen und einer Näher, die ich noch nie zuvor gespürt und erlebt hatte. Gemeinsam fielen wir auf das Bett, unsere Hände glitten langsam unter unsere Kleidung, erkundeten unsere Körper und fühlten die Herzschläge des anderen. Dann zogen wir Kleidungsstück für Kleidungsstück aus, ließen unsere Lippen über den gesamten Körper streifen und sanfte Küsse verteilen. Irgendwann kam dann der Moment, in dem wir unseren Rhythmus fanden, der uns Sekunde für Sekunde in eine Zwischenwelt brachte, bis uns eine Welle überkam und wir den Kopf in den Nacken legten. Für mich war die Nähe, die wir in diesen Nächten eingingen, nicht der letzte Schritt einer Beziehung oder etwas, womit man warten muss, bis man eine gewisse Zeit lang zusammen war. Man muss auch nicht von Anfang an für alles bereit sein, sondern immer nur für den Moment und dieser entfachte sich zwischen uns ab der ersten Berührung in eine absolute Nähe. Während wir miteinander schliefen, lernten wir uns von so vielen Seiten kennen, bauten Vertrauen auf, stärkten unsere Kommunikation und unsere Ehrlichkeit. Um uns lag ein Hauch von Schüchternheit, der sich in der Zärtlichkeit widerspiegelte und alles in mir noch so viel mehr auf kribbeln ließ. Wir waren glücklich, dass wir diese Nächte miteinander erleben durften.

Als wir dann am Ende der Woche früh morgens mit unserem Gepäck vor dem Hotel standen und auf den Reisebus warteten, konnte ich nicht fassen, was die letzten Tage alles geschehen war. Auch im Bus sah ich aus dem Fenster und versuchte zu begreifen, welche Gefühle in mir schwebten, doch es war so undefinierbar. Undefinierbar schön. All die Monate war da etwas zwischen uns, ein kleiner Funke, der sich immer und immer wieder in leisen Worten und vorsichtigen Berührungen gezeigt hatte- und jetzt war dieser Funke entfacht.

Während der Busfahrt hörten wir wieder eine meiner Playlisten, die ich im Verlauf der vergangenen Woche zusammengestellt hatte. In dieser Playlist befanden sich all die Lieder, die uns an die Reise hier in Paris erinnern sollten: songs, die von Straßenmusiker:innen gespielt wurden, die in der Bahn liefen oder auch weitere unterschiedliche Melodien, die mich an unseren ersten Kuss in der Bibliothek erinnerten. Es waren die Soundtracks unserer Gefühle.

Die Busfahrt verlief ruhig und wir tauschten nur sanfte, zurückhaltende Berührungen aus. Da wir die letzten Nächte nicht so viel Schlaf zugelassen hatten, schliefen wir einige Stunden und tankten so viel Energie wie möglich. Wir werden erst am späten Nachmittag wieder im Internat ankommen und am nächsten Tag beginnt wieder der Unterricht... es wird definitiv ein starker Kontrast zu den letzten Tagen hier in Paris sein. Noah hatte mir gezeigt, dass ich Gefühle fühlen darf und nicht immer überdenken muss. Damit öffnete er mir die Tür in eine völlig neue Welt und half mir, mich auf die Schönheit der Gefühle zu konzentrieren. Aber zugegeben: jetzt auf der langen Busfahrt schaltete sich mein Kopf dann doch manchmal ein. Was ist, wenn diese Leichtigkeit, die Noah und mich gerade umgab, verschwand? Wenn es nur der Zauber dieser Stadt war, der uns zusammengeführt hatte? Ich glaubte wirklich an uns und ich war auch wirklich so unglaublich verliebt in ihn, aber meine Gedanken verselbstständigten sich, bis meine Gedanken irgendwann selbst dachten... eine unkontrollierbare Kettenreaktion, die sich so schnell wie umgefallene Dominosteine verbreiteten. 

Ich seufzte leise und lehnte mich ganz leicht an Noahˋs Schulter an. Er sah zu mir hinunter strich mit seinen Fingerspitzen ganz kurz über meine Wange entlang. Wir lächelten auf.

„Wollen wir es eigentlich den anderen sagen?", fragte ich ihn, „also Julia, Ava und Joel?"

Noahˋs Worte aus der Nacht, in der wir zusammenkamen, hallten in meinen Gedanken wieder:

||nolin|| gefunden in der liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt