Paris war einfach unglaublich, aber zurück im Internat zu sein, erfüllte mich mehr, als ich gedacht hätte. Ich war auf Einstein angekommen und es erwartete mich sofort eine wohlige Atmosphäre, die mich aufnahm und entspannen ließ. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, neu zu sein oder mich irgendwo anpassen zu müssen. Ich war da und ich kam einfach nur an. Auch die Gefühle und die Schwerelosigkeit, die Colin und mich in der Woche in Paris begleiteten, blieben. Es gab mir Sicherheit, denn Zeit verstrich, Orte wechselten, aber das Band zwischen uns war unveränderlich gewesen- uns das wird es auch immer bleiben. Es mag sich sehr naiv anhören, aber ich glaubte nicht daran, dass Liebe schwere Zeiten durch machen muss, um sich zu beweisen. Manchmal ist auch einfach mal alles gut. Lieben reicht.
Jetzt saßen wir bei Joel, Colin und mir im Zimmer auf dem Boden, hatten alle einen Kakao in der Hand und waren von Wolldecken eingehüllt, die uns vor dem kalten Herbstwetter schützten. Ich liebte den Herbst, die etlichen Regenschauer, die Kälte und die Blätterstürme, denn es machte alles so viel einfacher, sich drinnen ein gemütlichen Ort zu schaffen.
Als Antwort auf unser Bild, das Colin und ich in die „Fünf Freunde" WhatsApp Gruppe geschickt hatten, erhielten wir Tausende von Herzchen von allen. Und jetzt, wo wir hier in der Runde saßen, hatten Colin und ich auch noch mal gesagt, dass wir wirklich zusammen sind. Wir haben es ihnen gesagt. Ganz einfach, ohne große Worte, aber es fühlte sich so wunderschön an.
„Wir haben es alle gewusst", warft Ava mit vollem Mund ein. „Aber das macht es nicht weniger schön, es von euch zu hören." Auch Julia freute sich für uns und schmiss sich uns sofort in die Ava und Joel... er gab uns mit einem „Glückwunsch" die Hand. Ich konnte in seinen Augen erkennen, dass er es wirklich ernst meinte und deshalb bedeutete es mir viel.
Ich sah zu Colin hinunter, der sich mit unter meine Decke gesetzt hatte und sich an mich lehnte. Meine beiden Arme legte ich um ihn und verband sie vor seiner Brust.
„Hmmm", meldete sich Julia zu Wort und schluckte den letzten Bissen hinunter, „Was macht ihr eigentlich in den Herbstferien? Die sind ja schon in zwei Wochen..."
„Ich bleibe hier", antwortete Ava direkt. „Meine Eltern können sich nicht so spontan frei nehmen. Ich habe auch schon mit der Schiller gesprochen und anscheinend bleiben viele dieses Jahr im Internat. Deshalb sind auch ein paar Ausflüge geplant, soll ganz cool werden."
Julia schien zu überlegen. „Dann lasst doch alle hier bleiben. Colin und ich haben letztes Jahr auch im Internat unsere Ferien verbracht, es hat sich wie eine Klassenfahrt angefühlt. Wir können Nachtwanderungen machen und ewig lange Filmabende. Joel? Colin? Noah? Seid ihr dabei?"
„Dabei", sagten Colin und ich synchron und auch Joel stimmte zu. Dann werden wir auf eine andere Weise doch noch unsere gemeinsame Klassenfahrt bekommen.
„Ah und bevor wir es noch vergessen, Noah und ich haben uns allen etwas aus Paris mitgebracht." Colin setzte sich ein wenig auf. Ich lächelte ihm zu und er holte einen kleinen, roten Beutel aus der Tasche seines Hoodies. Er zog an den Bändern, drehte den Beutel um und kippte den Inhalt aus. In der Mitte lagen nun fünf Armbändchen, die jeweils einen unterschiedlichen goldenen Anhänger hatten: eine Sonne, ein Mond, ein Stern, ein Planet und eine Galaxie.
„Wir dachten, dass das zu uns passt. Denn wir sind in den letzten Monaten eine echt schöne Gruppe geworden, obwohl wir alle so unterschiedlich sind...", traute ich mich zu sagen.
Julia schnappte sich den Stern, Ava den Planeten, Joel die Galaxie, Colin die Sonne und ich mir den Mond. Ab diesem Moment wusste ich, dass ich immer mal wieder auf dieses Armband und den kleinen Anhänger sehen und mich dann daran erinnern werde, dass ich angekommen bin. Auch wenn wir alle irgendwann auf der ganzen Welt verteilt sein sollten.
...
In der Nacht schlichen Colin und ich uns noch heimlich auf den Dachboden. Es war vielleicht nicht besonders schlau, da morgen wieder der normalen Schulalltag begann, aber wir wollten unbedingt noch ein paar Sekunden für uns haben.
„Ich habe unseren Dachboden echt vermisst...", flüsterte Colin und führte mich in Richtung unseres Sitzkissens. Mit einem leichten Schubs landete ich darauf und er legte sich direkt in meine Arme. In der Hand hielt ich das alte, rote Buch, dass wir in dem geheimnisvollen Buchladen in Paris gekauft hatten. Colin und ich verstanden beide nicht so gut französisch, aber wir konnten es uns trotzdem nicht entgehen lassen, ein paar Blicke hinein zu werfen.
„C'est l'histoire d'amour de deux êtres chers qui n'ont jamais eu le droit de s'aimer"
Colin las diese ersten Worte aus dem Buch vor und übersetzte sie gleich:
„Dies ist die Geschichte zweier Liebenden, die sich niemals lieben durften"
„Momentmal", sagte ich, „das ist ein handgeschriebenes Buch. Das bedeutet, dass es vielleicht die einzige Ausgabe ist. Wir wissen nicht, wie viele Menschen dieses Buch gelesen haben. Möglicherweise sind wir sogar die einzigen." Das war definitiv ein unfassbar aufregendes Gefühl.
Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir damit, ein paar Wortfetzen zu übersetzen. Wir verstanden nicht viel und vieles war auch einfach nicht mehr lesbar, aber wir konnten zusammenknüpfen, dass es sich um zwei junge Männer handelte, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich verliebt hatten und ihre Liebe geheim halten mussten. Diese emotionale Reise miterleben zu dürfen, führte dazu, dass Colin und ich an ein oder der anderen Stelle ein paar Tränen vergossen. Dieser Drang und dieses vollkommende Verlangen, etwas unbedingt fühlen und dies ausleben zu wollen, es aber einfach nicht zu können, war wie ein Vulkan, der sich selber dazu zwingt, all das Feuer und die Leidenschaft in sich zu halten- unvorstellbar.
Wir blätterten ein bisschen durch das Buch und entschieden uns dann dazu, die letzten Sätze zu lesen:
L'amour est tout. Tout est amour. Chaque histoire mérite d'être vécue, aimée et racontée.
Wieder übersetzte Colin diesen Satz:
Liebe ist alles. Alles ist Liebe. Jede Geschichte hat es verdient, gelebt, geliebt und erzählt zu werden.
Stille. Es war ein scheinbar einfacher Satz, aber er traf uns beide sehr tief.
„Vielleicht können wir diesem Buch ja irgendwann mal ihre verdiente Aufmerksamkeit geben...", meinte Colin und ich drückte ihn sofort fester an mich.
„Versprochen?"
„Versprochen."
Dann erhob sich Colin aus meinem Arm, setzte sich auf meinen Schoß, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Ich war so unendlich froh und dankbar darüber, dass wir beide alles ausleben konnten. Wir konnten uns lieben, wir konnten uns fühlen, wir konnten sein. Zusammen.
Für immer
Für immer
Für immer
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||nolin|| gefunden in der liebe
FanfictionSchloss Einstein, Noah, Colin und dark academia vibes...