25. Noah

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Es war mit Sicherheit die schönste Nacht meines bisherigen Lebens. Lippen auf Lippen, Haut an Haut und lautes Atmen, welches unsere Herzen in einen neuen Rhythmus brachte- vor allem in einem Moment, der uns gleichzeitig fliegen und fallen ließ.

04:00 Uhr morgens. Wir lagen im Bett und waren umgeben von Decken und Kissen. Doch es waren unsere Berührungen und unsere Körperwärme, die uns vor der kalten Herbstluft schützten und uns gegenseitig zudeckten. In unserer sanften Umarmung fühlte ich mich eingehüllt. Ich spürte seine nackte Brust auf meiner, seine Fingerspitzen, die meine Haut entlang strichen und liebevolle Muster malten. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr ich Hautkontakt liebte, wie besonders eine einfache Berührung sein kann.

Ich sah vom Bett aus aus dem Fenster und konnte nur den dunkel blauen Himmel und ein paar Hausdächer erkennen, doch auch zu dieser Uhrzeit hörte ich ein paar Autos vorbei fahren. Es war ein schönes Gefühl, dass dort draußen das öffentliche, laute Chaos begann und ich hier in Ruhe mit einem wundervollem Menschen lag. Ich sah vom Fenster weg und in Colin's Gesicht. Plötzlich ergab sich ein komplett anderes Bild: als würde ich ein dunkel blaues Gemälde einer Nacht betrachten und dann auf einmal die warme, gelbe Straßenlaterne aufleuchten sehen.

Ich zog ihn näher an mich und Colin öffnete seine Augen. Unser Augenkontakt und die Wärme unserer Körper vermischten sich zu einer einzigartigen Atmosphäre, die mich ankommen ließ... ankommen bei einem Menschen.

Nach einigen Sekunden sah Colin gedankenverloren in den Raum. Ich kannte diesen Blick. Colin war ein Mensch, der viel nachdachte. Es hatte einerseits eine wunderschöne Seite, da es Colin zu Colin machte, der auf jeden Menschen um sich herum Acht gab und sehr aufmerksam war. Aber andererseits wusste ich auch, dass diese vielen Gedanken ihn sehr bedrückten, er sich von ihnen losreißen wollte und manchmal auch ein bisschen Hilfe dabei brauchte.

„Woran denkst du gerade?", flüsterte ich in den Raum. Colin setzte sich ein wenig auf, beantwortete aber die Frage nicht.

„Wollen wir uns an das Fenster setzen?", fragte er stattdessen.

Als Antwort richtete ich mich ebenfalls auf und warf uns unsere Hoodies über. Ich nahm seine Hand, stand auf und ging mit ihm auf das Fenster zu. Wir setzten uns gegenüber auf die Fensterbank und sahen hinaus. Das dunkel blaue Licht dieser Nacht dämmerte leicht durch das Fensterglas uns gab uns eine sanfte Hintergrundbeleuchtung. In diesem Moment war Paris bis auf vereinzelte Menschen leer, Ruhe herrschte über die Stadt und nur wenige Lichterpunkte waren zu sehen. Colin schien sich den Ausblick genau anzusehen. Seine Augen bewegten sich nur langsam voran und ich wusste, dass ihm viele Details auffielen, die die meisten Menschen übersehen würden.

„Hey...", hauchte ich sanft zu ihm, „Ist alles gut bei dir?"

Er atmete laut aus: „Ja, es ist nur...ich..." Er richtete sich etwas auf sah mich lächelnd an. Dieses Lächeln beruhigte mich, da es mir zeigte, dass alles gut war und keine schweren, bedrückende Gedanken sein Inneres beherrschten. Er sprach weiter: „Noah, ich... hör auf so zu lächeln, sonst kann ich nicht klar sprechen!!"

Ich verfiel in einen kleinen Lachanfall und riesige Freude überkam mich. Ich spürte, dass jetzt der Moment kam, in dem wir eines unserer schönsten Gespräche haben werden. Also wurde ich wieder etwas ruhiger und nahm dann seine Hand. Mein Strahlen im Gesicht blieb jedoch weiterhin bestehen.

„Noah, ich möchte, dass du weißt, dass ich... dass ich sehr viel für dich empfinde...", sagte Colin mir und sah mir dabei mit einem ehrlichen Blick in die Augen.

„Colin... ich will, dass all diese Gefühle zwischen uns für immer da sind..."

„Also fühlst du so wie ich?"

„Ja", atmetet ich aus. „Ja, das tue ich. Colin, ich will mit dir..., ich will es aussprechen, es jedem Menschen sagen, der es verdient..."

„... ich will deine Hand halten, dein Gesicht berühren, deine Lippen spüren...", sprach Colin weiter. Mit jedem Wort mehr, das zwischen uns fiel, schlug mein Herz schneller und schneller und schneller...

„Ich möchte mit-...", ich atmete schnell.

Colin nickte. „Ja, das will ich auch. Ich möchte auch mit dir..."

„...zusammen sein..."

Bei diesen Worten sah er mich mit leuchtenden Augen an und ich wusste, dass es richtig gewesen war, diese Worte auszusprechen. Er ließ meine Hand los, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich.

Unsere Lippen trafen immer wieder aufeinander, die vorherigen Worte verwandelten sich in Berührungen und füllten unsere kleine Welt mit den intensivsten Gefühlswellen, die ich jemals spüren durfte.

„Warst du schonmal mit jemanden zusammen?", fragte ich ihn.

Er räusperte sich. „Letztes Schuljahr... Julia und ich hatten es für einige Woche probiert, aber wir hatten erkannt, dass wir als Freunde besser funktionieren."

„Ah", gab ich von mir. Interessant. Ich musste wohl zu lange auf einen Punkt gestarrt haben, denn Colin hob mit seiner Hand meinen Kopf und blickte mir tief in die Augen. „Aber das wird uns nicht passieren, okay? Ich glaube nicht, dass wir dafür gemacht sind, um nur befreundet zu sein."

Ich nickte und er drückte mir einen schnellen Kuss auf meine Lippen.

„Und du? Hattest du schonmal eine Beziehung?"

„Nein, noch nie. Ich hatte aber auch generell sehr selten und auch nur wenige Freunde."

„Jetzt hast du uns: Joel, Ava, Julia und... mich. Du hast mich."

„Oh Colin!" Ich warf mich in seine Arme und legte meinen Kopf auf seine Brust. „Ich bin so unendlich glücklich, dass ich euch und vor allem dich auf dieser Welt gefunden habe. Ich frage mich die ganze Zeit, wie mein Leben jetzt aussehen würde, wenn meine Eltern niemals ihre Arbeit in Deutschland angenommen hätten oder ich auf eine andere Schule gegangen wäre..."

„Eigentlich bin ich doch derjenige, der so viel nachdenkt", schmunzelte er.

„Ja, aber hätte ich dich nicht kennengelernt, dann wäre ich wohlmöglich alleine geblieben, alleine in meinem Kopf."

„Weißt du, was ich mir immer denke und vorstelle? Das Leben ist viel zu kurz, um alles einmal erlebt zu haben. Deshalb treffen wir Entscheidungen... aber es bleiben ja noch die offen, für die wir uns niemals entschieden haben, wir wissen also nicht, wie unser Leben aussehen würde, hätten wir andere Entscheidungen getroffen. Es könnte ein komplettes anderes Leben sein, andere Orte, andere Menschen, andere Gefühle... aber ich glaube nicht, dass diese Möglichkeiten ungelebt bleiben. Ich glaube, dass es irgendwo da draußen eine Welt gibt, in der wir auch das leben werden, das in dieser Welt nicht von uns gelebt werden kann..."

Colin hatte so wunderschöne Vorstellungen über das Leben. Sie waren oft sehr tröstlich. 

„Glaubst du, wird sind auch in dieser Welt zusammen?"

„Ich glaube, wir sind in jeder Welt zusammen."

So saßen wir also vor diesem Fenster. Ich war mir sicher, dass man von draußen unsere Silhouetten sehen konnte und dass es ein unglaubliches Bild ergab: ein riesiges, altes Hotel, hunderte kleine Fenster an einer Fassade und in der Mitte ist ein Fenster, vor dem sich zwei Menschen in der Morgendämmerung küssen. Ein unglaubliches Gefühl, dass Colin und ich diese Menschen waren.

Colin lehnte sich ein wenig aus unserem Kuss heraus. Dann fragte er mich: „Kannst du mir vorlesen?"

Ein breites Lächeln malte sich auf meine Lippen. Ich hatte erwartet, dass dieser Moment irgendwann kommen wird und natürlich stimmte ich zu. Ich stand auf, nahm ein Gedichtbuch aus der Tasche und setzte mich wieder zu ihm. Colin drehte mir den Rücken zu und legte sich so in meinen Körper, meine Arme schlang ich um ihn und drückte ihn noch fester an mich. Dann fing ich an zu lesen.

Gedichte strömten in den Raum, durch das Fenster und über die Dächer von Paris. Und plötzlich war jedes Liebesgedicht über uns geschrieben.

||nolin|| gefunden in der liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt