Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Nachfolgend berichten wir über Herrn M. R., geb. 21.03.1999, GBNr. 326/2020, der sich vom 22.07.2020 bis zum 16.09.2020 erstmals in unserer stationär-psychiatrischen Behandlung befand.
Diagnose:
Paranoide Schizophrenie (ICD 10 F20.0)Vorgeschichte:
Er sei in Augsburg zur Welt gekommen und dort bei seinem Vater aufgewachsen. Die Eltern seien nicht verheiratet gewesen. Kontakt zur Mutter sei immer vorhanden gewesen. Der Vater sei bereits verstorben. Nach dem Besuch des Kindergartens sei er im Jahre 2004 eingeschult worden. Er habe die Grund- und Hauptschule besucht. Die Hauptschule habe er mit dem Qualifizierenden Abschluss verlassen. Die anschließende Lehre habe er abgebrochen. Im Jahre 2017 sei bei ihm eine hebephrene Schizophrenie diagnostiziert worden. Das sei aber nicht richtig gewesen. Im selben Jahre sei er mit Sertralin und Mirtarzapin behandelt worden. Das habe ihm nicht gutgetan. Seitdem habe er Bauchbeschwerden. Er habe die beiden Medikamente nach zwei Wochen wieder abgesetzt.Einem Arztbrief des BKH Augsburg über den Aufwnthalt vom 24.04.2018 bis 04.05.2018 ist an der Diagnose, eine hebephrene Schizophrenie und eine reaktive Depression zu entnehmen. Der Patient hatte damals einen Betreuer. Dieser legte die Betreuung nieder wegen unkooperativen Verhaltens des Herrn M. Damals wurde Herr M über die psychiatrische Institutsambulanz weiterbehandelt. Aus der Vorgeschichte sind zwei Suizidversuche zu entnehmen. An Symptomen bestanden Ich-Störungen und akustische Halluzinationen. Die Behandlung erfolgte mit Risperidal und Abilify. Die Entlassung in das betreute Wohnen war nicht möglich. Eine Wiederaufnahme wirde abgelehnt. Herr M wurde in der Obdachlosenunterkunft aufgenommen.
In der hiesigen Aufnahme erklärt Herr M, dass er auf der Straße gelebt habe. Er habe von Kindergeld gelebt. Kurz vor seiner Entlassung habe ihn ein Bekannter aufgenommen. Wegen Brandstiftung sei er verhaftet worden.
Dem Brief der Kollegin aus Niederschönenfeld ist zu entnehmen, dass Herr M seit langem über Magenschmerzen, Sodbrennen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Schwindel und Kraftlosigkeit klagt. Eine Gastroskopie am 14.05.2020 ergab einen weitgehend unauffälligen Befund. Herr M ist auf Pantozol versteift. Er habe immer wieder depressiv gewirkt. Es bestand eine Essstörung und eine depressive Stimmung. Eine psychiatrische Behandlung wurde nicht gewünscht. Man erhoffe sich nun von der jetzigen Aufnahme in Straubing, eine Besserung des Befindens.
Anlass der Aufnahme:
Zur diagnostischen Abklärung wird uns der Patient Zuverlegt. Im Aufnahmegespräch wirkt Herr M schüchtern und in sich gekehrt. Er nimmt kaum Blickkontakt auf. Er spricht nur leise. Spontane Angaben erfolgen nicht. Er habe gastrointestinale Beschwerden. Seit sechs Monaten seien diese noch schlimmer. Er habe keine Depression. Er habe keine Suizidgedanken. Die beiden Suizidversuche seien schon lange her. Er habe selber hierher gewollt. Es gefalle ihm aber hier nicht. Er nehme viel Flüssigkeit zu sich. Er versuche zu essen. Er habe eine Refluxkrankheit. Er glaube nicht, eine Essstörung zu haben. Medikamente wolle er nicht, nur Pantozol. Dieses brauche er unbedingt. Er rauche 20 Zigaretten pro Tag. Ohne Zigaretten müsse er Erbrechen. Er wolle bald wieder in das Gefängnis zurück.Psychischer Befund bei Aufnahme:
Der Patient ist wach, bewusstseinsklar und orientiert. Im Kontaktverhalten ist er misstrauisch und verschlossen. Er sitzt in verkrampfter Haltung vor dem Referenten. Er ist in sich zusammengekauert. Er wirkt ängstlich und misstrauisch. Produktive psychotische Symptome und paranoide Symptome werden verneint. Stimmen habe er noch nie gehört. Die Stimmung wirkt bedrückt, aber nicht depressiv. Ein emotionaler Kontakt kann nicht hergestellt werden. Eine emotionale Schwingungsfähigkeit liegt nicht vor. Krankheitseinsicht und Therapiemotivation fehlen. Wesentliche mnestische und kognitive Defizite sind nicht zu eruieren. Von einer Minderbegabung ist nicht auszugehen. Hinweise für Suizidalität finden sich nicht. Überwachung ist aber erforderlich, um diagnostische Klarheit zu erhalten. Von Fremdaggression ist nicht auszugehen.Eintrag vom 04.08.2020
Der Patient wird in seinem Haftraum aufgesucht. Es fällt auf, dass eine Unmenge an handschriftlichen Erzeugnissen herumliegt. In diesen Blättern beschäftigt er sich mit der Konstruktion von Schiffen, U-Booten und Fahrzeugen aller Art. Das Ganze wirkt größenwahnsinnig. Es fällt auch auf, dass Wortneubildungen und assoziative Lockerungen sich in den Schriftstücken zeigen. Es werden Wortreihen aneinander gereiht und auch Zahlenreihen, ohne Sinn und Logik. Es finden sich auch gedichteähnliche Reime. Das Ganze wirkt sehr sprunghaft und weitschweifig. Der Patient lässt sich nicht vom Krankheitswert seiner schriftlichen Äußerungen überzeugen. Er sei gesund. Er glaube auch nicht, dass seine körperlichen Beschwerden durch Coenästhesien und Leibhalluzinationen bedingt sind. Eine Schizophrenie habe er nie gehabt. Die Einnahme von Antipsychotika wird abgelehnt. Der Patient ist sehr weinerlich und dysphorisch. Er reagiert angespannt und droht mit einer Anzeige.Laborbefund:
Siehe beiliegende Befundkopie.EKG vom 23.07.2020:
Norm-EKG. QTC 350 ms. Bradykardie.Zusammenfassung und Beurteilung:
Zu Beginn des stationären Aufenthaltes präsentiert sich Herr M oftmals agitiert, verzweifelt, beklagte Schmerzen aufgrund falscher Nahrungsmittel und drängte wiederholt auf sofortige Rückverlegung in die JVA Niederschönenfeld, wobei er hierbei auf einen Einzeltransport bestand. Zudem zeigten sich deutliche Hinweise für ein bizarres Größenwahnerleben. Die zu Beginn des Aufenthaltes verordnete Bedarfsmedikation in Form von Lorazepam und Dimenhydrinat wurde vehement eingefordert, darüber hinaus eine vorübergehende Behandlung mit Vareniclin wegen Tabakentzugs gewünscht. Psychopathologisch zeigten sich zunehmend Auffälligkeiten, die auf einen autistischen Selbstbezug hindeuteten, da Herr M nicht bereit war, am gemeinsamen Hofgang teilzunehmen beziehungsweise diesen regelmäßig vorzeitig abbrach. Bei Klagen über Albträume und diffuse Ängste wurde am 10. August eine Medikation mit Olanzapin eingeleitet, von Herrn M allerdings bereits nach einer Woche abgelehnt, da er unter Schwindel und Albträumen leide. Allerdings erklärte er sich mit einer Umstellung auf Haloperidon einverstanden, welches in der Folgezeit wegen vermehrten Speichelflusses auf Aripiprazol umgestellt wurde. Unter einer kontinuierlichen antipsychotische n Medikation kam es zu einer deutlichen Rückbildung der vormals bestehenden psycjopathologischen Auffälligkeiten: Klagen über gastrointestinale Beschwerden wurden weitaus seltener, Herr M beteiligte sich zunehmend am Hofgang, schließlich wünschte er von sich aus die gemeinschaftliche Unterbringung mit einem Mitpatienten, um sich mit ihm gemeinsam die Zeit besser vertreiben zu können. Die Bedarfsmedikation in Form von Lorazepam konnte kontinuierlich reduziert werden, ein endgültiger Verzicht auf Pantozol, Dimenhydrinat und Magaldrat war Herrn M allerdings zuletzt nicht möglich. Er konnte in deutlich gebesserter Verfassung, seinem Wunsch entsprechend, in die JVA Niederschönenfeld zurückverlegt werden. Sein Plan ist es, die verbleibende Haftzeit von etwa einem Jahr für einen handwerklichen Lehrgang zu nutzen. Er bat um die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung, die im Vorfeld der Haftentlassung noch in Niederschönenfeld angeregt werden sollte, um eine adäquate Weiterversorgung sicherstellen zu können. Hinweise für akute Fremd- oder Selbstgefährdung ergaben sich zum Zeitpunkt der Verlegung nicht.Medikation bei Entlassung:
Aripiprazol 10mg 0-1-0
Pantozol 20mg 1-0-1
Vomex 50mg Tabletten beziehungsweise Riopanbeutel bei BedarfBei kontinuierlicher Behandlung mit Psychopharmaka werden von den Fachgesellschaften regelmäßige Labor, EKG, Gewicht, Blutdruck- und Pulsuntersuchungen empfohlen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
i.V. Dr. G. G.
MD Dr. Med. R. S.
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Forensischer Psychiater (DGPPN)
Verkehrs- und Suchtmediziner (BLÄK)

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Die Akte
Teen FictionHier geht es um eine originale Krankenakte eines eher nicht normalen Menschen. Liest selbst. :)