Kapitel 24 - advice

371 11 0
                                    

Wir saßen zwei Stunden lang nebeneinander auf Julias Couch. Die ersten Minuten hatte ich vor lauter Weinen kein Wort rausgebracht. Julia hatte mich einfach nur getröstet und mir Taschentücher gereicht, dann hatte ich angefangen, zu erzählen.
Ich fing ganz von vorne an, und diesmal ließ ich kein Detail aus. Ich erzählte ihr alles, vom Frühstück im AlsterCliff bis zum zweiten Date am See, über den Abend bei ihm zuhause inklusive dem ersten Kuss, bis zu dem Tag im Freibad und dem Abend in meiner Wohnung. Ich erzählte von unserem Gespräch über die Nachrichten, die manche Fans ihm schickten und dass er vor mir erst eine einzige Freundin gehabt hatte, mit der er Schluss gemacht hatte, als seine Karriere Fahrt aufgenommen hatte. Und ich erzählte von dem Abend bei seiner Show in Hamburg, nach der wir uns in seinem Hotelbett unterhalten und er mir vorgeschlagen hatte, meinen Job zu kündigen und mit zu ihm zu kommen. Zum Schluss erzählte ich von den Typen, die uns auf der Straße angepöbelt hatten, von den Hasskommentaren und von Felix' Reaktion darauf.
Danach war Julia ein paar Sekunden lang still gewesen und hatte mich nur stumm angeschaut. "Wow", murmelte sie. "Das muss ich erstmal alles verarbeiten."
Sie holte Luft und sah mich mit ernster Miene an.
"Okay Mila, ich weiß, dass du das jetzt absolut nicht hören willst." Sie räusperte sich. "Aber als deine Freundin muss ich es dir sagen. Findest du nicht, dass deine Reaktion... ein bisschen übertrieben ist?" Ich blinzelte sie irritiert an. "Was meinst du?"
Sie seufzte. "Na, dass du ihm sofort vorwirfst, dass du ihm nicht wichtig bist und dann direkt deine Koffer packst."
Autsch. In meiner Wut hatte ich darauf gar nicht geachtet. "Vielleicht habe ich überreagiert, aber was ist mit ihm? Findest du nicht, dass er nicht auch seinen Teil dazu beigetragen hat, dass das Ganze so eskaliert ist?" Sie überlegte.
"Doch schon, aber du musst auch ihn verstehen. Er hat zum ersten Mal, seit er berühmt ist, eine Freundin und plötzlich prasseln diese ganzen Nachrichten auf ihn ein. Das ist wahrscheinlich auch für ihn nicht einfach."
Ich stützte mein Kinn auf meine Handfläche und atmete frustriert aus. "Oh Mann, du hast Recht. Jetzt komme ich mir wirklich blöd vor." Sie streichelte mir beruhigend über den Arm.
"Schon gut. Ich bin mir sicher, wenn ihr darüber redet, renkt sich das schnell wieder ein."
Kurz überlegte sie, bis sie zu ihrer nächsten Frage ansetzte. "Hast du denn mal darüber nachgedacht, warum dich diese Kommentare überhaupt so treffen?" Ich starrte sie ungläubig an. "Na, weil sie beleidigend und unverschämt sind." Ungeduldig nickte sie.
"Ja, schon, aber warum spielt das überhaupt eine Rolle? Ist es nicht viel wichtiger, wie Felix sich dir gegenüber verhält, wenn ihr alleine seid?"
Das musste ich erstmal wirken lassen. Für ein paar Sekunden dachte ich über ihre Worte nach, dann seufzte ich. "Ich schätze, der Grund, warum mir das so nahe geht, ist, dass ich genau weiß, wie begehrt er ist und die Kommentare das unterstreichen. Außerdem hat er schon mal eine Beziehung beendet, um sich auf seine Karriere zu konzentrieren. Wer sagt mir, dass er das nicht wieder machen würde? Vielleicht werde ich ihm irgendwann zu anstrengend und er schießt mich auch ab."
Zu meiner Überraschung lachte Julia kurz auf, dann schüttelte sie den Kopf. "Erstens weißt du das nicht, und zweitens: wenn, dann würde er das doch nicht wegen ein paar dummen Kommentaren im Internet machen, Mila." Sie schüttelte den Kopf und lächelte mich aufmunternd an. Dann fiel ihr Blick auf meinen Koffer, der neben ihrem Regal in der Ecke stand. "Was hattest du mit dem eigentlich vor? Wolltest du wirklich zurück nach Hamburg fahren?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, ich schätze schon."
Sie schüttelte den Kopf. "Das ist absoluter Unsinn. Wenn du jetzt einfach gehst, machst du es nur noch schlimmer." Kurz überlegte sie. "Heute Abend schläfst du auf jeden Fall bei mir und morgen schauen wir weiter. Okay?"
Schniefend zog ich die Nase hoch und nickte. "Okay."
Als ich in Julias Gästebett lag und mich in meine Decke eingekuschelt hatte, griff ich zum ersten Mal seit Stunden nach meinem Handy. Seit ich heute Mittag die Kommentare gelesen hatte, hatte ich es nicht mehr angerührt, außer, um es in meine Tasche zu schmeißen. Jetzt starrte ich auf die Benachrichtigungen.

39 verpasste Anrufe und 7 neue Nachrichten von Felix 🔥

Ich schluckte. Verdammt. Wahrscheinlich hatte ich es wirklich versaut. Ich entsperrte den Bildschirm und öffnete WhatsApp.

Felix 🔥: Wo bist du?

Felix 🔥: Emilia, es tut mir so unendlich leid.

Felix 🔥: Du fehlst mir. Bitte komm zurück.

Felix 🔥: Ich weiß, dass meine Reaktion unangemessen war, aber wir können über alles reden.

Felix 🔥: Bitte ruf mich zurück.

Felix 🔥: Mila... ?

Felix 🔥: Ich leg mich jetzt schlafen. Mein Handy lasse ich auf laut, falls du reden möchtest.

Erneut merkte ich, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf, dann wischte ich mir über die Augen, öffnete die Telefon-App und klickte auf die Benachrichtigung mit den 39 verpassten Anrufen.
Nach nur einem Klingeln ging Felix an. "Mila?" Seine Stimme klang leicht panisch.
"Wo bist du? Bist du nach Hamburg gefahren?"
Ich schüttelte den Kopf, dann merkte ich, dass er mich ja nicht sehen konnte. "Nein, ich bin bei Julia." Ich zog die Nase hoch, dann sagten wir beide synchron: "Es tut mir leid."
Ohne, dass ich es verhindern konnte, entfuhr mir ein kurzes Auflachen. Durch das Telefon konnte ich hören, dass er ebenfalls schmunzelte.
"Wofür entschuldigst du dich jetzt?", fragte er verwirrt. Ich seufzte. "Ich hab total überreagiert", murmelte ich zerknirscht.
"Und ich hab unterreagiert", sagte er und ich musste lachen. Dann wurde ich wieder ernst und drehte mich mit dem Handy in der Hand auf den Bauch. "Ich weiß. Schätze, wir haben uns beide blöd verhalten", murmelte ich.
"Ja, das glaub ich auch." Er klang mindestens so niedergeschlagen wie ich, was mir einen Stich versetzte. Das letzte, was ich gewollt hatte, war, Felix zu verletzen.
"Also... kommst du morgen wieder nach Hause?", fragte er kleinlaut und ich zuckte kaum merklich zusammen. Nach Hause. Für einen kurzen Moment überlegte ich, dann seufzte ich auf. "Ich glaube, ich will wirklich erstmal nach Hamburg fahren. Ich brauche ein bisschen Abstand und einen kühlen Kopf. Meinen Laptop hab ich dabei", fügte ich schnell hinzu. "Wenn du willst, kann ich auch von Hamburg aus arbeiten."
Kurz war es still am Telefon, dann hörte ich ein Seufzen. "Okay", sagte er. "Das versteh ich... irgendwie." Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. "Du musst auch nicht unbedingt arbeiten, wenn du nicht kannst." Er atmete tief durch. "Am wichtigsten ist, dass es dir gut geht, hörst du?" Ich unterdrückte einen erneuten Tränenanfall. Schnell fächerte ich mir mit der Hand Luft zu, dann schloss ich die Augen. Wie hatte ich nur jemals denken können, dass ich ihm nicht wichtig sein könnte? Ich war wirklich eine Idiotin.
"Okay. Ich schau mal, wie ich mich fühle." Eine kurze Pause kehrte ein, dann holte ich nochmal Luft.
"Und Felix?"
"Ja?"
"Ich liebe dich."
Ich hielt die Luft an, bis ich am anderen Ende ein Grinsen hörte.
"Ich liebe dich auch, Emilia. Schlaf gut."
Erleichtert atmete ich aus.
"Du auch."

Verkopft (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt