Mein Kleid ist ein Traum. Dieses Mal meine ich es sogar ernst.
Im Gegensatz zu den Eröffnungskostüm ist der Stoff nicht türkis, wie seichtes Meer sonder mitternachtsblau wie der weite, offene Ozean.
Der Stoff fließt in breiten Wellen um mich herum und schleift über den Boden. An den Enden wird er heller und kräuselt sich, wodurch der Eindruck entsteht, dass mein Kleid wirklich an Steinen bricht und Gischt entsteht.
Ich bin eine Welle.
Zumidest habe ich dieses Mal wenigstens etwas ordentlich an, obwohl mein Ausschnitt trotzdem gewagt ist. Ich darf mich bloß nicht zu weit nach vorne beugen.
Ich sehe mich begeistert im Spiegel an und drehe mich dann zu Brooke um.
"Es ist fantastisch!", sage ich und lächel.
Sie grinst breit.
"An dir würde alles fantastisch aussehen, Schätzchen", sagt sie, "Du bist eine stylistische Goldgrube."
"Danke", sage ich und drehe mich nochmal im Kreis.
"Meine Güte, Mädchen, beruhig dich!", sagt Brooke und hält mich am Arm fest, "Du trittst mir am Ende noch auf das Kleid. Der Stoff ist empfindlich!"Mehrere tausend Menschen jubeln den Tributen zu, als wir im Entenmarsch die Bühne betreten und uns auf Stühle in einem Halbkreis setzen. Als Caesar Flickerman die Bühne betritt entsteht im Zuschauerraum ein kleiner Tumult, den Caesar jedoch schnell wieder beruhigt. Der Moderator sieht in seinem blauen Anzug genauso aus wie immer, mit dem Unterschied, dass seine Haare dieses Jahr einen hellen Lavendelton haben.
Er begrüßt die Menge ganz begeistert zu den 71. Hungerspielen und sagt, dass er denkt, dass dieses Jahr ganz besondere Spiele werden. Dann erklärt er die Regeln der Interviews: Jedes Tribut hat genau drei Minuten Zeit, um das Publikum von sich zu überzeugen.
Als Erste ist das Mädchen aus Distrikt 1, Grace, an der Reihe. Sie trägt einen silbernen Jumpsuit, der praktisch nichts der Phantasie überlässt und ein starker Gegensatz zu ihrer dunklen Haut ist. Normalerweise stehen ihre Haare in krausen Locken von ihrem Kopf ab, aber für heute Abend wurden sie geglättet und reichen ihr jetzt bis zur Hüfte. Ich will gar nicht wissen, wie lange das gedauert hat.
Nach ihr ist Hunter dran, dann die weiblichen und männlichen Tribute aus 2 und 3.
Als Caesar mit meiner Anmoderation beginnt, fängt mein Herz wie wild an zu schlagen. Ich atme tief durch und versuche, mich zu beruhigen.
"Und nun, meine Damen und Herren, dürfen wir hier eine umwerfende junge Dame begrüßen, die aus einer vielversprechenden Familie kommt. Wir kennen sie und wir lieben sie! Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir ALYSSA ODAIR!"
Ich stehe auf und gehe auf Caesar zu. Durch das leise Knacken höre ich, dass mein Mikrophon geöffnet wird und ich sage: "Danke für die schönen Worte, Caesar", um das erste Wort zu haben.
"Aber gerne doch, Alyssa", sagt Caeser und schüttelt meine Hand, "Komm, setzt dich doch zu mir."
Der Applaus und Jubel der Menge hält so lange an, dass Caesar die Menge beruhigen muss.
"Nun aber gut", grinst er in die Menge, "Sie wollen doch nicht die kostbare Zeit von Alyssa verschwenden!"
Es wird sehr schnell still. Caesar dreht sich mit einem Lächeln zu mir.
"Nun, Alyssa", sagt er und lehnt sich zu mir, als ob er mir gleich ein Geheimnis verraten will, "was dürfen wir in der Arena von dir erwarten?"
Ich werfe einen Blick auf meine Mittribute hinter mir.
"Ich möchte noch nicht zu viel verraten", sage ich und wende meinen Blick dem Publikum zu, "aber ihr habt gesehen, was mein Bruder mit vierzehn alles verbracht hat."
Meine Stimme wird tiefer, verschwörerischer: "Ich hatte das gleiche Training, die gleichen Ausbilder und das gleiche Umfeld wie er... und zwei Jahre länger Zeit, um meine Fähigkeiten zu perfektionieren."
Ich sage nicht mehr. Die Leute dürfen sich ruhig die Köpfe über mich zerbrechen und ich gebe keine Geheimnisse über mich preis, wenn die anderen Tribute es mitbekommen. Ich will ihnen keinen Anhaltspunkt geben, auf was sie sich vorbereiten müssen.
"Deine fantastische Leistung von 11 Punkten wird natürlich nicht aus dem Nichts kommen", sagt Caesar. Ich nicke langsam.
"Aber lass uns über die Ernte sprechen. Du hast dich nicht freiwillig gemeldet. Was war dein erster Gedanke, als dein Name fiel?"
Ich zögere nicht und erzähle vor tausenden von Leuten die Lüge, an der Finnick und ich gearbeitet haben: "Ich habe gedacht, dass ich eine Chance bekomme, das Kapitol zu sehen." Ich rufe Erinnerungen aus meiner Kindheit hervor. Glückliche und liebevolle Erinnerungen und hoffe, dass meine Augen strahlen, während ich weiterrede: "Jedes Mal, wenn Finnick aus dem Kapitol zurückkam, erzählte er so wundervolle Geschichten darüber, wie ihr hier lebt und ich wollte als Kind nichts anderes, als wenigstens einmal in meinem Leben das Kapitol zu sehen. Durch die Spiele habe ich jetzt die Möglichkeit, mir ein Platz hier im Kapitol zu erkämpfen."
Ich muss mich zwingen, die Worte zu sagen. Sie stecken in meinem Hals wie eine Gräte. Aber sie zeigen Wirkung. Manche klatschen, andere legen berührt die Hände auf die Brust oder lächeln mir verständnisvoll zu. Caesar nickt lächelnd: "Das ist ein wunderschön Grund für dich zu kämpfen, Alyssa", er wendet sich dem Publikum zu, "Ich kriege eine Gänsehaut." Er zieht seinen Anzugärmel hoch um der Menge seinen Unterarm zu zeigen.
"Ich darf natürlich nicht parteiisch sein, doch ich hoffe wirklich für dich, dass dein Wunsch in Erfüllung geht", sagt Caesar und fügt dann hinzu, "Alyssa, dein Kleid ist wirklich wunderschön. Deine Stylistin hat ganze Arbeit geleistet!"
Er steht auf und geht an den Bühnenrand.
"Meine Damen und Herren, fühlt ihr euch beraubt, wenn diese wunderschöne junge Frau sich nicht in diesem atemberaubenden Kleid präsentiert?", fragt er ins Publikum.
Die Leute stehen auf, klatschen und trampeln mit den Füßen.
Caesar lächelt mir zu und deutet eine Verbeugung an, als ob er mir die Bühne überlässt.
Ich stehe auf und gehe in die Mitte der Bühne und drehe mich einige Male elegant im Kreise. Die Menge jubelt. Als ich anhalte und meinen Rock richte ertönt mein drei-Minuten-Signal. Ich verabschiede mich mit einem tiefen Knicks und gehe zurück auf meinen Platz. Als ich dem Publikum den Rücken zuwende und die Tribute ansehe, sehe ich in viele neidische oder wütende Gesichter. Auf Hunters Gesicht spiegelt sich Abscheu wieder. Als nächstes wird Clyde aufgerufen. Er sieht mich nur mit einer hochgezogenen Augenbraue an, bevor er selbst zu Caesar geht.Als alle Tribute ein Interview mit Caesar Flickerman hatten, stehen wir zur Hymne auf. Danach gehen wir zurück zu unseren Unterkünften. Ich gehe direkt ins Bett, mit der Absicht, meine vielleicht letzte Nacht in einem echten Bett so gut es geht zu genießen.
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Games of the Sea (Tribute von Panem ff)
FanficAls Alyssas Name bei der Ernte fällt, horcht ganz Panem auf. Finnick Odairs kleine Schwester wird in den Hungerspielen antreten! Das Kapitol ist begeistert, doch für Alyssa zählt nur der eine selbstsüchtige Gedanke, dass sie überleben will. Und so b...