Die 75. Hungerspiele

98 3 2
                                    

Meine Sorge ist unbegründet gewesen. Mein Stylist schafft es, mich, wie jedes Jahr, umwerfend aussehen zu lassen. Meine Kostüme sind nicht mehr so prunkvoll, wie in meinem Siegerjahr, doch trotzdem noch ausgefallener, als die der anderen Sieger. Ich trage ein Kleid, das meinen Körper wie flüssiges Gold umfließt. Während ich mich im Spiegel beobachte, denke ich über meine Aufgabe nach. Finnick hat mich vorhin zur Seite genommen.
"Du übernimmst Peeta und ich Katniss", hat er mir leise ins Ohr geflüstert und darauf gebaut, dass ich verstehe.
Und ich verstehe.
Finnick will mehr über das tragische Liebespaar aus Distrikt 12 herausfinden. Angefangen damit, ob sie wirklich so unsterblich ineinander verliebt sind, wie sie behaupten.
Ich begutachte mich im Spiegel. Ich sehe gut aus. Vielleicht bin ich durch meinen Status im Kapitol zu selbstsicher geworden, doch ich finde mich unwiderstehlich. Wenn Peeta seine Liebe zu Katniss nur spielen sollte, bin ich seine Prüfung. Zu mir hat noch nie jemand "nein" gesagt.

Die Türen des Aufzuges im neu gebauten Trainingscenter für das Jubeljubiläum öffnen sich beinahe lautlos. Umwölbt von goldenen Wellen aus Stoff trete ich in die große Halle, in der zwölf Wagen auf ihre Tribute warten. Ich sehe viele bekannte Gesichter. Ich spüre viele Blicke auf mir ruhen. Mein Blick aber schweift zu dem Gespann ganz am Ende der Reihe. Ich sehe eine Gestalt in schwarz, die aber ganz eindeutig weiblich ist bei einem der Pferde stehen. Außerdem ist da Finnick, der sich aus dem Trog der Pferde einige Stückchen Zucker nimmt und auf Katniss zugeht, während er sich ein Stück in den Mund schiebt.
Neben mir öffnet sich sirrend die Tür eines weiteren Aufzugs. Durch die Glaswände, in denen die Lifts unterwegs sind, erkenne ich schon vorher, dass es Peeta ist. Ich gebe ihm drei Schritte Vorsprung, bis zu ihm aufschließe. Er trägt den gleichen schwarzen Overall wie seine Distriktpartnerin.
"Peeta Mellark", säusele ich, "der Herzensbrecher aus Distrikt 12."
Er dreht sich langsam zu mir um.
"Hallo Alyssa", sagt er trocken. Ich höre die Missgunst in seiner Stimme. Er bleibt stehen und ich stelle mich vor ihn, um ihn den Weg zu versperren.
Wir behandeln uns, als kennen wir uns, obwohl wir uns das erste Mal begegnen.
"Wie lebt es sich den so, als Sieger?", frage ich ihn mit tiefer Stimme und trete sehr nah an ihn heran, "Besonders mit deiner Verlobten."
Er weicht nicht zurück oder schaut weg. "Ich kann mich nicht beklagen", antwortet er trocken.
"Ist sie denn so wie du sie dir vorgestellt hast? Ohne die Kameras und den Trubel?", hake ich nach.
"Mein Privatleben geht dich nichts an", versucht er mir auszuweichen.
Ich lächele süß und schüttele den Kopf. "Ganz im Gegenteil, Süßer", erwidere ich, "Du bist ein Sieger. Dein Privatleben geht ganz Panem etwas an. Glaub mir."
Wir sehen beide zu Katniss und Finnick, die sich ebenfalls unterhalten.
Ich lege Peeta meine Hand auf die Brust.
"Solltest du jemals etwas .... liebreizendere Gesellschaft benötigen, weißt du, wo du mich finden kannst", sage ich und gehe dann, ohne auf eine Reaktion zu warten. Ich gehe direkt zu Mags, die am Wagen für Distrikt 4 steht. Ich sehe nicht nochmal zu Peeta zurück.
Mags streckt ihre Hand nach mir aus und streichelt mir liebevoll über das Gesicht. Ich Kostüm aus grünen, seetangartigen Stofffetzen wirkt albern. Allgemein sehen die älteren Sieger in ihren wilden Kostümen fehl am Platz aus. Nur die wenigen, jüngeren Tribute sehen einigermaßen seriös aus.
Finnick stößt kurz darauf mit Johanna zu uns. Ich umarme meine Freundin zur Begrüßung.
"Wie geht es dir?", frage ich sie und betrachte ihr Kostüm, dass aussieht, als wäre sie von Rinde überschüttet. Johanna zuckt mit den Schultern.
"Ich bin ein laufender Ast, meine Füße tun weh und ich werde wieder in eine Arena gesteckt, mit Leuten, die mich umbringen wollen. Alles bestens."
"So gut also", antworte ich. Wir müssen der Situation mit Humor begegnen. Ansonsten würde ich wahrscheinlich anfangen zu weinen.
"Du siehst natürlich wieder wunderschön aus", sagt Johanna, "Weiß dein Stylist eigentlich, dass du kein Tribut bist? Du siehst immer noch mit Abstand am besten aus!"
"Das liegt an meinem Gesicht, Herzchen", erwidere ich.
"Wie lief deine Unterhaltung?", unterbricht Finnick unser Gespräch.
Ich zucke die Schultern. "Er wirkt sehr loyal. Ich glaube, er meint es ernst mit ihr. Hast du etwas herausgefunden?"
"Ich bin mir noch nicht sicher", erklärt Finnick.
Ich nicke.
Johanna Blick pendelt zwischen uns hin und her.
"Ich frage einfach gar nicht", sagt sie.
"Ist auch besser so", antwortete Finnick.
Wir werden von einem Signal unterbrochen. Johanna verabschiedet sich und geht zu ihrem Wagen. Ich helfe Mags auf das Gespann und trete dann ein paar Schritte zurück.
Finnick sieht in seinem umgebundenen Fischernetz, dass er als Kostüm trägt, aus wie ein junger Gott. Mags wirkt daneben alt, gebrechlich und hilflos. Mir gefällt der Anblick nicht. Ich wende den Blick ab und beobachte stattdessen das Liebespaar aus Distrikt 12.
Peeta hilft Katniss auf den Wagen und steigt dann selbst hinauf. Er richtet ihre Frisur etwas und nimmt dann ihre Hand.
Oh ja, schießt es mir durch den Kopf, Peeta Mellark ist hoffnungslos in Katniss Everdeen verliebt.
Die große Frage ist nur, ob sie seine Gefühle erwidert.

Als die Wagen aus der Halle gefahren sind, folgt mein Blick dem letzten Gespann.
"Hallo Alyssa", höre ich eine rauchige Stimme hinter mir. Ich drehe mich um. Haymitch Abernethy steht vor mir. Sein Blick ist finster.
"Verabschiedest du dich von deinem Bruder?", fragt er.
"Ich soll schon einmal sein Festessen für die Krönung des Siegers bestellen", antworte ich trocken.
"Wenn es dieses Jahr doch nur einen Gewinner gäbe", sagt er. Wir sehen uns nicht an, sondern beobachten beide die Wagenkolonne, die im Sonnenuntergang durch die Prachtstraße zieht.
Ich bin mir unsicher. Wie weit kann ich gehen?
"Er hat mir besonders gesagt, was er sich für Brot wünscht. "
Haymitch zieht eine Augenbraue hoch.
"Über Brote lässt sich so einiges erzählen. Es kann der Faktor sein, der über Leben und Tod entscheidet."
Ich nicke.
"Dann sollten wir wohl lieber vorsichtig damit sein."
Unsere Blicke kreuzen sich. Wir wissen beide, dass wir auf der gleichen Seite sind. Er nickt knapp und geht dann zurück zu den Aufzügen.

Games of the Sea (Tribute von Panem ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt