Ein Stich ins Herz

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Der Sex mit Euphoria ist... angenehm gewesen. Es ist eine willkommene Ablenkung gewesen, doch während die Frau neben mir langsam wegnickt, liege ich hellwach in dem breiten Bett.
Kaum habe ich mich wieder gesammelt, schon prasseln alle Gedanken wieder auf mich ein.

Ich warte, bis Euphoria eingeschlafen ist, bevor ich aufstehe, vorsichtig meine Klamotten zusammensuche und schnell das Zimmer verlasse. Ich begebe mich in die Gemächer, die Plutarch Heavensbee explizit mit zugewiesen hat. Mir entgeht nicht, dass sie in einem der obersten Stockwerke liegen und einen privaten Aufgang zu der Dachterrasse hat, an der ich hoffentlich rechtzeitig abgeholt werde.
Eilig springe ich unter die Dusche und wasche Schweiß und andere Flüssigkeiten von meinem Körper. Danach schlüpfe ich in eine frische, enge, schwarze Hose, die meine Rundungen betont und in ein grünes Oberteil mit tiefem Ausschnit, freiem Rücken und weiten, fliegenden Ärmeln. Meine Haare bürste ich grob durch un lasse sie dann - bis auf einen kleinen Knoten - offen über Schulter und Rücken fallen. Als ich auf die Uhr schaue, ist es kurz vor vier.
Ich haste aus dem Zimmer. Wer weiß, was alles passiert ist, in der Zeit, in der ich die Spiele nicht verfolgt habe? Lebt Finnick überhaupt noch?
Panick erfasst mich.
Ich renne den Gang und mehrere Treppen hinunter, zurück in den gigantischen Kinosaal.

Der Raum ist leer. Niemand ist da. Selbst die ambitioniertesten Sponsoren brauchen einmal Schlaf.
Ich steure das gleiche Sofa an, auf dem ich schon heute Nachmittag gesessen habe und lasse mich auf dem Polster nieder. Ängstlich suche ich die vielen Bildausschnitte nach meinem Bruder ab.
Bitte, sei noch am Leben.
Ich fange an zu weinen, als die Einstellung wechselt und ich ein Lager von vier Menschen sehen kann. Katniss sitzt an einem Baum gelehnt da und blinzelt schwer vor sich hin, Peeta, Finnick und Mags liegen um sie herum und schlafen.
Sie leben noch!
Mein Herz macht einen Hüpfer, als es vier Uhr schlägt.
Sie leben noch. Ich ziehe die Knie unter mein Kinn und schlinge meine Arme um die Beine. Einen kurzen Moment kann ich durchatmen.
Ich beobachte Katniss auf dem Bildschirm, die mit etwas in den Händen spielt. Es ist der Zapfhahn, den ich der Gruppe mit meinem Körper erkauft habe, ohne dass sie davon wissen.
Plötzlich dreht sich Katniss um. Die Kameraperspektive springt um ihre eigene Achse und zeigt Katniss' Gesicht, der von einem merkwürdigen, grünlichen Schimmer erhellt wird. Ich kann genauso wie Katniss nur raten, worum es sich handelt. Tagsüber kommentieten Claudius Tempelsmith und Caesar Flickerman jede Kleinigkeit der Spiele, doch zwischen 1 Uhr nachts und 8 Uhr morgens haben sie eine Sendepause. Die Spiele laufen zwar kontinuierlich weiter, doch ohne die Erklärungen der Kommentatoren. Jeden Morgen um 9 Uhr gibt es dann eine Zusammenfassung, was in der vorangegangenen Nacht geschehen ist.
Katniss streckt eine Hand in die Richtung des lumineszierenden, milchig-grünen Nebels. Kaum berührt ihre Hand die Rauchschwaben, da zieht sie auch schon ihre Hand ruckartig zurück und saugt scharf die Luft ein. Ihre Hand ist übersäht von Brandblasen.
"Aufwachen!", brüllt sie ihren Gefährten zu, "Los, macht schon!", wir müssen hier weg!"
Ich beobachte, wie Finnick, Mags und Peeta sich aufrappeln. Finnick nimmt Mags auf die Schulter und sie rennen los.
Peeta muss noch Nachwirkungen von dem Stromschlag haben, denn er humpelt deutlich und wird immer langsamer.
"Schneller", knurre ich leise. Der Nebel verfolgt die vier Tribute unerbittlich.
Peeta stolpert und Katniss schreit nach Finnick. Er dreht sich um, sieht Peeta auf allen vieren kauern. Ich sehe die Panik in seinen Augen. Peeta und Katniss müssen leben!
Finnick rennt zurück, nimmt Peeta auf seine Schultern und schiebt Mags zu Katniss. Dann rennen sie weiter.
Auch wenn Katniss sich alle Mühe gibt, mit Mags auf ihrem Rücken nicht langsamer zu werden und mit Finnick Schritt zu halten, fällt sie immer weiter zurück.
Ich schmecke Blut. Ich muss auf meiner Lippe gekaut haben, ohne es zu bemerken. Der Nebel ist nur noch wenige Meter von ihr entfernt, als sie erschöpft taumelt und auf die Knie sinkt.
"Finnick", höre ich sie rufen.
Meine Hände spüre ich eiskalt durch den Stoff meiner Hose. Ich zittere.
Finnick stürmt zurück zu Katniss und Mags und versucht Mags auch noch auf seinen Rücken zu heben, doch sie schüttelt den Kopf.
"Nein", hauche ich, "Bitte nicht."
Sie küsst Finnick, dreht sich um und stapft entschlossen in die Nebelwand hinein.
Finnick schreit.
Genauso wie ich.
Katniss hält ihn fest und hindert ihn daran, Mags hinterher zu rennen.
Schemenhaft kann man ihren zuckenden Körper erkennen, dann ertönt die Kanone.
Mags.
Unsere Mags.
Sie ist tot.
Die Frau, die uns großgezogen hat, die immer für uns da war, die wie eine Mutter für uns war. Tot.
Ich habe von Anfang an gewusst, dass es unvermeidlich dazu kommen wird, aber tief in meinem Inneren habe ich gewagt zu hoffen, dass es dieses Jahr anders sein wird.
All dir Versprechungen von Plutarch Heavensbee über eine Rebellion und Rettungsaktionen und doch haben die Spiele ein weiteres Opfer gefordert.
Während Katniss, Peeta und Finnick weiter durch den Wald Richtung Strand hetzen, steigt in mir die grimmige Überzeugung, dass es genug ist. Genug mit den Spielen. Genug mit dem Kapitol. Genug mit Snow.
Ich will nicht mehr nur eine Figur hinter den Kulissen sein, die Brote und Zapfhähne in die Arena schickt, nein. Ich will kämpfen.
Tränen trocknen auf meinen Wangen, doch ich bin mir noch nie bei etwas so sicher gewesen.
Ich werde kämpfen.
Das Kapitol soll untergehen.
Es soll enden.

Ich beobachte, wie die verblieben drei Tribute an den Strand flüchten. Das Gas hat sie hart mitgenommen. Sie tragen am ganzen Körper Brandblasen.
Finnick bricht erschöpft zusammen und bleibt am Boden liegen.
"Kämpfe", murmel ich, "Gib nicht auf, Bruder!"
Katniss stolpert ins Wasser. Ihre Blasen öffnen sich und sie stöhnt, als würde ein furchtbarer Schmerz gelindert. Sie holt erst Peeta, dann Finnick ins Wasser und reinigt ihre Wunden.

Ich beobachte die drei. Mein Herz schmerzt und meine Augen brennen. Jetzt, da sie einen Moment Ruhe haben, schütteln mich die Weinkrämpfe.
Ich hasse die Spiele.
Ich hasse das Kapitol.
Ich hasse Snow.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 04 ⏰

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