Nothing To Lose
Kapitel 1
Arthur
4. September 2023
An einem unbekannten Ort in Italien
0:53 Uhr
„Das ist der falsche Leclerc."
Ein Umstand, über den sein Gegenüber alles andere als begeistert war.
Natürlich nicht. So hatte die Sache ja nicht ablaufen sollen. Dass man seine Termine kurzfristig geändert hatte, damit er eben doch mit Charles gemeinsam zurückfliegen sollte, war ausschließlich dafür gedacht, sie beide zu erwischen. Er hätte Charles gleich sagen können, dass es ihm nicht gelingen würde, ihn da rauszuhalten. Der Kerl wusste doch, dass er für die Enthüllung seiner Pläne verantwortlich war.
Zumindest würde ihn das wundern, wenn er das nicht längst rausgefunden hatte. Sie konnten wohl nur ansatzweise erahnen, wie tief die Kontakte dieses Mannes reichten. Das Hauptaugenmerk lag auf Charles. Er selbst war in diesem ganzen Plan nur die Achillesferse seines Bruders. Da brauchte er sich keine großen Chancen ausrechnen.
Der Kerl wollte Charles. Aus vollkommen irrationalen und nicht nachvollziehbaren Gründen. Wenigstens für all jene, die noch klar denken konnten, aber das war diesem Mann schon lange nicht mehr möglich. Erschütternd, was Tragödien so aus einem Menschen machen konnten, nur war das schon lange nichts mehr, was ihn noch interessierte. Er würde sich nicht noch Gedanken um den Wichser machen, der nicht davor zurückschreckte, seine Familie zu zerstören.
„Sie wollten doch Beide", warf einer dieser Anzug tragenden Gorillas ein, die ihn hierher verfrachtet hatten. Dass die nicht besonders schlau waren, hatte er auf der Fahrt hierher schon bemerkt. Leider waren sie dafür umso kräftiger und skrupelloser.
Die hatten sich von der italienischen Polizei nicht mehr stoppen lassen. Wobei die Behörden darauf auch nicht vorbereitet gewesen waren. Da er selbst gar nicht hätte mitfliegen sollen, sondern erst einen Tag später nach Monaco geflogen wäre, rechnete keiner damit, dass es zwei Autos geben würde, die man verfolgen musste. Wahrscheinlich hatten sie es noch versucht. So genau wusste er es nicht. Das war alles so schnell gegangen und mit einem nicht lichtdurchlässigen Sack über dem Kopf war der Orientierungssinn am Ende des Tages auch nicht mehr so berauschend.
„Der Auftrag lautete, dass ich Charles will. Der Kleine sollte nur ein Druckmittel sein", wurde ihm vom Boss höchstpersönlich bestätigt, was er ja auch längst wusste. Alles, was er rausgefunden hatte, bewahrheitete sich. Dabei hatte er stellenweise sehr gehofft, dass er sich damals in Maranello einfach verhört hatte.
Klar, manchmal wünschte er sich, dass er von dem ganzen Geheimnis nie etwas erfahren hätte. Nur, dann hätte er seinen Bruder nicht warnen können, dann hätten sie keine Pläne machen können und dann würde in diesem Moment die Eilmeldung rausgehen, dass sein Bruder bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Eine Pressemitteilung, von der er nicht zu beurteilen wagte, ob seine Mutter die überstehen würde.
„Wir konnten aber nichts machen. Da war überall Polizei. Die haben die Straßen abgesperrt", probierte der nicht ganz so helle, aber umso kräftiger gebaute Handlanger zu berichten, was geschehen war. In einem schlechten Mafia-Film würde der Schurke nun einen Wutanfall bekommen, seine Angestellten anschreien und sie auffordern, ihren Job zu erledigen.
Fand er immer wieder interessant, wie solche Gestalten von offenkundig dummen Menschen, die schon Plan A völlig verkackt hatten, dann einen wundersamen Plan B erwarteten, der zum Erfolg führte. Leider war das hier kein Film, keine heitere Abendunterhaltung, sondern bitterer Ernst, von dem er nicht wissen konnte, ob er es heile wieder rausschaffen würde.
„Dann wussten sie also Bescheid. Nun gut, dann wollen wir wenigstens mal sehen, was der Kleine so weiß", blieb der klischeehafte Ausraster leider aus. Der wäre ihm jetzt deutlich lieber gewesen, als selbst in den Fokus der Aufmerksamkeit zu geraten. Das konnte für ihn nämlich gar nichts Gutes bedeuten.
Zumal er auch nicht gewillt war, dem irgendwas zu erzählen. Warum sollte er das auch tun? Wenn dieser Knilch, der doch selbst immer von Familie laberte und was diese bedeutete, ernsthaft erwartete, dass er seine eigene verraten würde, irrte der sich gewaltig. Das würde er ganz sicher niemals tun. Denn offensichtlich wusste er sehr viel besser, als dieser alte, traurige Mann, was Familie bedeutete.
Dass eben dieser sich nun zu ihm beugte, ihm so tief in die Augen sah, dass er das Gefühl bekam, darin sofort sämtliche Abgründe erkennen zu können, war noch schlimmer.
„Eine Schande, dass ich jetzt mit dir Vorlieb nehmen muss. Du bist ja noch ein Kind und du hast nicht mal ansatzweise die Klasse deines Bruders", wurde ihm mitgeteilt. Eigentlich war es sicherlich klüger, einfach nur die Klappe zu halten, aber er würde doch sowieso einstecken müssen, auch körperlich. Da war es ganz egal, was er tat oder nicht tat und sich einschüchtern zu lassen, war einfach nicht sein Stil.
„Tut mir echt leid, dass du jetzt mich an der Backe hast. Da wirst du wohl mit klarkommen müssen", zuckte er so gut es ging mit den Schultern. Eingeschränkte Bewegungsfreiheit war dafür auch nicht von Vorteil und der Kommentar wurde wie erwartet auch humorlos zur Kenntnis genommen.
„Eine große Klappe wird dir jetzt auch nicht weiterhelfen. Du tust gut daran, einfach zu reden. Dann müssen meine Männer dir nicht wehtun", bekam er die neuen Spielregeln genannt, an die er sich selbstverständlich nicht halten würde. Er war doch nicht irre und plauderte aus, was er alles wusste und wem er es gesagt hatte. Dann würde der Charles auch ruckzuck haben und dann würde seine arme Mutter gleich zwei von drei Kindern verlieren.
„Hast du das auf einem billigen Mafia-Film geklaut? Was willst du von uns?", blieb er so unbeeindruckt wie möglich. Man musste mit den Karten spielen, die man bekam und irgendwie das Beste daraus machen. Immerhin konnten Leute, die vor ihm standen und ihm drohten nicht sehen, ob und wie sehr auf den Rücken gefesselte Hände zitterten. Ihm blieb nichts anderes übrig, als in allem eine Chance zu suchen.
„Ich weiß nicht, ob du mutig oder dumm bist", lauteten die nächsten Worte und das war ein Rätsel, vor dem schon sehr viele Menschen gestanden hatten und für das jeder eine ganz andere Lösung fand.
„Ein bisschen von Beidem, schätz ich", entgegnete er also. Sicher war er nicht der klügste Mensch auf Erden, aber seinen Mut würde er sich auch nicht absprechen lassen. Erstrecht nicht von einem gestörten Typen, der mehr Geld besaß, als man in einem ganzen Leben ausgehen konnte und den all sein Reichtum und sein berühmter Name am Ende nichts einbringen würden. Das würde ihn alles nicht mehr retten können. Wenigstens eine kleine Genugtuung für ihn.
Dass dieser alte Mann ihm jetzt noch näherkam, war alles andere als schön. Er würde dem viel lieber ohne Nachteile begegnen. Einfach nur sie Zwei, denn dann würde das hier ein deutlich besseres Ende nehmen. So viel war sicher.
Stattdessen musste er sich die Drohungen gegen sich und seine Familie weiterhin anhören.
„Hoffentlich bildest du dir nicht ein, dass das gut für dich ausgeht. Du hast genau zwei Möglichkeiten. Entweder du sagst uns alles, was wir wissen wollen und erklärst deinem Bruder danach, weshalb er besser freiwillig kommt oder wir zwingen dich dazu. Es liegt also ganz bei dir, ob du gut behandelt werden möchtest oder deine Karriere beenden musst, wenn wir mir dir fertig sind."
Schöne Aussichten...
Da hatte er ein gewaltiges Problem, denn die würden Ernst machen. Das war keine leere Drohung oder der Versuch, ihn einzuschüchtern. Das war die einzige Option, die man ihm lassen würde und wenn er nicht mitzog, dann würde er sich auf ziemlich hässliche und entsetzte Stunden gefasst machen müssen.
Natürlich konnte er das nicht abwenden. Selbst, wenn er alles sofort erzählen würde, dann nahmen sie ihn in die Mangel, weil sie vermuteten, dass da noch viel mehr hinter stecken musste, dass er ihnen nicht alles preisgab. So oder so...
Er konnte nicht behaupten, dass ihm das gerade nicht mental zusetzte. Er war kein Idiot. Er hatte eine scheiß Angst vor diesem Kerl, weil er genau wusste, dass der an einem Punkt war, an dem er nichts mehr zu verlieren hatte. Und diese Menschen waren bekanntermaßen die gefährlichsten von allen.
Er atmete tief durch, ging etwas in sich.
Dann wagte er es, seinem Gegenüber direkt in die Augen zu sehen.
Eine stumme Herausforderung, lag in seinem Blick.
„Succhiami la minchia!"
Zunächst passierte nichts.
Doch die Konsequenzen ließen nicht lange auf sich warten.
Der erste Schmerz setzte ein, nur wenige Sekunden nach den letzten Worten, die er vernahm.
„Das war ein Fehler, Junge."
DU LIEST GERADE
Senza Regole
Fanfiction⊱ Sie wussten wann es passieren sollte und wie es passieren sollte. Sie waren auf alles vorbereitet, hatten einen Monat Zeit, sich Pläne zu machen und alles bis ins aller kleinste Detail zu planen. Es konnte gar nichts mehr passieren und das durfte...