Kapitel 6 | Incoming Call

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Incoming Call
Kapitel 6


Charles



4. September 2023
Nahe Genua, Italien
3:22 Uhr



„Es tut mir so leid..."

Er hatte alles erzählt, was er wusste. Allen, die anwesend waren und es gab nichts, was er sonst sagen könnte. Es tat nur weh. Sie waren alle schockiert und enttäuscht und verängstigt...
Was sollte er machen? Besonders schlimm war es, dass Dennis überhaupt keine Reaktion zeigte. Er hatte im Grunde mehr zu ihm gesprochen, nachdem er ihm am Handy nur sagen konnte, dass sie sich auf den Rückweg machen würden. Die ganze Zeit hatte er voller Anspannung hier mit den anderen gewartet, darauf vertraut, dass alles irgendwie funktionieren würde, obwohl er die meisten Bedenken geäußert, sich sogar mit Arthur noch vor dieser Sache ein wenig in die Haare bekommen hatte.
Dennis hatte es schrecklich gefunden, wie leicht Arthur das alles nahm. Wie er behauptete, dass schon alles gut gehen würde. Der einzige Grund, warum Dennis eingelenkt hatte war, weil er wusste, dass Arthur daran glauben musste, weil er selbst vor diesem Tag große Angst gehabt hatte. Logischerweise. Hätten sie nur einen anderen Weg gefunden. Einen sicheren. Einen, bei dem Arthur jetzt nicht verschwunden wäre.
Die letzten Wochen und Monate waren nicht leicht für die Beiden gewesen und jetzt bewahrheitete sich, was Dennis die ganze Zeit befürchtet hatte. Er fühlte sich so schrecklich. Es war schwer, ihn anzusehen, weil er sich nicht viel anmerken ließ. Noch nicht. Das würde noch kommen.

„Und jetzt? Gibt es einen Plan B?", riss ihn Pierres Frage aus seinen Gedanken.
Dieser war den Tränen bereits nah, konnte nicht glauben, dass das alles direkt vor ihren Augen passierte und sie doch nichts ausrichten konnten. Aber ihr Gegner war übermächtig, da hatte es selbst die italienische Polizei schwer, etwas zu tun. Er würde so gerne etwas Hoffnungsvolles sagen. Etwas, was Pierre, ihn selbst und alle anderen beruhigen könnte, aber dafür müsste er lügen.
„Nicht für dieses Szenario. Darauf haben wir uns nicht vorbereitet", musste er zugeben und hätte Daniel seine Hand nicht die ganze Zeit auf seiner Schulter platziert, würde er vermutlich bereits wieder zusammenbrechen. Es war ihm noch nie so schwergefallen, einfach aufrecht zu stehen.
„Also ist dein Bruder an deiner Stelle verschwunden und selbst die Polizei hat keinen Schimmer, wo sie weitermachen soll?", fasste Esteban das Drama, welches er ihnen geschildert hatte, noch einmal zusammen und selbst, wenn er weit von einem emotionalen Ausbruch entfernt war, konnte man selbst ihm ansehen, dass ihn das absolut nicht kaltließ.
„Leg doch nicht noch den Finger in die Wunde", richtete Pierre das Wort sogleich an Esteban. Was das betraf, waren sich die Zwei noch nie einig gewesen, weil sie verschiedener auch nicht sein könnten. Pierre versuchte Menschen mit Vorsicht und Rücksicht zu behandeln, während Esteban die Dinge direkt und schonungslos auf den Punkt brachte.

Esteban sah auch nicht so aus, als wäre er gerade sonderlich zugänglich für sowas.
„Willst du das Arthur mal sagen? Der hat bald einige Wunden, in denen man rumbohren kann", erinnerte Esteban schmerzhaft daran, wie schrecklich und aussichtslos ihre aktuelle Lage und vor allem die von Arthur war.
„Es reicht!", wehrte Pierre auch diese Wahrheit ab, weil sie ihm viel zu drastisch erschien.
„Nein, er hat recht", schaltete er sich also lieber selbst dazwischen. Es brachte nichts, wenn er das Offensichtliche leugnete, so schwer ihm das auch fallen mochte. „Das wird passieren und alles die Polizei machen kann ist, diejenigen zu verhören, die sie haben und irgendwo mit der Suche anfangen."
„Irgendwo? Die müssen doch Anhaltspunkte haben!", war Pierre etwas fassungslos darüber, dass sie augenscheinlich überhaupt nichts mehr in der Hand hatten, womit sie arbeiten konnten. Im Grunde sprach Pierre ihm da vollkommen aus der Seele. Er wollte auch nicht wahrhaben, dass sie gar nichts tun konnten.
„Pierre, das sind Italiener. Deren Arbeitsmoral ist ganz anders und wer weiß, ob nicht doch einer von denen korrupt war und etwas verraten hat", formulierte Esteban das Ganze wieder deutlich drastischer. Leider mussten sie auch damit rechnen, dass es undichte Stellen bei der Polizei gab. Dieser Wichser hatte sie doch alle immer in der Hand gehabt...

Dennoch richtete sich seine Aufmerksamkeit mehr auf Dennis, als auf Pierre und Esteban.
Er konnte ihm längst ansehen, dass ihm das zusetzte, dass da viel in ihm passierte, viel aufgewirbelt wurde, was er mit aller Macht zu kontrollieren versuchte. Wenn man ihn genau ansah, konnte man sehen, wie seine geballte Faust die ganze Zeit zitterte. Er wusste selbst, dass er nichts dafürkonnte und doch fühlte er sich an allem entsetzlich schuldig.
„Dennis, es tut mir wirklich leid. Ich wusste es nicht", versuchte er ihm noch einmal zu erklären. Dass sie Arthurs Termine strichen und gezielt dafür sorgten, dass sie zusammen fliegen mussten, hatte er auch erst erfahren, als es schon zu spät war und er nicht mehr reagieren konnte.
„Okay. Echt, aber ich will mal kurz alleine sein", teilte Dennis ihm bloß mit und seine Stimme verriet, dass nicht mehr viel fehlte, damit sie brach. Er konnte nur zusehen, wie dieser sich erhob und den Raum verließ. Er konnte es verstehen und er fühlte sich so hilflos.

„Das kann doch nicht wahr sein. Es muss doch eine Möglichkeit geben, rauszufinden, wo Arthur steckt", wollte Pierre immer noch nicht glauben, dass sie gar nichts machen konnten.
„Die ermitteln jetzt in alle Richtungen. Sie wollen sich sämtliche, bekannte Immobilien vornehmen, aber das kann dauern. Davon hat er einige und es ist fraglich, ob er ihn irgendwo hingebracht hat, wo er selbst als Eigentümer eingetragen ist. Sie gehen davon aus, dass er das auch über seine Leute laufen lässt", fasste Lorenzo zusammen, wofür er ihm dankbar war. Er selbst konnte auch kaum noch reden und hatte nicht mehr den Kopf für die Ausführungen der Polizei gehabt.
„Und wieso setzten die sich dann nicht mit den Immobilienmaklern in Verbindung? Er wird ja schnell Zugriff zu ihm haben wollen, also muss er was in der Nähe haben. Und ein Typ wie der, will ein großes Anwesen und hat sicher ein paar Extrawünsche, die nicht jeder hat. Das sollte doch auffallen", warf Esteban mal ein und das war genau der Grund, warum er ebenfalls zu denen gehörte, die er eingeweiht hatte. So hart Esteban sein konnte, er war intelligent und schaffte es durch seinen emotionalen Abstand besser, auf andere Ideen zu kommen.
„Die Überlegung ist gut. Ich versuch das sofort einzubringen", meinte Lorenzo, der keine Zeit verlor und ebenfalls aus dem Raum eilen wollte. Hoffentlich standen sie das alles irgendwie durch. Lorenzo kümmerte sich gerade um alles auf einmal.

„Es muss schnell gehen, verdammt!", entwich es ihm verzweifelt. „Der wird ihm garantiert etwas antun."
Das war für ihn längst sicher. Er hatte nicht Arthur in seine Finger kriegen wollen, sondern ihn. Jetzt ging es nur noch darum, dass der sein Ziel erreichte und er wusste, dass dem dafür jedes Mittel recht sein würde.
Bevor Lorenzo aber ganz hinaus war und irgendwer etwas zu ihm sagen könnte, klingelte auf einmal erneut sein Handy. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf, als er es aus der Tasche holte und einen Blick auf das Display warf.
„Wer ist das?", wollte Pierre sofort von ihm wissen."
„Er", teilte er nur mit. Auch, wenn da kein Name stand, aber niemand sonst würde ihn nun mit einer unterdrückten Nummer anrufen.
„Können die schon die Anrufe zurückverfolgen?", hakte Esteban kurz nach, denn das war ja gewissermaßen ihre einzige Chance, um schnell rauszufinden, wo Arthur stecken könnte.
„Normalerweise schon", entgegnete er. Sie hatten das Equipment ja längst aufgebaut, aber ob das funktionierte? Nachdem schon alles so gründlich schiefgelaufen war, hatte er nicht mehr sonderlich viel Vertrauen.
„Atme noch mal durch", riet Daniel ihm.

„Ich sag Bescheid", entschied Lorenzo und war sofort verschwunden.

Senza RegoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt