Kapitel 11 | Point Of No Return

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Point Of No Return
Kapitel 11


Charles



3. September 2023
Monza, Italien
21:34 Uhr



„Was machst du hier?"
Er gab sich ja alle Mühe, sein Entsetzen über Arthurs Erscheinen nicht zu offensichtlich zu zeigen, aber so ganz bekam er die Kontrolle über seine Mimik nicht.
Gewöhnlich freute er sich immer, seinen jüngeren Bruder zu sehen. Das hier war dieser eine Fall im Leben, bei dem es anders war. Arthur sollte gar nicht hier sein, sondern längst im Hotel und dann morgen seine Anschlusstermine in Mailand wahrnehmen. Er hatte sogar dem ständigen Drang widerstanden, nachzuhaken, ob es dabeiblieb. Er wollte einfach nichts tun, was in irgendeiner Art und Weise verdächtig erscheinen könnte.
Und nun das.
„Meine Termine sind gestrichen", informierte Arthur ihn und wirkte der betont entspannten Haltung wahnsinnig angespannt auf ihn. Er kannte ihn eben besser. Das würde außer ihm niemandem auffallen, nur war sein Bruder ja nicht dämlich und wusste, was das bedeutete.
Genauso, wie er selbst und er konnte es unter keinen Umständen verantworten, dass Arthur mitkam. Sie wussten schließlich, was auf dem Weg passieren würde. Dass der Privatjet nicht direkt nach Monaco fliegen würde, sondern einen abweichenden Kurs nehmen würde.
Dort würde er dann unfreiwillig umsteigen müssen, während der Jet irgendwo ins Ligurische Meer stürzen würde, damit die ganze Welt denken würde, dass er so einem dämlichen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.

Egal, wie oft man sich das durch den Kopf gehen ließ, es hörte sich immer noch unglaublich an.
Dass jemand so einen Aufriss betrieb, nur, um sich etwas Zeit mit ihm zu verschaffen und ihn am Ende sowieso umzubringen. Aber, wer so einen Namen und so viel Geld hatte, der konnte sich einigen Aufwand leisten, um Spuren zu verwischen. Ohne Arthur wüsste er bis heute nicht, was in den nächsten Stunden passieren sollte. Hätte er nicht zufällig das Gespräch, zwischen Matassa und ihm mitbekommen, dann wäre der Plan genauso umgesetzt worden. Etwas, was sie seit fast vier Monaten zu verhindern versuchten.
Und nun das. Er hätte doch niemals zugestimmt, diese Wichser in dem Glauben zu lassen, dass ihr Plan funktionierte, wenn das in irgendeiner Art und Weise seinen Bruder gefährden würde. Egal was es bedeutete, aber damit mussten sie das Ganze irgendwie abwenden.
„Nein...", kam es ihm also sofort über die Lippen, denn das würde er Arthur jetzt sicher nicht erlauben. Einfach mitzukommen und selbst in die Schusslinie zu geraten. Das ging nicht! „Wir müssen das abbrechen."

„Charles, das geht nicht."
Das klang ungewohnt energisch und selbstverständlich wusste er auch, dass Arthur recht hatte. Nur, was sollte er denn machen? Das konnte und durfte er nicht zulassen. Ihre Mutter stand schon genug Ängste aus.
„Wir lassen uns was einfallen. Wir fahren nicht zum Flughafen", entschied er und wollte Arthur am liebsten umgehend eigenhändig zum Hotel zurück schleifen. Er sollte dort bleiben, wo er sicher war und das aussitzen, bis der Plan abgewendet war.
Sie hatten ihre Vorkehrungen getroffen. Ihm konnte nichts passieren. Aber, wenn die Arthur als Druckmittel bekamen, dann hatten sie so gut wie verloren. Er würde nicht zulassen, dass er jetzt dafür herhalten musste, wo er es doch nur ihm zu verdanken hatte, überhaupt zu wissen, dass man seine Ermordung plante.
„Dann kannst du gleich ein leuchtendes Schild hochhalten, dass wir Bescheid wissen", erinnerte Arthur ihn, worauf er jedoch nur den Kopf schütteln konnte.
„Ich bring dich bestimmt nicht in Gefahr!", stellte er klar und griff ganz automatisch nach Arthurs Arm. Er musste ihn dringend hier wegbringen, bevor es zu spät war.

Jedoch löste Arthur sich direkt wieder aus seinem Griff.
„Das bin ich, seit ich diese verdammte Aufnahme gemacht hab und erwischt wurde. Es ist jetzt, wie es ist. Wir können nicht mehr zurück", stellte Arthur mit gedämpfter, aber entschlossener Stimme fest, bevor er in Richtung Parkplatz nickte, auf dem nun ein silbergrauer Lamborghini parkte. „Da kommen sie schon."
Natürlich kein „Firmen-Wagen". Das wäre wohl zu auffällig gewesen.
„Fuck..." Seine Stimme musste seine ganze Verzweiflung deutlich preisgeben, so eindringlich, wie Arthur ihn nun dazu brachte, ihn wieder anzusehen und sich ein zuversichtliches Lächeln auf die Lippen zwang.
„Charles, das wird schon. Mach dir nicht immer so viele Sorgen um mich."
Sollte das ein Witz sein?
„Du bist mein Bruder. Um dich mach ich mir immer Gedanken."



4. September 2023
Nahe Genua, Italien
3:59 Uhr



„Modena."

Nicht nur Dennis, sondern auch die anderen, zu denen sie nun zurückgekehrt waren, warfen ihm einen fragenden Blick zu.
„Modena?", wiederholte Dennis.
Natürlich wusste er nicht, ob er damit richtig lag, aber wenn er bedachte, wie viele lächerliche Klischees dieser Mann bediente, würde es ihn überraschen, wenn er ausgerechnet hier daneben lag. Der Kerl mochte clever sein und er verstand es, einen zu täuschen und zu hintergehen, aber er hatte Prinzipien und alles, was mit dem Namen seiner Familie zusammenhing, hatte für ihn doch schon nahezu eine religiöse Bedeutung.
„Es muss einen Zusammenhang mit Modena geben", war er sich also ganz sicher.
„Wie kommst du darauf?", hakte Dennis nach, der noch nicht ganz eine Idee hatte, wo dieser Geistesblitz hergekommen sein könnte.
„Modena ist Enzos Heimat gewesen. Es geht bei denen immer um die Familie, um den Namen. Sie sind so heimatverbunden, dass das Gelb von Modena immer ein Teil des Logos geblieben ist. Wenn es um einen Ort geht, muss es damit zusammenhängen. Irgendwie", versuchte er also irgendwie zu begründen, was ihn da so sicher machte.

„Geburts- und Sterbeort. Vieles was mit ihnen zu tun hat, führt auf Modena zurück. Da könnte etwas dran sein", stimmte Lorenzo ihm ebenfalls zu.
„Wir werden das überprüfen", kam es sofort von diesem Oberkommissar wie auch immer. Es konnte ja niemand verlangen, dass er sich hier auch noch Namen merkte, während sein jüngerer Bruder-
‚Nicht drüber nachdenken', ermahnte er sich besser.
„Und wenn ich mich irre?", meldete er dennoch erhebliche Zweifel an seiner eigenen Theorie an. Es war nur ein Gedanke, der ihm kam. Nichts, was sie mit Sicherheit wussten und womöglich war es ja ein Fehler, die Ermittlungen nun in eine Richtung zu lenken, die möglicherweise nur eine Sackgasse war.
„Der Einfall ist gut. Charles, das hilft allen weiter. Okay?", versuchte Pierre ihm allerdings deutlich zu machen, dass es dämlich wäre, daran zu zweifeln, bevor man überhaupt angefangen hatte, es zu überprüfen.

„Ja...", kam es ihm hörbar erschöpft über die Lippen, denn...
In diesem Moment klingelte sein Handy erneut. Er wollte gar nicht wissen, welchen Wert sein Puls inzwischen erreicht hatte. Er dürfte definitiv jenseits von Gut und Böse liegen.
„Er ruft schon wieder an", teilte er den anderen mit, als er einen Blick auf das Display geworfen hatte. Wie gerne würde er seine Hände einfach durch das Handy ausstrecken und diesem Arschloch an die Gurgel gehen können.
„Er will, dass du einknickst", erkannte Esteban natürlich genau, was der Grund für den erneuten Anruf war.
Wenn er das Gespräch annahm, dann musste er wieder zuhören, wie man seinem Bruder fürchterlich wehtat. Wenn er es ignorierte, lieferte er Gründe, Arthur noch Schlimmeres anzutun. Er konnte dieser Situation nicht entkommen.
„Was soll ich nur tun? Er wird ihn doch-", setzte er an, doch da war Daniel schon an seiner Seite.
„Geh ran. Du schaffst das. Wir schaffen das", meinte dieser voller Zuversicht und wenigstens konnte er davon kurzzeitig genug Kraft ziehen, um sich erneut zu stellen.

„Okay."

Senza RegoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt