The Call
Kapitel 7
Charles
4. September 2023
Nahe Genua, Italien
3:35 Uhr
„Du bist mir also entkommen."
Seine Finger gruben sich schmerzhaft fest in das Holz der Tischplatte, aber an irgendwas musste er sich festkrallen, wenn er seine Fassung auch nur ansatzweise behalten wollte.
Er hatte seinen Moment gehabt. Er hatte seine Emotionen rausgelassen. Jetzt war es an der Zeit, sich zusammen zu reißen, so schwer das auch sein mochte. Aber Daniel hatte vollkommen recht. Wenn er durchdrehte und irrational handelte, dann konnte er Arthur erstrecht nicht helfen. Er durfte einfach nicht darüber nachdenken. Ob er das hinbekommen würde, stand noch auf einem anderen Blatt.
„Was willst du?", fragte er, versuchte seine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen.
Er konnte sich das zwar denken und unter normalen Umständen würde er es so einem nicht auch noch erlauben, ihn voll zu quatschen. Aber je länger das Telefonat dauerte, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass man rausfinden konnte, wo genau dieser Wichser steckte!
„Das weißt du genau. Du wirst zu mir kommen", wurde ihm mitgeteilt, als wäre es die normalste Sache der Welt. Er könnte niemals in Worte fassen, wie wütend ihn alleine das machte. Nur anmerken lassen, durfte er sich jetzt nichts.
„Das kann ich nicht. Du versteckst dich doch feige", wies er ihn mal auf ein nicht unwesentliches Detail hin. Er würde dem ja gerne noch ganz andere Sachen an den Kopf werfen, aber es war sicherlich keine kluge Idee, den Entführer des eigenen Bruders bis aufs Blut zu reizen, solange man ihn nicht zurückhatte.
„Ich werde dir sagen, wo du hinkommen sollst. Meine Leute sammeln dich dort ein", fuhr der andere aber nur unbeirrt fort, als würde es hier nur um den Verkauf eines Gebrauchtwagens gehen. Der Drang, diesen Mistkerl anzubrüllen wurde immer größer, so kontraproduktiv das auch wäre. Er konnte den Hass auf diese Person unmöglich beschreiben und normalerweise empfand er derart starke Gefühle nicht. Zumindest nicht so. Aber würde er seinen Gesprächspartner gerade an anderer Stelle persönlich treffen, könnte er für gar nichts mehr garantieren. So viel war sicher.
„Solche Vollidioten wie die, die in die Polizeikontrolle gefahren sind?", gab er in scharfem Ton zurück, wenngleich er wusste, dass es diesen Drecksack nicht interessierte. Er war nicht in der Position, um ihn auch nur minimal zu ärgern und das machte es umso schwerer. Hatte ihre arme Mutter in den vergangenen Jahren nicht schon genug...
Er biss sich auf die Lippe, weil das genau die Gedanken waren, die er jetzt unbedingt zur Seite schieben musste. Er durfte nicht darüber nachdenken, was alles passiert war und was noch auf sie zukommen könnte. Er musste den Moment nutzen, um jetzt das Richtige zu tun. Mehr konnte er nicht machen.
„Du weißt doch, wie schwer man gute Leute bekommt. Und wenn man sie hat, dann enttäuschen sie einen schnell. Also. Du wirst besser tun, was ich von dir möchte", wurde er erinnert und ihm entging die Spitze in seine eigene Richtung dabei nicht. Er musste sich immer wieder sagen, dass er sich von ihm nicht provozieren lassen durfte.
„Darauf kannst du lange warten", entgegnete er, ballte die freie Hand zur Faust, um irgendwie die Kontrolle über sich und seine Emotionen zu behalten.
„Das glaube ich weniger. Ich gehe ja wohl Recht in der Annahme, dass dir dein kleiner Bruder etwas bedeutet, oder?"
Die Worte, die er wirklich gefürchtet hatte. Er brachte Arthur ins Spiel, weil er nicht bereit war, ihm zu geben, was er wollte. Wenn er sich weiterhin weigerte, würde es noch schlimmer werden. Er konnte nichts tun. Er konnte keine Antwort darauf geben, denn egal was er sagte, es würde zum selben Ergebnis führen. Und sein Schweigen war natürlich nichts anderes, als eine Bestätigung dieser Worte.
„Dachte ich es mir doch", fuhr der andere also fort. „Also was sagst du? Du kommst einfach zu mir und ich lasse ihn frei. Es ist doch nicht nötig, dass deine Mutter nach ihrem Ehemann auch noch um zwei Söhne trauern muss."
Der letzte Satz war einfach zu viel für ihn.
„Lass meine Familie aus dem Spiel! Es geht doch um mich. Wieso machen wir das nicht unter uns aus?", erhob er die Stimme und wusste natürlich, dass das ein Fehler war.
Er konnte einfach nicht anders. So sehr er es nach außen auch verbergen konnte, was manchmal alles in ihm vor sich ging, aber das war ein wunder Punkt. Der schlimmste von allen. Damit konnte man ihn immer angreifen und verletzen und er wollte nicht so weit abstumpfen, dass ihm das nichts mehr ausmachte. Dass ihm sowas nahe ging, hielt ihre Familie zusammen und gab ihnen das Gefühl von Normalität. Würde er sich nun wesentlich verändern, würde ihnen so viel verloren gehen und das wollte er auf gar keinen Fall.
„Das können wir. Ich gebe dir mein Wort, dass deinem Bruder nichts weiter passiert. Aber dafür musst du zu mir kommen. Es ist nicht meine Absicht, ihm etwas anzutun. Also bring mich nicht dazu", wurde klargestellt und natürlich wollte sein dummes Herz am liebsten darauf eingehen. Er ertappte sich dabei, wie er zulange über dieses Angebot nachdachte.
Im Grunde konnte er mit Arthur nichts anfangen. Er war es nicht, den er wollte. Es würde ihm gar nichts bringen, ihm etwas anzutun. Aber er würde es. Er würde niemandem erlauben, seine Ziele nochmals verraten zu können. Arthur war der Grund, weswegen sie überhaupt gewarnt waren und das dürfte denen genauso bekannt sein.
„Du lügst doch", gab er zurück und bemerkte, dass seine Stimme schon verdächtig zitterte.
„Bist du dir da sicher?", wurde er gefragt und er konnte dieses ekelhafte Grinsen in der Stimme des anderen deutlich raushören.
Was sollte er nur machen? Er hatte in diesem Moment schon das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Er kam sich so gering und hilflos vor in diesem Augenblick. Es gab nur diese eine Sache, die wichtig war. Er wollte nicht, dass seinem Bruder was passierte und genau das war alles, was er gerade nicht verhindern konnte.
„Ich glaube, ich muss dir ein wenig auf die Sprünge helfen. Du solltest ganz genau zuhören und dir gut überlegen, ob diese Qualen deinen falschen Stolz rechtfertigen", hörte er den anderen weitersprechen und obwohl er sich alle Mühe gab, sich zusammen zu nehmen bemerkte er bereits das Zittern in seiner Hand, die er zur Faust geballt hatte.
Am liebsten wollte er aufhören, bevor er etwas hören konnte, aber das würde sich anfühlen, als würde er Arthur komplett im Stich lassen und das konnte er unmöglich. Trotzdem brachte ihn das fast um den Verstand. Es bereitete ihm selbst die schlimmsten Qualen, die er sich vorstellen konnte, als er bloß Geräusche im Hintergrund und dann die Schreie hören konnte.
Er konnte das nicht ertragen. Niemand, der hier im Raum war, könnte das ertragen. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer knackte. Er ballte die Faust so stark, dass seine Fingernägel tiefe Furchen in seiner eigenen Haut hinterließen. Er wusste nicht, was sie taten, aber er wusste, dass Arthur nicht weinerlich war und eigentlich eine Menge aushielt.
„Hast du genug gehört?", wurde er irgendwann gefragt.
„Dafür Bring ich dich um", sprach er seine Drohung sofort aus. Ob das clever war oder nicht, es kam ihm einfach über die Lippen. Sollte er diesen Kerl je in seine Finger kriegen, er würde sich ganz bestimmt nicht davon abhalten können. Doch was folgte, war zunächst nur ein freudloses Lachen.
„Das erledigt die Zeit schon von alleine. Also, hast du deine Meinung geändert?", blieb der andere völlig unbeeindruckt.
Was sollte er nur machen? Hatten sie wenigstens den Standort? Hatte es sich wenigstens gelohnt, sich das alles anhören zu müssen? Konnten sie ausmachen, wo er war und endlich fähige Leute dahinschicken, die Arthur einfach nur daraus holten, damit sie diesen Horror endlich hinter sich lassen konnten?
„Noch hat dein Bruder genügend Fingernägel, die ich ihm rausreißen lassen kann", wurde er aus seinen Überlegungen gerissen. Am Anfang sprach er noch ruhig mit ihm, doch mit jedem Wort, gab sein wohl schlimmster Feind, den eigenen Ärger preis. „Frag dich lieber, womit ich weitermache, wenn keine mehr übrig sind und dann frag dich, was für ein Bruder du bist, dass du das zugelassen hast, nur, weil du selbst zu feige gewesen bist!"
Und ehe er noch darauf reagieren konnte, wurde aufgelegt.
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Senza Regole
Fanfiction⊱ Sie wussten wann es passieren sollte und wie es passieren sollte. Sie waren auf alles vorbereitet, hatten einen Monat Zeit, sich Pläne zu machen und alles bis ins aller kleinste Detail zu planen. Es konnte gar nichts mehr passieren und das durfte...