Kapitel 5 | Torture

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Torture
Kapitel 5


Arthur



4. September 2023
An einem unbekannten Ort in Italien
3:29 Uhr



„Hast du endlich Genug?"

Die Frage drang kaum noch zu ihm durch.
Das hörte sich an, als habe er Watte in den Ohren. Trotzdem ließ er sich das nicht anmerken. Langsam wurde es schwierig, den Kopf immer wieder zu heben. Er wollte nicht nachgeben, aber sein Gesicht hatte schon einiges abbekommen. Die Lippe war längst aufgeplatzt und er hatte das Gefühl, als würden sich die ersten Schwellungen schon ausbreiten.
„Ich sag dir gar nichts", wiederholte er sich dennoch eisern, wobei einiges an Blut von seiner Lippe und seinem Kinn tropfte.
„Oh doch. Vor allem wirst du deinen Bruder anrufen und ihm sagen, dass er lieber zu mir kommt", hieß es erneut. Taktisch vorzugehen war nicht sein Ding. Aber alles was er machen konnte war, sich immer wieder ein paar Sekunden Zeit zu verschaffen. Und das machte man am besten, in dem man sich möglichst dumm stellte.
„Ein Treffen mit Lorenzo hättest du leichter haben können", entgegnete er etwas atemlos.
Er hatte wirklich Schmerzen und konnte auch nicht mehr gut gucken.
„Ich meine nicht-", setzte sein Gegenüber an, als ihm natürlich schon auffiel, dass er das unmöglich ernst meinen konnte. Er hatte auch nicht damit gerechnet, nicht direkt durchschaut zu werden. „Deine Dummheit wird dir auch nicht weiterhelfen!"

Da mochte der Kerl sogar recht haben.
Dennoch konnte er sonst gerade ja nichts machen. Was sollte er also tun? Denn Charles ernsthaft zu bitten, her zu kommen, stand nicht zur Debatte. Das konnte er nicht tun. Der wollte seinen Bruder umbringen und das würde er auf gar keinen Fall zulassen.
„Wir werden sehen", ließ er sich also hinreißen zu sagen, was selbstredend nicht gut aufgefasst wurde.
„Was war das?"
Dabei hatte der Wichser ihn doch genau verstanden!
„Wir – werden – sehen", betonte er also jedes Wort einzeln, als habe er es hier mit einem tauben Greis zu tun und das war durchaus nicht weit hergeholt. Wie alt war dieser Penner jetzt? Achtzig? Sicher ähnlich alt wie dieses Grabgemüse von Red Bull.
„Eins muss man dir lassen. Diesen Blick hast du von Charles. Ich hab wirklich etwas in deinem Bruder gesehen. Etwas, was ich bei Schumacher und Räikkönen nie gesehen hab. Ich dachte, er wäre etwas Besonderes. Ich dachte, er würde etwas vollbringen, was noch keinem gelungen war", schwafelte dieser alte Mann nun drauflos.
Das wollte er alles gar nicht hören...

Er mochte die Vergleiche zu Charles ohnehin nicht.
Ja, es mochte sein, dass sie einander sehr ähnlich waren und er war auch stolz drauf, so einen Bruder zu haben. Aber sie waren trotzdem verschiedene Menschen und was bei Charles war, musste bei ihm nicht automatisch genauso sein.
„Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Dein Bruder hat mich schwer enttäuscht und ich beende das jetzt auf meine Weise. Also. Wenn du dich weiterhin weigerst mitzuspielen, dann müssen die Beiden dir noch mehr wehtun. Ich rufe Charles so oder so an. Er wird entweder deine Stimme hören, die ihn darum bittet, herzukommen und dich aus deiner misslichen Lage zu befreien, oder er wird deine Schreie hören und ich werde ihn daran erinnern, dass wir keine Verwendung für dich haben. Es liegt ganz bei dir, wie schlimm es für ihn noch werden soll", wurde ihm nun in Aussicht gestellt.
Er wollte nicht, dass Charles das durchmachen musste. Auf gar keinen Fall. Aber er konnte ihn darum nicht bitten. Das würde er niemals machen. Selbst, wenn es keinen Unterschied machte. Sein Widerstand war jetzt alles, was er noch hatte. Wenn er den Aufgab, dann würde es sich anfühlen, als hätte er aufgegeben und als hätte er Charles selbst verraten. Also presste er seine kaputten Lippen nur fest aufeinander und entschied sich für einen weiteren, trotzigen Blick.
„Na schön, ich hatte nicht vor, Charles leiden zu lassen, aber du lässt mir ja keine andere Wahl. Es hätte kurz und schmerzlos sein können. Etwas, was meinem Bruder im Übrigen nicht vergönnt war", wurde er erinnert und das war so falsch, so verlogen, verdreht und vollkommen abartig, dass es ihn wütend machte.

Er wollte, er könnte jetzt aufspringen und diesem alten Sack seine geballten Fäuste wirklich um die Ohren schlagen.
„Dein Bruder... Der würde sich doch im Grab umdrehen, wenn der wüsste, was du machst. Genau wie dein Vater. Der würde dir doch nie verzeihen, dass du ihren Namen in den Dreck ziehst", entgegnete er. Ob das nun mutig oder dumm war, war ihm am Ende auch vollkommen egal. Wie konnte man das Erbe seiner Familie denn so mit Füßen treten?
„Was glaubst du denn über meine Familie zu wissen", wurde er auch direkt gefragt. Natürlich konnte er sich das im Grunde nicht anmaßen. Als der Vater von diesem Arschloch gestorben war, war er selbst noch lange nicht auf der Welt gewesen und als dessen Bruder starb, waren noch nicht einmal seine Eltern geboren. Das waren Dinge, die schon in sehr weiter Vergangenheit lagen.
Aber er verstand etwas von Familie. Er verstand gewiss Dinge, die dieser Kerl hier niemals verstehen würde. Er glaubte auch nicht, dass es ihm etwas bringen würde, es zu erklären. Damit könnte er allerdings noch etwas Zeit gewinnen, nur ob das etwas brachte. Er wollte einfach nicht nachgeben. Er wollte sich dagegenstemmen, so lange er konnte, nur etwas sagte ihm, dass damit sehr bald Schluss sein würde.

„Find's doch selber raus", murmelte er mehr, als er es wirklich sagte.
Hätte er gewusst was folgte, dann hätte er es möglicherweise mit Reden versucht hinaus zu zögern.
„Na schön, wir haben Zeit", wurde ihm mitgeteilt und an diesem Tonfall erkannte er schon, dass es jetzt erst richtig schlimm für ihn werden würde. „Weitmachen."
Was darauf folgte, war etwas, was man sicherlich nur aus entsprechenden Filmen kannte. Er hatte keine Zeit, irgendwie zu reagieren oder sich noch einmal zu überlegen, ob er nicht doch einlenken wollte. Noch bevor er an Einwende denken konnte, hatten seine Folterknechte ihrer Bezeichnung schon Ehre gemacht und sich seine rechte Hand vorgenommen. Ohne zu zögern, bohrten sich etwas unter einen seiner Fingernägel, der kurz darauf mit einem einzigen Ruck von der Haut gerissen wurde und nichts als Blut und entsetzliche Schmerzen hinterließ.
Es war kaum möglich, sich überhaupt noch einigermaßen unter Kontrolle zu halten. So sehr er sich versuchte, keinen Ton von sich zu geben, das gelang ihm selbstverständlich nicht. Das waren höllische Qualen und er verdrängte lieber die Tatsache, dass sie das immerhin noch neunmal mit ihm machen konnten.

„Na, immer noch so eine große Klappe?", wurde er gefragt, aber er antwortete nicht.
Er war zu sehr damit beschäftigt, die Schmerzen irgendwie weg zu atmen und seine Schreie irgendwie zu dämpfen. Er musste das aushalten. Irgendwie und er wusste beim besten Willen nicht, wie er das machen sollte. Aber wenn Charles das hörte, vielleicht sogar sah, dann würde er doch sofort losstürmen und etwas sehr Dummes tun.
„Du hast noch neun und wenn es sein muss, dann wird Charles bei jedem weiteren zuhören. Es ist deine Entscheidung", wurde ihm natürlich genau das angedroht, was er auch befürchtete. Doch es blieb für ihn dabei. Standhaft zu bleiben war alles, was er jetzt noch hatte und er würde Charles niemals bitten, sich für ihn umbringen zu lassen.
Am Ende würden sie doch ohnehin beide sterben.
„Wie es aussieht, seid ihr tatsächlich nicht besonders schlau", stellte sein Gegenüber verächtlich fest und zog ein Handy hervor. Sicherlich keins, welches er öfter als einmal benutzen würde. Und er wusste, dass er Charles anrufen würde.

Er konnte nichts dagegen tun.

Senza RegoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt