Kapitel 10 | Ramblings

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Ramblings
Kapitel 10


Arthur



4. September 2023
Nahe Genua, Italien
4:02 Uhr



„Eins muss ich dir ja lassen. Du hältst deutlich mehr aus, als ich dir zugetraut hab."

Schon wieder dieses hohle Gerede. Was interessierte ihn das denn? Selbst nach dieser Tortur kam er nicht umhin sich zu fragen, ob diese fürchterlichen Schmerzen sein größtes Problem waren oder dieses stumpfe Gequatsche mit dem dieser alte Mann einfach nicht aufhören wollte.
Hatte er gedacht, Matassa wäre schrecklich und das Schlimmste, was der Driver Academy hätte passieren können? Nein. War er nicht. Gegen diesen Dreckskerl hier, war Matassa ein richtig netter Kerl. Ihr größter Kindheitstraum, hatte sich in einen Albtraum verwandelt. Wenn sie als Kinder gewusst hätten, wessen Namen sie immer mit so viel Stolz auf dem Bildschirm verfolgt hatten...
Aber was brachte das schon? Sie hatten es nun einmal nichts gewusst. Mit dem heutigen Wissen bekam er das starke Bedürfnis, sämtliche rote Shirts, Pullover und Jacken aus seinem Schrank zu verbannen, auf einen Haufen zu werfen und zu einem schönen Häufchen „Garnichts" zu verbrennen.

„Willst du mir jetzt einen Orden verleihen, du kranker Wichser?"
Das spuckte er ihm zwar direkt vor die Füße, aber das klang schon zu heiser, um noch irgendwen besonders beeindrucken zu können. Vielleicht wäre es wirklich an der Zeit, seine rebellische Haltung aufzugeben und wenigstens um eine Atempause zu verhandeln.
Was nicht in Frage kam. Dieser Kerl hatte einen eiskalten Mordplan gegen seinen Bruder erdacht. So jemanden würde er ganz sicher nicht anbetteln und auf gar keinen Fall tun, was der von ihm wollte. Eher würde er sich noch die restlichen Nägel rausreißen lassen und sich die Zunge abbeißen, als dass er dem irgendwas verraten würde.
„Große Worte für jemanden in deiner Lage. Glaubst du wirklich, dass dich das weiterbringen wird?", wurde er gefragt und er hatte dieses Gerede so satt. Er wollte davon nichts hören.
„Du tust doch sowieso, was du willst. Meine Worte machen keinen Unterschied", stellte er also fest, obwohl er sich nichts davon versprach, mit diesem Kerl zu reden. Aber was konnte er sonst noch machen? Er saß hier fest und hatte nicht sonderlich viele Optionen.

Der alte Italiener saß ihm direkt gegenüber. Zu nah, für seine Begriffe.
„Du scheinst sehr davon überzeugt zu sein, dass ich dir etwas Böses will. Dabei geht es mir nur um deinen Bruder", lautete der nächste Satz, der ihn innerlich ausrasten ließ. Was war das für eine Logik? Ihm nichts Böses wollen, aber seinem Bruder etwas antun? Das passte nicht zusammen.
„Und nur meinen Bruder nehmen zu wollen nennst du, mir nichts Böses wollen? Du kapierst es wohl wirklich nicht", hielt er mehr für sich selbst fest.
„Ich verlange nicht von dir, dass du das verstehst. Aber ich hab meine Entscheidung getroffen", schwadronierte sein Gegenüber einfach weiter.
Im Moment empfand er dieses Geseier als das schlimmere Übel verglichen mit seinen entsetzlichen Qualen. Ob das am Adrenalin lag? Oder an was auch immer. Es spielte doch eigentlich gar keine Rolle mehr.
„Du bist aber nicht Gott! Nur weil du den Löffel abgibst, musst du ihn doch nicht auch umbringen. Was soll der Schwachsinn?", platzte es aus ihm raus.
Wenn er sich die ganze Scheiße hier schon anhören musste, dann wollte er wenigstens auch ein paar Antworten bekommen.

„Weißt du, wie groß der Name meiner Familie ist? Das ist so viel mehr, als eine Marke. Es geht nicht um das Geld, was damit verdient wird oder die Macht, die einem das geben kann. Es geht um die Geschichten dahinter. Die Dramen, die Tragödien und natürlich die Erfolge. Das ist es, was dahintersteht. All die Namen."
Großartig. Noch mehr heroisches Gequatsche. Aber alte Leute redeten ja gerne über die Vergangenheit und die so viel zitierten, besseren Zeiten. Er würde gerne die Augen verdrehen, aber er hatte ziemlich fiese Kopfschmerzen, die er damit wohl noch verstärken würde. Lieber hielt er den Mund und ließ dieses Genie weiterreden.
„Charles Lebensgeschichte ist immer noch wertvoller als das, was er bislang für Ferrari erreichen konnte. Ich hab so viel übrig für ihn. Ich hab in deinem Bruder etwas Größeres gesehen. Als ich ihn traf, da konnte ich die Zukunft vor mir sehen. Ich wollte das so sehr für ihn."
Das hatte mal definitiv nichts mehr mit italienischer Leidenschaft, sondern mit absolutem Wahn zu tun. Seine ramponierten Hände ballten sich ganz automatisch zu Fäusten. Sowas über Charles zu sagen würde er unter normalen Umständen niemandem erlauben. Charles Wert war weder das, was in seinem Leben passiert war, noch welche Erfolge er einfuhr und welche nicht. Aber sowas brauchte man solchen abscheulichen Leuten ja nicht erklären.

Er seufzte innerlich, hielt weiter den Mund.
„Naja, um ehrlich zu sein, sah ich es zuerst bei Jules. Mit ihm hat das alles begonnen. Sonst hab ich immer nur die Fahrer zu uns holen lassen, die sich irgendwo schon bewiesen hatten. Aber als ich Jules sah..."
Er musste sich auf die Lippe beißen, damit er die unnötige Diskussion nicht von vorne lostrat. Jules war ein rotes Tuch, im wahrsten Sinne. Nicht so sehr für ihn selbst, aber für Charles. Selbstverständlich fehlte Jules ihm genauso und was ihm passiert war, hatte ihre ganze Familie erschüttert. Aber näher als Charles hatte ihm nun einmal niemand von ihnen gestanden. Er würde solchen Kerlen nur zu gerne verbieten können, Jules' Namen auch nur in den Mund zu nehmen.
„Ich wollte ein einziges Mal einen jungen Fahrer selbst von seinen Anfängen, bis zu uns führen. Er hatte das Potenzial dafür, er war einfach perfekt. Und dann diese Tragödie in Suzuka."
Worte, die Bilder hervorholten und Erinnerungen wachriefen, die er gerade nicht noch obendrauf gebrauchen konnte. Er würde das sicherlich niemals vergessen können. Den schlimmen Unfall und was danach alles passiert war.

„Ich war deswegen untröstlich. Es war, als hätte ich eins meiner Kinder verloren. Ich sah in ihm fast so etwas, wie meinen eigenen Sohn. Ich dachte, ich würde daran zerbrechen, so wie unser Vater einst an dem Tod meines Bruders. Und dann sah ich Charles und ich wusste, dass nur er Jules' Nachfolger werden konnte. Er erinnerte mich so an mich selbst, nachdem ich meinen Bruder verloren hatte."
Charles sollte also wie dieses Stück Scheiße vor ihm sein? Damit wäre die geistige Störung in Vollendung erwiesen. Das war das letzte Prozent, was noch fehlte, um diesen kranken Typen als komplett in einer anderen Realität verschollen zu bezeichnen.
„Aber der Titel wird nicht kommen und die Geschichte geht zu Ende. Ich muss das Ende selbst schreiben und ich werde nicht zulassen, dass man über die Beiden nie wieder spricht, nur, weil sie keine Titel holen konnten. Ein identischer Todestag ist doch alles, was ich noch tun kann, um für immer eine Verbindung herzustellen."

Er würde ja gerne etwas sagen, aber für derartig überdimensionalen Schwachsinn fehlten ihm komplett die Worte.
Das war also die endgültige Offenbarung, was genau diesen verbitterten, alten Mann, dessen Vater eine verdammte Legende in Italien war, dazu trieb, ihn hier auf grausamste Art und Weise foltern zu lassen, damit er dafür sorgte, dass sein eigener Bruder in seinen sicheren Tod ging? Das war ein bisschen zu viel für seine Synapsen. Das konnte er nicht einmal ansatzweise in sein Hirn sickern lassen, wie zur Hölle jemand auf so dermaßen abartige Gedanken kommen konnte.
„Nun, lasst uns weitermachen", wandte sich der Typ da aber schon, an diejenigen, die hier die ganze Drecksarbeit für ihn machten. „Charles scheint den Ernst der Lage ja noch nicht erfasst zu haben und ich rate dir, es ihm deutlich zu machen, wenn du nicht willst, dass meine Leute dich vollständig verstümmeln."

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