Shockedness
Kapitel 2
Lorenzo
4. September 2023
Italienische Riviera
2:20 Uhr
„Charles..."
Er regierte nicht auf ihn.
Er hatte ihm nun mehr als zwei Stunden Zeit gegeben, um sich zu fangen, aber es war klar, dass das nicht ohne weiteres passieren würde. So kannte er ihn überhaupt nicht. Charles hatte immer alles mit viel Fassung getragen und selbst, wenn ihm etwas zu viel wurde, dann war er dazu in der Lage, sich sehr schnell wieder zu fangen.
Aber das hier war etwas vollkommen anderes. Es ging um Arthur und ihm etwas anzutun, war nun einmal alles, was Charles wirklich aus der Ruhe bringen konnte, was er niemals akzeptieren würde und was ihn verdammt tief erschüttern konnte. Was seinen jüngeren Bruder betraf, hatte Charles einen sehr deutlich ausgeprägten Beschützerinstinkt.
Den hatte er selbst als ältester von ihnen Drei gewissermaßen auch, doch bei Charles war es gegenüber Arthur noch ein wenig intensiver. Ein Umstand, der in ihrer frühen Kindheit begründet lag, wie er wusste und darum war es nun auch so gut wie unmöglich, Charles dazu zu bringen, diese verdammte Landstraße zu verlassen, auf der alles schiefgelaufen war.
„Charles, komm weg hier. Das macht doch keinen Sinn", probierte er es erneut.
Er hatte ihm jetzt zwei Stunden lang sämtliche Polizisten und Rettungskräfte von Leib gehalten, die mit ihm sprechen wollten und ihn in die Ferne starren lassen. Bei Charles erreichte man gar nichts, wenn man ihn zwingen wollte. Er musste sich selbst fangen.
„Aber, ich kann doch nicht...", setzte dieser an, schien immer noch nicht richtig glauben zu können, was ihnen Furchtbares widerfahren war. Er wollte, er könnte ihm mehr helfen, ihn beruhigen, ihm versprechen, dass alles wieder gut werden würde, aber das konnte er nicht. Er neigte auch nicht unbedingt dazu, die Dinge positiv zu sehen. Er war selbst Realist. Nur, sie konnten Arthur auch nicht aufgeben und daran zu denken, was passieren würde, verhinderte, dass sie klare Gedanken fassen konnten.
„Die finden Arthur", versuchte er es noch einmal, was ihm selbst schon wie ein verdammt schwacher Versuch vorkam. Er stand nur eine Armlänge von Charles entfernt und doch hatte er das bedrückende Gefühl, nie weiter von ihm entfernt gewesen zu sein.
„Die finden seine Leiche und sonst nichts!", entgegnete Charles aufgebracht.
„Jetzt komm erstmal mit. Wir müssen weitermachen", versuchte er ihn zu erinnern. Charles brauchte dringend eine Aufgabe, sonst würde er früher oder später komplett zusammenbrechen. Das wollte keiner hier riskieren.
„Weißt du, was er zu mir gesagt hat, als die am Flugplatz auf uns gewartet haben? Weißt du, was das Letzte ist, was mein Bruder mir gesagt hat? Er sagte, er hat keine Angst. Er hatte keine Angst, weil wir zusammen waren. Und jetzt... Jetzt soll er da ganz alleine durch?", konnte Charles immer noch nicht begreifen, dass das schiefgelaufen war.
Er selbst hatte den Plan die ganze Zeit furchtbar gefunden. Dass Charles sich der Gefahr wissentlich aussetzte, aber sie hatten keine andere Wahl gehabt. Sie hatten gewusst, wann es passieren sollte und wie es passieren sollte.
Hätten sie Charles Heimflug einfach verhindert, wie es ihnen am liebsten gewesen wäre, dann wären sie gewarnt gewesen und hätten ihn womöglich abgepasst, wenn sie damit nicht mehr rechneten oder sich weit weniger gut vorbereiten könnten. Arthur hätte damit nichts zu tun gehabt, wenn man seine Termine nicht kurzfristig geändert hatte, sodass er Charles auf dem Heimflug begleiten musste.
Das konnte alles kein Zufall sein.
„Er muss da nicht alleine durch. Und du auch nicht. Charles, bitte. Alle brauchen dich jetzt. Ohne dich finden sie Arthur niemals, aber du kannst noch helfen", versuchte er ihm mit Nachdruck klarzumachen.
„Wieso er? Wieso nicht ich? Das war doch alles gar nicht so geplant." War es auch nicht, aber leider waren ihre Gegner gefährlich und alles andere als dumm. Sie konnten jetzt nur hoffen, dass die Kerle, die ihnen ins Netz gegangen waren, auspacken würden.
„Die wollten auf Nummer sicher gehen. Deswegen zwei Autos. Deswegen euer zusammengelegter Flug", sprach er aus, welche Erkenntnis ihm längst gekommen war. Die Absturzquote von Privatflügen, ließ sich leider nicht leugnen. Hätten die Charles in die Finger bekommen, hätte man am Morgen in der Zeitung lesen können, dass er bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sei, damit keiner nach ihm suchen würde.
Eine schreckliche Vorstellung. Wie hätten sie das ihrer Mutter erklären sollen? Sie hätte es nicht überlebt, nach all den Schicksalsschlägen auch noch sowas in der Zeitung lesen zu müssen oder die Berichte, die es in den Nachrichten gegeben hätte.
Umso schlimmer, dass es ihnen nun gelungen war, Arthur in die Finger zu bekommen. Selbst, wenn die ihre Pläne nun ebenfalls ändern mussten...
Er hatte vorhin mit seiner Mutter telefoniert und wie erwartet, ging es ihr damit schlecht.
Wie könnte es auch nicht? Nur gut, dass sie nicht alleine war, dass sie alle Freunde hatten, auf die sie sich verlassen konnten und dass sie auf diese Nacht gefasst gewesen waren. Nur konnte es einer Mutter, die nun um das Leben eines ihrer Kinder fürchtete, auch nicht trösten.
„Wenn die wissen, dass Arthur das alles rausgefunden hat...", warf Charles noch ein, denn ohne Zweifel hätten sie ohne Arthur nie von all diesen unglaublichen Plänen erfahren. Der hatte erst gar nicht gewusst, ob und wie er s ihnen sagen sollte, weil es nun einmal so unglaublich klang.
„Charles. Eins nach dem anderen. Jetzt komm erstmal mit", ließ er nicht locker. Er musste Charles irgendwie aus diesem Zustand bekommen, damit er wieder zu gebrauchen war. Es war verdammt hart, aber es ging nicht anders.
„Aber, ich muss-", setzte dieser wieder an, als er sich verzweifelt zu ihm umdrehte, aber er schüttelte nur den Kopf.
„Du musst zur Ruhe kommen", beharrte er, aber das war alles zu viel für Charles. Viel zu viel und das war verständlich. Zum Glück gab es noch jemanden, den er bitten konnte, mit Charles zu reden.
„Ich kann nicht", teilte dieser ihm mit, wandte sich wieder von ihm ab und starrte diese dunkle Landstraße hinunter, als könnte Arthur jeden Moment irgendwo dort auftauchen. Das würde er aber ganz sicher nicht. Deswegen entschied er, einer ganz bestimmten Person eine kurze Nachricht zu schreiben.
„Ich weiß. Aber es geht nicht anders."
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Senza Regole
Fanfiction⊱ Sie wussten wann es passieren sollte und wie es passieren sollte. Sie waren auf alles vorbereitet, hatten einen Monat Zeit, sich Pläne zu machen und alles bis ins aller kleinste Detail zu planen. Es konnte gar nichts mehr passieren und das durfte...