Kapitel 13 | Mental Support

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Mental Support
Kapitel 13


Arthur



Monaco
Sommer 2014



„Was ist los?", hörte er die Stimme seines Vaters, kaum dass er sich auf einen der alten Reifen plumpsen ließ.
„Gar nichts", behauptete er ungeschickt, denn selbst der dümmste Mensch der Welt würde bemerken, dass er aufgebracht war und irgendwas nicht stimmte.
„Du wirfst deinen Helm aber nicht wegen gar nichts weg", machte sein Vater ihn auch ohne große Umschweife darauf aufmerksam, dass das die zwei unnötigsten Worte der Welt gewesen waren. Zumindest jetzt und in seiner Situation.
„Es macht keinen Sinn", antwortete er, ohne eine genaue Erklärung, was er damit meinte. Zum Glück war sein Vater immer sehr geduldig mit ihm.
Auch diesmal, denn statt sich über seine Andeutungen aufzuregen, setzte er sich lieber neben ihn, legte ihm einen Arm um die Schulter und versuchte aus seinen Worten schlau zu werden.
„Was macht keinen Sinn?"

Sollte er das wirklich sagen? Er wollte nicht, dass das blöd rüberkam oder eifersüchtig klingen, aber wenn er seinem Vater nicht sagen konnte, was in ihm vor sich ging, wem dann?
„Das alles. Ich kann diesen Abstand doch nie aufholen und Charles wird immer besser sein als ich", versuchte er also zu erklären, was ihn gerade so aus der Fassung brachte. Er war deswegen auch ganz bestimmt nicht wütend auf Charles oder dergleichen. Im Gegenteil. Er freute sich für seinen älteren Bruder und wollte auch, dass er erfolgreich war. Es war nur manchmal so schwer, dass er da nicht richtig mitziehen konnte.
„Wer sagt das?", wurde er gefragt, was ihn dazu veranlasste, mit den Schultern zu zucken.
„Alle. Jeder sagt mir, was er alles hinbekommt. Es stimmt doch auch. Er kann das alles besser", entgegnete er. Das bestritt er ganz sicher nicht. Sein Bruder war unglaublich talentiert und die Menschen zogen andauernd diese Vergleiche zwischen ihnen. In der Schule war das auch nicht anders. Wie oft konnte er sich belehren lassen, wie Charles die Dinge tat? Er war nun einmal Charles' Bruder, nicht sein Klon. Natürlich gab es Unterschiede.

Sein Vater schien allerdings zu verstehen.
„Das ist nicht wahr. Er ist drei Jahre älter als du. Er hat mehr Übung und wir konnten ihm mehr ermöglichen. Das ist nicht fair. Dich an jemandem zu messen, der auf einem ganz anderen Stand ist", versuchte sein Vater ihm zu erklären und das klang auch logisch. Aber irgendwie doch auch ein wenig nach einer Ausrede oder nicht?
„Und was soll ich tun? Jeder sagt mir, was er alles kann und wie gut er ist und sie vergleichen uns nun einmal", hob er noch einmal hilf- und ratlos die Schultern. Manchmal hatte er Angst, dass das dumme Gerede irgendwas zwischen Charles und ihm änderte und das wollte er auf gar keinen Fall.
„Damit hören sie auch nicht auf. Du wirst es immer schwerer haben, als deine Brüder. Sie haben sich in vielen Dingen schon bewiesen und du musst dich immer doppelt anstrengen. Aber das macht dich nur besser und stärker", war sein Vater sich trotzdem wohl sicher, dass er seinen Weg machen würde. War das so?

Er warf seinem Vater einen etwas zweifelnden Blick zu.
„Denkst du wirklich?" Er fühlte sich nicht gerade stärker, als Lorenzo oder Charles. In gar nichts. Außer darin, andere ein wenig zu reizen. Darin war er eindeutig besser. Fand er zumindest.
„Ja. Weil ihr so gut zusammenhaltet. Weil ihr ein gutes Verhältnis zueinander habt und füreinander nur das Beste wollt. Deswegen kannst du an diesen ganzen Herausforderungen wachsen. Der schwierige Weg lohnt sich durchaus." Und auch das klang so schrecklich richtig. Von der Seite sollte er es wohl durchaus betrachten, nur war das nicht so leicht, wie es sich anhörte.
„Also findest du, ich sollte es weiter versuchen, auch, wenn wir uns das eigentlich nicht leisten können?", hakte er mal vorsichtig nach, denn er wusste ja, dass der finanzielle Aspekt für seine Eltern auch nicht ganz leicht zu stemmen war. Wenn Charles in die nächsthöhere Rennklasse aufstieg, dann würden sie für ihn wohl gar kein Geld mehr übrighaben und dann war es vorbei. War es nicht besser, wenn sie dafür direkt vorsorgten und ihm das Fahren ganz verboten?
„Natürlich. Ihr sollt alle Drei tun, was ihr liebt und machen möchtet. Es wird sich was finden und wir werden immer stolz auf das sein, was ihr erreicht", versprach sein Vater ihm und mit diesem Wissen ging es ihm auch schon deutlich besser.



4. September 2023
Nahe Genua, Italien
4:17 Uhr



Was würde er dafür geben, wenn er noch einmal so mit ihm reden könnte?
Ob er wohl wusste, was passiert war und wo er hier war? Ob es so war, wie man sich das immer einredete? Konnte er bei ihnen sein und ihr Leben weiterverfolgen?
Eigentlich hatte er darüber nie viel nachgedacht. Auch nicht nach dem Tod seines Vaters. Es war ihm falsch erschienen. Und er hatte auch ein wenig Angst vor diesen Fragen gehabt. Tatsächlich war er durchaus hin und hergerissen.
Seine Familie war ja nicht besonders religiös. Nicht so, dass sie vor dem Essen beteten oder solche Dinge. Sie beschäftigten sich nicht so viel mit Glaubensfragen.
Aber ein Teil wünschte sich schon, dass es noch eine Verbindung gab, dass er irgendwie bei ihnen sein konnte und dann auch wieder nicht.

Dass sein Vater das hier miterlebte, wollte er auf gar keinen Fall.
Er wollte schon gar nicht darüber nachdenken, was seine Mutter gerade durchmachen musste. Wie viele Einzelheiten kannte sie jetzt wohl? Ob Charles schon mit ihr gesprochen hatte?
Verdammt...
Charles hatte sich auf diesen Scheiß ernsthaft eingelassen. Was sollte er jetzt nur machen? Alles, was er hatte tun können war, nichts weiter zu verraten. Er hätte bis zum Schluss den Mund gehalten, egal was sie taten. Nichts auf der Welt tat so weh, wie mit sechzehn den eigenen Vater zu verlieren.
Aber hätte er sich an Charles' Stelle denn zurückhalten können?
Er war nicht wütend auf seinen Bruder. Er fürchtete bloß, dass man es noch ein wenig ausnutzen würde, sie bald beide in der Hand zu haben. Jetzt würde man sie gegeneinander ausspielen können, sie gegenseitig besser erpressen können und daran, was man ihnen antun würde, wollte er überhaupt nicht denken.

Jetzt stellte er sich durchaus die Frage, ob man sich nach dem Tod wiedersehen würde.
Vermutlich fand er das nun schneller raus, als ihm lieb war. Dabei sollte so vieles doch gerade erst anfangen. Er hatte noch so viel vor. Entweder im Motorsport oder auch abseits davon. Vor allem Dennis spielte jetzt so eine große Rolle in seinem Leben.
Endlich hatte er seinen Jackpot. Immerhin störte Dennis sich nie an seinen Macken, ließ sich auf jeden Mist ein, war für ihn da und bremste ihn auch mal aus, wenn es mit ihm durchging. Er hatte so viel Ruhe und Gelassenheit...
Und er hatte ihm versprochen, dass ihm nichts passieren würde. Es fühlte sich scheiße an, sein letztes Versprechen nicht einhalten zu können.
War es wirklich hoffnungslos? Sollte er jetzt das Unvermeidbare akzeptieren?
Fast hätte er bei diesem Gedanken über sich selbst kräftig geschnaubt. Er war immer noch ein Leclerc und die gaben nicht auf. Nicht einmal wenn die Apokalypse bevorstand. Das konnten die echt vergessen.

Sorgen bereitete ihm nur, dass ihn mehr und mehr die Kräfte verließen.
Er hatte selbstverständlich entsetzliche Schmerzen von der ganzen Tortur, er hatte ewig nicht geschlafen und es war hier dunkel, unbequem und...
Wenn er so über seine Situation nachdachte, dann wollte er durchaus verzweifeln. Aber das tat er nicht.
Er konnte es nicht genau erklären, aber er war hier nicht so alleine, wie es scheinen mochte.
Ob er jetzt wohl den Verstand verlor?
Das mochte vielleicht so sein.
Aber wenn es bedeutete, dass er irgendwie das Gefühl bekam, sein Vater war in diesem Moment auf eine unerklärliche Weise hier, war ihm das egal.
Sicher, nicht wirklich...
Geister waren quatsch, so viel wusste er ja auch.
Trotzdem gab es diese Präsenz und er fühlte genau, dass er es sein musste. Ob er sich das einbildete oder es tatsächlich so war, war ihm auch vollkommen gleich.

Es half ihm.

Senza RegoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt