Nachbarsgarten

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Seit seiner Abreise gestern am frühen Nachmittag hatte ich nichts von ihm gehört. Ich hätte ihn schon zwanzig Minuten später mit Liebesreimen zutexten können, hielt mich aber davon ab. Stattdessen versuchte ich den Rest meiner freien Zeit sinnvoll zu nutzen und besuchte wie geplant meine Mutter. Begeisterung über meinen kurz angebundenen Besuch zeigte sie nicht. Vorwürfe hagelte es stattdessen wieder, dass ich in letzter Zeit nie bei ihr vorbei gesehen hatte. Also schulterte ich auch heute meine Tasche und machte mich auf den Weg zu ihr. Schwerfällig trat ich in die Pedalen, bis ich endlich absprang und mein Fahrrad an den niedrigen Holzzaun lehnte. Ich richtete mein Haar, versuchte die Strähnen, die sich im Fahrtwind gelöst hatten zu bändigen und drückte den kleinen, silbernen Knopf, der die Klingel ertönen ließ. Mit dem Fuß auf der kleinen Stufe vor der Haustür tippelnd, wartete ich dass sie mir endlich die Tür aufzog.
,,Ach Marlie. Mit dir hab ich ja gar nicht gerechnet." Begrüßte sie mich freudig und trat zur Seite.
,,Ich hab doch gesagt ich mach alles möglich um wieder öfter vorbei zu kommen." Der Schnürrsenkel ihres Schuhs war offen und schliff auf dem Boden, als sie vor lief in die Küche.
,,Mama, dein Schuh." Deutete ich auf ihn und erschrack als mich der Schatten auf der hölzernen Eckbank begrüßte. Heinz saß bei meiner Mutter am Küchentisch. Vor ihm ein Brotbrett mit Schwarzbrot und Leberwurst. Sofort fiel mir der frische Blumenstrauß auf, der gestern noch nicht dort stand und definitiv nicht aus ihrem Garten stammte.
,,Hallo Heinz. Was machst du denn hier ?"
,,Ich hab deiner Mutter im Garten geholfen. Ich bin aber gleich weg."
Ich nickte bloß und spähte aus der Terrassentür in den Garten. Die Rosen waren bereits zurück geschnitten und der Rasen gemäht.
,,Mama, dein Schuh ist offen." Wendete ich mich noch einmal zu ihr und schaute sie an.
,,Oh, achso. Ja, Möchtest du einen Tee ?" Überging sie mich einfach und setzte den Kessel auf die Herdplatten. Ich stutzte und trat hinter sie, um den Kessel wieder zurück zu stellen.
,,Mama!" Schrie ich sie beinahe an. Sie zuckte leicht zusammen und schaute mich aus großen Augen an.
,,Dein Schuh! Du fällst sonst gleich! Er ist offen!" Wiederholte ich mit nachdruck. Sie nickte bloß und wendete sich um zu Heinz, dieser verstand sofort und erhob sich von der Bank.
,,Ich seh dann morgen nochmal nach dir." Lächelte er schwach durch die faltrigen Lippen und setzte sich die Mütze auf den Kopf.
,,Auf Wiedersehen Marlie." Klopfte er auf den hölzernen Tisch und verschwand aus der Tür.
Meine Mutter atmete auf.
,,Ich verstehe dich sehr gut Marlie! Kannst du ihn mir zubinden ?" Ihr hilfloser Blick ließ mich innerlich zusammen sacken.
,,Natürlich, setz dich." Zog ich einen Stuhl heran und hockte mich zu ihr.
,,Ich habs seit Tagen wieder so im Rücken. Ich komm nicht runter. Es hat gerade so für einen Schuh gereicht aber das soll Heinz nicht mitbekommen, er sorgt sich genug." Klagte sie.
,,Aber bei deinem Gebrüll hat es die ganze Nachbarschaft gehört."
,,Man Mama. Woher soll ich das denn wissen ?Hast du keine anderen ?"
,,Die sind doch alle scheußlich. Sowas trag ich nicht." Ich stöhnte ungläubig und stand auf.
,,Ja, aber so geht's auch nicht Mama." Zustimmend gab sie nach und stand wieder auf.
,,Ich will auch nicht alleine in die Stadt gehen. Dieses Bahn fahren lässt mir alle Haare zu Berge stehen."
,,Was ist denn mit Heinz ? Jetzt wo er schon ständig hier ist und dein Brot isst, könnte er dich auch mal mitnehmen." Sie wies ab und kramte in dem Schrank nach der alten Keksdose. Das Blech knackte dumpf, als sie den Deckel öffnete und zwischen alten Kassenbons und Sparcoupons nach Geld suchte.
,,Lass Mama. Weißt du was wir nun machen ?"
Griff ich ihre Hand. Mit der anderen nahm ich ihr die Dose ab.
,,Wir trinken noch einen Tee und dann gehen wir zwei gemeinsam in die Stadt. Ganz langsam und gemütlich, ich hab noch etwas Pause."


Fest bei mir eingehakt stiegen wir die Stufen der U-Bahn wieder hinauf.
Wiedermal hatten sich Wolken wie Abdeckfolie um die Stadt gewickelt, der Wind war frisch.
,,Wo möchtest du denn zuerst schauen gehen ?" Fragte ich, während wir im Kern der Stadt standen. Der Nachrichtenton meines Handys übernahm meine Aufmerksamkeit.

꧁𝒮𝓉𝓊𝓇𝓏 𝒾𝓃𝓈 𝒢𝓁ü𝒸𝓀꧂ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt