Veränderung

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Die Abendsonne sickerte durch die Spalten der Jalousienen. Ich hatte sie angeschrägt, damit die Wärme der Sonne da blieb, wo sie hingehörte.
Auf meinem Wohnzimmertisch standen verwelkte Rosen in einer Vase, die schon länger kein Wasser mehr in sich trug. Ich platzierte die Weingläser auf den runden Untersetzern aus Kork und schaltete die Musikanlage ein. In etwas über einer Stunde würde Hanna auf der Matte stehen und ich war gefangen zwischen meiner Müdigkeit und der Vorfreude sie endlich wieder zu sehen. Hastig eilte ich ins Bad, föhnte mir die Haare und steckte sie mit einer Klammer nach hinten. Die weißen Fliesen waren von einem dünnen Staubfilm überzogen aber dafür war die Zeit zu knapp. Zumindest war das Cafè heute nicht so stark besucht und ich war nicht allzu gestresst nachhause gekommen. Ich hatte es sogar geschafft in meiner Mittagspause zu meiner Mutter zu fahren und den Garten zu versorgen.
,,Ein Tag später und die Blumen wären vertrocknet." Jammerte sie während sie auf der balkengestützten Verander stand und ihr Blütenmeer betrachtete.
,,Ich war doch erst hier, so schnell passiert da nichts." Versuchte ich die gereizte Lage meiner Stimme zu unterdrücken und legte den Wasserschlauch zurück in die alte Gartenhütte.

Ich wusste dass der Garten alles für sie bedeutete. Mein Papa hatte alles liebevoll angepflanzt und immer mühselig gepflegt. Nach seinem Tod verbrachte meine Mutter Tage und Nächte im Garten, beschnitt die Rosen, zupfte das Unkraut und pflanzte neue Blumen ein. Im Laufe der Jahre nahm das ständige zupflanzen überhand. Der aus großen, runden Steinen bestehende Weg, der durch den Garten führte, war kaum noch zu sehen, Nachbarn beschwerten sich, dass die schweren Köpfe der meterhohen Sonnenblumen ihren Zaun erdrückten. Als wir auch zu zweit nicht mehr gegen den Dschungel ankamen, durfte ich nach wochenlanger Diskussion einen Gärtner bestellen. Meine Mutter hatte den armen Mann allerdings mit dem Besen vom Hof gejagt, nachdem ihr das Ergebnis so gar nicht gefiel.

Seufzend öffnete ich den Kühlschrank und schaute in das leere Fach, das eigentlich mit frischen Eiern aufgefüllt sein sollte.
,,Ach Mist. Da war ja was." Sprach ich mit mir selbst und zog mein Handy aus meiner Tasche um den Kontakt meiner Nachbarin Susann raus zu suchen, doch auch nach zehn Minuten bekam ich keine Antwort auf die Frage, ob sie zuhause sei. Vermutlich war sie noch immer in der Schweiz bei ihrer Schwester.
Ich biss mir auf die Unterlippe und lugte aus der Balkontür rüber zu Michaels Balkon. Ich weiß nicht, was ich mir erhoffte zu sehen, zumal ich aus dem Winkel gerade so die weiße Umrandung des Balkons erkennen konnte. Kurzerhand schnappte ich mir meinen Wohnungsschlüssel, schlüpfte in meine Schlappen und fand mich vor seiner Haustür wieder. Die Klingel läutete und es dauerte nicht lang bis er sie aufzog und mir freudig entgegen strahlte. Scheinbar hatte er jemand anderen erwartet, denn sofort schwenkte sein Gesichtsausdruck um. Irritiert sah er mich an. Das rote Hemd mit dem Tigermuster gefiel mir, scheinbar hatte er einen guten Geschmack was Kleidung anging. Allgemein war mir noch nicht aufgefallen dass er je ungepflegt oder merkwürdig aussah. Nur die Haare saßen oft kreuz und quer auf seinem Kopf, als wäre er haarscharf einem Tornado entkommen. Aber auch das schloss den ersten Eindruck über ihn rund ab. Irgendwie wirkte er immer etwas verplant.
,,Hey, entschuldige dass ich einfach so hier auftauche aber hast du zufällig ein paar Eier für mich übrig, nachdem du meine gestern im Hausflur verteilt hast ?"
,,Ich muss nachschauen, willst du kurz rein kommen ? Ich will die Wärme aus dem Flur ungern rein lassen."
Etwas unsicher trat ich über seine Türschwelle und stand jetzt in dem Flur, der nicht mal eine Lampe an der Decke hatte. Die Wände waren allesamt kahl aber tatsächlich war es erstaunlich kühl hier.
,,Warte kurz." Lächelte er und taperte in seine Küche. Ich hörte wie der Kühlschrank sich öffnete und wie etwas in eine Schüssel gelegt wurde, dann kam er zurück.
,,Reichen die ? Sonst fahr ich nochmal schnell los und besorg dir welche."
Reichte er mir die rote Porzelanschüssel in der fünf weiße Eier lagen.
,,Danke, die reichen aus." Nahm ich sie dankend entgegen. Jetzt war zumindest das Abendessen gerettet. Ich wollte umdrehen und mich verabschieden als er mich doch noch einmal an der Schulter berührte.
,,Soll ich dir das vernünftig machen ?" Ich legte meine Hand auf den zerknitterten Verband und zupfte ihn irgendwie zurecht.
,,Ist nicht so leicht mit einer Hand." Lachte ich leise und streckte ihm zustimmend meinen Arm entgegen.
,,Komm, setz dich kurz, ich mach das eben." Schob er mich durch den Flur in sein Wohnzimmer.

Auch hier sah alles
nach Rohbau aus. Die Fassung an der Decke hielt eine staubige Birne fest und Kreppband klebte an den Fußleisten.
,,Schau dich nicht um." Sagte er etwas beschämt und schob mit dem Fuß den großen Farbeeimer zur Seite in der dunkelblaue Farbe stand. Mit einer Verbandsschere, Wundauflagen, Salbe und Verband kam er zurück. Ich hatte mich derweil auf die Lehne des braunen Bigsofas gesetzt. Auf einem schwarzen Sideboard stand ein kleiner Flachbildfernseher und ein Bild stand in einem Rahmen, der von weißem samt umhüllt war, auf dem Regal neben der Balkontür. Umzugskartons stapelten sich in jeder Ecke des Zimmers.
,,Wow, du bist aber gut ausgestattet." Weitete ich die Augen als er sich mit einer halben Arztpraxis zu mir lehnte und den Verband mit der Schere von meinem Arm löste.
,,Ich bin nicht der vorsichtigste Mensch, wie du vermutlich bemerkt hast." Lachte er auf und inspizierte meinen Arm.
,,Das sieht schmerzhaft aus." Biss er die Zähne zusammen.
Mein Ellenbogen zierte eine dicke Beule und er war ordentlich verfärbt.
Ich sog scharf die Luft ein, als er meinen Arm etwas drehte.
,,Entschuldige. Damit solltest du wirklich zum Arzt wenn das die nächsten Tage nicht verschwindet." Schaute er mich mitleidend an.
,,Meinst du ?"
,,Ja, ich kenn mich aus." Grinste er und deutete auf die vielen blassen Narben an seinen Armen.
Vorsichtig verteilte er die Salbe mit der Wundauflage und begann schließlich den Arm zu verbinden.
,,Viel besser. Jetzt verrutscht er auch nicht mehr." Lächelte er mich freundlich an und brachte seine Sachen zurück an seinen Platz.
,,Ich würde dir gern noch einen Kaffee anbieten aber ich muss dich leider rausschmeißen." Hörte ich seine Stimme, die wieder lauter wurde als er zurück ins Wohnzimmer kam.
,,Gar kein Problem. Ich muss auch langsam rüber. Danke für die Eier und.." Hob ich den Ellenbogen ohne den Satz zu beenden und verabschiedete mich. Michael zog die Tür auf und ich erschrack als plötzlich jemand vor mir stand. Es war der Typ aus dem Cafè mit dem Michael sich getroffen hatte.
,,Hi." Sagte er kurz und machte einen Schritt zur Seite.
,,Bis dann Marlie."

Mit dem Handschuh zog ich den Zucchini Eier Auflauf aus dem Ofen. Aus dem Augenwinkel sah ich schon den schwarzen Passat von Hannas Freund Dave vorfahren. Als ich ihn das erste mal sah, stellte ich Hannas Geschmack in Frage. Er wirkte angsteinflößend. Der muskulöse Körperbau und die vielen Tattoos schrien nur so nach "Abstand halten". Sein ovales Gesicht mit dem spitzen Kinn ließ dunkelbraune Augen funkeln, so dunkel wie sein Haar. Auf seinem Rücken war dieser riesige Adler, so gestochenscharf in seine Haut gezeichnet, dass es aussah als würde er jeden Moment seine Flügel spannen und davon fliegen. Aber Dave tat keiner Fliege was zu leide. Es war eben nicht immer der erste Eindruck, der zählte.

Ich hörte wie sie die Stufen hinaufstieg und näher kam, dann bog sie breit grinsend um die Ecke. Schon bevor sie überhaupt vor meiner Haustür angekommen war, streckte sie die Arme nach mir aus.
,,Oh Marlie, ist das schön dich zu sehen." Freute sie sich und drückte mich fest an sich.
,,Du siehst so erholt aus. Warst du heimlich im Urlaub ?" Betrachtete ich sie. Ihre Wangen schimmerten rosig und die dunklen Locken glänzten wie aus einer Shampoowerbung.
Gemeinsam gingen wir rüber ins Wohnzimmer und setzten uns. Hanna wirkte plötzlich furchtbar nervös, als ich zur Weinflasche griff und den Korken löste.
,,Warte mal bitte." Griff sie meine Hand und schaute mich an. Ihre Stimme klang anders als sonst angespannt und begeistert zugleich.
,,Ich bin schwanger." Schoss es aus ihr heraus.
Ich schluckte und musste sofort an all die Pläne denken, die wir noch hatten, dass wir unsere Kinder gemeinsam groß ziehen wollten. Die Vorstellung, dass daraus nichts wurde, machte mich traurig, gleichzeitig schämte ich mich für diesen egoistischen Gedanken.
,,Ohaa! Herzlichen Glückwunsch." Versuchte ich mich zu freuen.





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