Satelliten

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Raschelnd fegte der Wind das Laub über das historische Kopfsteinpflaster, das schon seit Jahrhunderten den alten Markt säumte. Geschnitzte Kürbisköpfe standen auf den Stufen der Eingänge zu den kleinen Läden. Das erste mal diese Jahr hatte ich meinen Schal aus der Schublade gekramt. Nun hing er locker über meinen Schultern und den dünnen Mantel hatte ich fester um meine Hüften geschnürrt. Die Temperaturen waren im Vergleich zur ersten Oktoberhälfte ganz schön gesunken. Tauben saßen in den spärlich beblätterten Baumkronen und gurrten vor sich hin.
,,Ich könnte dich begleiten." Erfüllte Wärme meine Hand, als er mit seiner danach griff.
,,Muss du nicht."
Er schwieg, seine Hand erschlaffte etwas. Ich zog leicht an ihm und brachte ihn dazu, mich anzusehen.
,,Was ist los ?" Michael zuckte mit den Schultern, atmete dann auf und es war das erste mal so kalt geworden, dass sein Atem sich leicht in der abendlichen Luft abzeichnete.
,,Ich hab nur gedacht.. ich weiß auch nicht.."
,,Ja ?.." wartete ich auf eine Erklärung aus der ich schlau werden würde.
,,Naja.." drugste er und blieb stehen. Der kühle Wind striff ihm durchs dunkle Haar.
,,Ich dachte nur.. also, ich will dich zu nichts drängen Marlie. Ich hab nur das Gefühl, dass du dir unsicher bist." Ich stutzte, zog eine Augenbraue in die Stirn.
,,Wie ? Weil ich dich meiner Mutter nicht vorgestellt habe ?" Lachte ich ungläubig auf.
,,Tut mir leid, das ist echt bescheuert.." Sein ernster Blick traf mich mitten ins Herz, meine Hand legte sich an seine kalte Wange, dann schüttelte ich den Kopf.
,,Stört es dich doch ?" Seine Stimme war eingefallen, vermischt sich mit dem Wind, der sie davon trug.
,,Ich hätte schon was gesagt. Mach dir bitte keine Sorgen Michael."
,,Ich weiß, ich.. es fällt mir noch schwer. Ich will dich damit nicht nerven."
,,Um ehrlich zu sein, hab ich bisher auch gar nicht weiter darüber nachgedacht. Es stört mich nicht."
Ein leichtes Lächeln huschte über sein weiches Gesicht.
,,Komm mit." Hauchte ich ihm dann zu.
,,Du musst nicht." Sagte er noch, ich versiegelte seine Lippen jedoch mit einem Kuss.
,,Ich möchte aber. Mach mir nur keine Vorwürfe, ich hab dich gewarnt." Grinste ich ihn an. Ich wollte ihm irgendwie Sicherheit geben, auch wenn ich nicht so recht wusste, warum ausgerechnet meine Mutter ihm diese geben sollte. Vielleicht suchte er einfach nach etwas, an dem er fest halten konnte. Ein Zeichen von mir, dass ich es tatsächlich ernst mit ihm meinte und nicht vor hatte zu gehen.

Der braune Mantel sah gut an ihm aus. Im Gegensatz zu mir, trug er ihn aber geöffnet und eine Sonnenbrille saß auf seiner Nase. Der schwarze, enge Rollkragenpullover ließ sein kleines Bäuchlein hervortreten. Er sagte selbst immer, dass er sich etwas gehen lassen hatte, seitdem er seine Pause machte. Ich fands an ihm aber nie unattraktiv. Mit den Fingerspitzen zog ich Haare von Pepper und mir von seiner Schulterpartie und deutete auf seine Sonnenbrille, die er sich ins Haar schob und wartete dann geduldig, etwas hinter mir, dass sich etwas an der Tür tat.

Der Türknauf knackte, dann wurde sie aufgezogen und meine Mutter strahlte mich in Nachthemd und Pantoffeln an.
,,Ach Marlie, schön dass du noch vorbei schaust."
,,Hab ich doch gesagt Mama. Ist es okay, dass ich jemanden mitbringen ?" Erst jetzt schien ihr aufzufallen, dass Michael dicht hinter mir stand.
,,Natürlich, kommt rein." Öffnete sie die Tür und ließ uns durch den Flur in die Küche laufen.
Der typische Duft von Nivea vermischte sich mit dem von Mamas Salbeitee. Neugierig wendete sie sich dann zu uns und hielt die Teekanne in der Hand. Michael trat hervor und reichte ihr seine Hand, sie ergriff sie und schüttelte kräftig.
,,Ich bin Michael, schön Sie kennen zu lernen."
,,Du kannst du sagen. Ich bin Marianne." Dann hob sie die Teekanne.
,,Wollt ihr einen ? Hab ich gerade frisch aufgesetzt."

Gemeinsam saßen wir bei Mama am Küchentisch. Schon ein merkwürdiges Gefühl, nach Alex hatte ich nie wieder einen Mann mit hier hergebracht. Die Beziehungen die ich seither zu Männern führte, waren sowieso nicht darauf ausgelegt, dass man zusammen blieb. Kleine Flirts und kurzes Matratzengewühle. Die auffälligen Blicke, von denen meine Mutter meinte, man würde sie nicht sehen, brannten selbst mir auf der Haut.
Immer wieder schielte sie über den Rand der Tasse zu ihm herüber. Ich spürte, wie nervös ihn das machte, immer wieder zupfte er an den Falten in seiner Hose, striff sie glatt.
,,Schön ist es hier. Der Garten sieht toll aus."
Ich blickte aus der Terassentür, aus der uns tiefe schwärze entgegen glotzte und unterdrückte das Lachen. Meine Mutter lächelte und musterte ihn ziemlich genau.
,,Es ist spannend dass Marlie mal wieder jemanden mitbringt. Entschuldige meine neugierigen Blicke. Ich will dich nicht verängstigt." Sagte sie ruhig und nahm den Henkel der kleinen Teetasse zwischen Daumen und Zeigefinger.
,,Magst du etwas von dir erzählen ? Wo kommst du her ?" Michael nickte und räusperte sich.
,,Naja, also ich bin erst hergezogen. Hab vorher am Rosenwall gewohnt und gebürtig komme ich aus London. Dort hab ich, bevor ich nach Deutschland gekommen bin auch gelebt. "
,,Am Rosenwall." Unterbrach sie ihn und hob neugierig den Kopf.
,,Schicke Gegend. Marlie, das wäre auch das richtige für dich gewesen, statt dieser engen Stadtblöcke."
,,Viel zu teuer Mama." Rollte ich die Augen.
,,Ja, stimmt. Günstig ist das nicht."
Ich lehnte mich zurück und lauschte ihrem Austausch. Meine Mutter hielt sich sogar zurück, bei Alex war sie sofort aufs ganze gegangen und hatte ihn ausgequetscht, bis er Stunden später völlig blass im Stuhl saß. Ob er Kinder wollte, mich heiraten würde, ob er genug Geld verdiente um überhaupt eine Familie zu gründen und zu versorgen. Bei Michael hatte ich Sorge, dass sie das gleiche tun könnte, doch die Jahre hatten wohl auch sie verändert und deutlich ruhiger gestimmt.
Ich griff nach einer Weile erneut zur Kanne und blickte unauffällig zur Kuckucksuhr. In etwa zehn Minuten würde der kleine blaue Vogel aus dem Türchen schießen und los quaken. Einundzwanzig Uhr, Bettzeit für meine Mutter.
,,Jeder hat so seine Ecken und Kanten." Beantwortete er die Frage, ob ich ihn schon verrückt gemacht hätte mit meinem gehampel und dass ich nie Still sitzen konnte. Vielleicht fehlte es mir manchmal etwas an Entspannung, aber meine Arbeit ließ das oft nicht zu und wenn mein Körper und Kopf dann erst mal in Schwung war, fiel es mir schwer abzuschalten. Wie oft war ich genervt von mir selbst, wenn ich nicht einfach mal zwei Stunden auf dem Sofa liegen konnte, ohne dass mich die Hummeln in den Hintern zwickten. Michael störte sich bisher nicht daran. Er war auch ein sehr aktiver Mensch und hüpfte von einem Geschehnis zum nächsten. Meistens zwar nach Mitternacht, um dann den halben Vormittag zu verpennen, aber wir glichen uns auch in dem Punkt sehr.
,,Ja, meine Marlie ist ein tolles Mädchen. Geht ja auch gar nicht anders, schau mich an." Prahlte sie lachend und klopfte sich auf die Schulter.
Ich verschluckte mich fast an meinen Tee als ich amüsiert aufstaß.
,,Genau." Lachte ich los.
,,So Mama. Es ist gleich neun." Deutete ich zur Uhr. Erstaunt blickte sie auf.
,,Ja tatsächlich. Wann kommt ihr mich wieder besuchen ?"
,,Ich muss schauen. Ich hab mich vor zwei Wochen bei der Fahrschule angemeldet. Also Montags und Mittwochs schaff ichs nicht mehr, da hab ich Unterricht."
,,Du machst einen Führerschein !?" Kreischte Mama beinahe und hielt sich an der Tischkante fest. Ich grinste.
,,Zumindest probier ich es. Etwas Autofahren kann ich schon, dank Michael."

,,War doch gar nicht so übel." Murmelte Michael mir ins Genick und lenkte mich von hinten umschlungen in meine Küche. Ich nickte erleichtert.
,,Es war wirklich okay. Kenn das anders von ihr, aber das ist viele Jahre her." Immernoch von ihm umarmt zog ich den Kühlschrank auf und nahm das Katzenfutter heraus, auf das Pepper ungeduldig wartete.
,,Sollen wir eigentlich auch noch was essen ? Ich hätte Lust auf Pizza. Oder möchtest du ins Bett ?" Ich drehte mich in seinem Arm herum und schaute ihn an.
,,Hm, also ich könnte noch was vertragen.. aber es ist schon spät, jetzt noch eine Pizza wäre fatal für meine Ernährungsumstellung."
Er grinste und schüttelte den Kopf.
,,Man soll doch nicht auf alles verzichten."
Schaute er mich an und senkte den Blick etwas.
,,Außerdem müsstest du nach meiner Ansicht so absolut gar nichts umstellen. Ich liebe alles an dir." Ich lehnte den Kopf in den Nacken und lachte leise auf.
,,Süß von dir. Ich denke aber, dass ich was ändern muss, um mich wieder wohl zu fühlen. Das mit dem Rauchen hat doch schon super geklappt, warum sollte ich mich dann jetzt wegen einer Pizza von meinem Weg anbringen lassen ?"
Verständnisvoll stimmte er mir zu und küsste meine Stirn.
,,Ich unterstütz dich bei allem, was du erreichen möchtest. Ich glaub ich hab noch Gurke und Tomate drüben. Wie wärs mit einem Salat ? Ist wahrscheinlich wirklich die bessere Wahl."
Ich nickte, mein Magen füllte sich mit Ameisen. Hungrig küsste ich ihn und hangelte mich in seinen Arm.
,,Du bist toll." Schwärmte ich.
,,Du viel mehr." Küsste er mich nocheinmal und löste sich dann von mir.
,,Ich geh dann eben rüber und zieh mich auch gleich um. Soll ich meine Zahnbürste und Klamotten mitbringen ?"
,,Sehr gerne."

Mit dem Handy in der Hand saß ich auf meinem Sofa. Die Beine hatte ich zu mir heran gezogen und die dünne Wolldecke bedeckte meine Knie. Ich antwortete noch schnell Hanna, die mir heute neue Ultraschallbilder gesendet hatte. Mittlerweile sah die Zellteilung in ihrem Bauch schon aus wie ein fertiger Mensch. Sogar die einzelnen Finger konnte man erkennen, als es die Hand hochstreckte. Die andere verweilte an seinem Mund und man könnte denken, dass es am Daumen nuckelte. Hanna fragte mich, welche Namen mir gefallen würden, wie der erste Strampler aussehen sollte und ob ich nicht Lust hätte, sie ins Babycenter zu begleiten. Es sei zwar noch Zeit, aber ein bisschen Information würde sicher nicht schaden. Somit stimmte ich zu und verabredete mich mit Hanna, um mir Babyzeug anzusehen. Vor ein paar Wochen wäre das undenkbar gewesen und ich wäre geplatzt vor Neid. Umso schöner fühlte es sich an, dass ich nun aufrichtige Freude empfinden konnte.
Eine Reihe an Herzen und Kuss Smileys folgten wie Konfetti und dann wünschten wir uns eine gute Nacht. Und kaum hatte ich den Nachrichtendienst geschlossen, öffnete ich Instagram. Die abendlichen Routine, einmal checken was in den perfekten Leben der anderen so abging. Beiträge von bunten Bowls, mit Obst, Leinsamen, Kokosraspeln. Der gesunde Lebensstil den wohl jeder zur Zeit lebte. Wundermittel für die Haare, Werbung für Kratzbäume als hätte mein Handy gewusst, dass ich darüber nachdachte einen neuen zu kaufen. Über die nächste Handlung hatte ich gar nicht richtig nachgedacht, es war eher wie ein Automatismus, als ich seinen Künstlernamen in die Suchleiste eingab und sein Profil aufrief.
Von der Probe am letzten Mittwoch hatte er einen kurzen Boomerrang aufgenommen und mit den Worten New stuff is coming soon, love Paddy
in einen Beitrag verpackt.
Die Kommentare bestanden überwiegend aus Flammenemojis, Herzchen und den üblichen Worten der Vorfreude. Nichts besonderes und natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen wieder diesen Raster anzuklicken.
Einige Fotos waren wirklich schön gestaltet, Collagen wurden erstellt, mit Songpassagen und verschiedenen Bildern von ihm. Videos von vergangenen Konzerten die mich kaum glauben ließen, dass das tatsächlich Michael war, der dort auf der Bühne stand und performte.

Aber die Fotos mit den lebendigen Klätten überschatteten die mühevoll angefertigten Bilder und Videos um längen. Eine Dame war halbnackt, ein neongrünes Kleid, dass an das Material eines Müllbeutels erinnerte und nur das nötigste bedeckte, klebte eng an ihrem perfekt gebräunten und schlanken Körper. Ihre Zunge war nahe seinem Ohr gestreckt, als wollte sie ihn ablecken und ihre Fingernägel krallten sich in sein Schweiß durchtränktes Shirt. Ein warmer Schauer lief mir den Rücken hinunter und ich unterdrückte den drang mir auf die Lippe zu beißen. All diese Frauen, die sein Satellit sein wollten und ich war seine Sonne. Der hellste Stern an seinem Himmel. Jedes weiter Foto, dass diese Ausstrahlung besaß, auf denen die Damen sich jeden Finger nach ihm leckten, ließ mich tiefer ins Polster sinken. Gänsehaut striff meinen Körper und ließ mich wohlig aufatmen. Das zaghafte Klopfen an der Haustür ließ mich stimmenhaft aufschrecken, mein Handy fiel zu Boden und die Bildschirmsperre verdeckte die Bilder. Ich sprang auf.

꧁𝒮𝓉𝓊𝓇𝓏 𝒾𝓃𝓈 𝒢𝓁ü𝒸𝓀꧂ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt