Kapitel 19

108 3 0
                                    


Der Schulstart traf uns alle eiskalt. Es gab eine neue Regel. Und alle Klassen wurden neu zusammen gewürfelt. Ich kam mit Mitsuya, Takemichi und Hinata in eine Klasse. An sich, hatte ich überhaupt kein Problem damit. Aber aus irgendeinem, mir unerklärlichen Grund, ärgerte es mich, dass ich nicht mit Mikey in einer Klasse war. Durch den wenigen Schlaf, waren wir alle heute hundemüde. Takemichi wäre sogar fast eingeschlafen, hätte Hinata nicht ununterbrochen auf ihn eingeredet. Ich hatte mich neben Mitsuya gesetzt. Er war wirklich sehr nett und ein angenehmer Sitznachbar. Die Zeit verging und als es endlich zum Schulschluss klingelte, packten alle in Windeseile ihre Sachen und rannten nach draußen in die Freiheit. Ich ließ mir etwas mehr Zeit. In einer dreiviertel Stunde müsste ich wieder arbeiten gehen. In dieser kurzen Zeit würde es sich nicht für mich lohnen nach Hause zu gehen. Also beschloss ich mich auf den leeren Pausenhof in den Schatten zu setzen und etwas zu essen. Kurz schloss ich meine Augen und genoss einfach die Ruhe, als sich plötzlich ein Schatten über mich legte. Ich öffnete wieder die Augen und blickte in Takemichis Gesicht. "Hanagaki? Was machst du denn noch hier?" fragte ich. "Darf ich mich setzen?" fragte er ohne auf meine Frage zu antworten. Ich nickte und er setzte sich neben mich. Einen Moment lang, sah er zu Boden und dachte über irgendetwas nach. "Ich hab darüber nachgedacht, mit dem, was du gestern zu mir gesagt hast. Ich hab beschlossen mich dir anzuvertrauen. Aber du musst mir versprechen es niemandem zu sagen. Wirklich niemandem." Er sah mir tief in die Augen und ich gab ihn den kleinen Finger Schwur. "Versprochen." sagte ich. Er nickte und atmete tief durch, ehe er zu reden anfing. "Ich komme aus der Zukunft." sagte er und wartete auf meine Reaktion. Doch ich reagierte nicht darauf. Ich wartete einfach dass er weitersprach. Schließlich hatte ich diesbezüglich auf eine Vermutung. Schließlich hatte ich letzte Nacht wieder einen seltsamen Traum gehabt. Auch dieses Mal, tauchte Takemichi wieder auf. Ich sah, wie er mit Draken sprach. Draken saß aber hinter einer Glasscheibe und hatte eine Glatze. Er saß in der Todeszelle, weil er wegen Kisaki 3 Menschen auf dem Gewissen hatte.

 Als Takemichi bemerkte, dass ich nicht schockiert oder verwirrt reagierte, fuhr er fort. "Vor ein paar Wochen, bin ich das erste Mal zurückgereist. Ich komme aus einer Zeit, die 12 Jahre in der Zukunft liegt. Ich hab nicht den leisesten Schimmer, wieso ich sowas abgefahrenes kann. Jedenfalls war es so: In der Zukunft hatte ich ein echt beschissenes Leben. Ich hatte in den Nachrichten mitbekommen, das Hinata umgebracht wurde. Kurz darauf wurde ich von irgendwem auf die Gleise geschubst, und bevor mich der Zug erwischte, wachte ich plötzlich hier in dieser Zeit auf. Ich hatte überhaupt keinen Plan, was abging. Als ich etwas später wieder in die Zukunft gereist bin, hatte ich gemerkt, dass sich etwas verändert hatte. Und dann hatte ich es endlich kapiert. Wenn ich hier in die Vergangenheit reise, kann ich durch mein Handeln die Zukunft verändern. Naoto, Hinas Bruder, hilft mir durch die Zeit zu reisen und alles mögliche zu tun, um Hina zu retten." er legte eine Pause ein, atmete durch und ließ mir kurz Zeit, diese ganzen Informationen zu verarbeiten. Dann fuhr er mit gebrochener Stimme fort. "Ich bin jetzt schon so oft durch die Zeit gereist. Jedes Mal, hatte ich es geschafft, die Zukunft zu verändern. Aber ganz egal wie die Zukunft auch aussehen mag. Hina stirbt jedes mal aufs neue. Und nicht nur sie. Auch Draken, Mikey, Mitsuya und du. Ihr alle werdet in der jetzigen Zukunft sterben. Und zwar durch Kisakis Hand. Er ist es, der euch alle umbringen wird. Und ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Kisaki ist jetzt in Toman. Mehr noch, er ist sogar Kommandant und hat die meisten Männer in seiner Division. Mikey hört nicht auf mich, alle halten mich für verrückt. Als ich Kisaki gestern sah, wie er so überheblich auf uns niedergeblickt hat... ich konnte nicht anders. Ich war so verzweifelt, dass ich ihn angriff. Aber dann hast du mich wieder auf den Grund der Tatsachen zurückgeholt. Und mir ist klar geworden, dass ich es vielleicht nicht schaffen werde, ganz allein die Zukunft zu verändern." damit beendete er seinen Vortrag. Ich ließ meinen Blick über den leerstehenden Schulhof schweifen, dachte darüber nach, was ich soeben erfahren hatte. "Tut mir echt leid. Mit so was abgefahrenem hast du bestimmt nicht gerechnet. Ich weiß das klingt total verrückt. Du glaubst mir bestimmt nicht." er grinste entschuldigend. Ich schüttelte nur den Kopf. "Nein. Ich glaube dir." sagte ich. Er sah mich überrascht an. "Ich hatte in letzter Zeit immer wieder seltsame Träume. Jedes mal bist du in diesen Träumen vorgekommen. Einmal hatte ich geträumt, dass du und Naoto mit Osanai gesprochen habt. Ein anders mal, hatte ich den Kampf mit Möbius und Drakens Leiche gesehen. Und letzte Nacht hatte ich geträumt, dass du mit Draken redest, er aber in der Todeszelle saß, weil er Leute von Kisaki getötet hatte. In jeden meiner Träume warst du dabei. Und jedes Mal, sahst du und die anderen alle viel älter aus." erklärte ich. Takemichi starrte mich völlig fassungslos an. Langsam sprach ich weiter. "Ich hatte mir am Anfang nicht viel zu den Träumen gedacht. Aber sie häuften sich immer mehr, und jedes Mal hatte ich das Gefühl, dass bald etwas schlimmes passieren wird, was meine Träume wahr werden lassen würde. Es ist total abgefahren. Aber ich hatte mich gefragt, was wäre, wenn ich keine Träume, sondern Visionen hätte, die mir die Zukunft zeigen. Deshalb bin ich wahrscheinlich auch nicht so krass überrascht, dass du aus der Zukunft kommst." ich lächelte verlegen und ließ meinen Blick wieder schweifen. Takemichi schien tief in Gedanken versunken zu sein, und ich ließ im die Zeit die er brauchte, um weiterreden zu können. "Du sagtest, du hast geträumt, wie Draken in der Todeszelle sitzt. Ich war in der Zukunft wirklich bei Draken, als er in der Todeszelle gesessen hat. Könnte es vielleicht sein, dass du immer von der Zukunft träumst, wenn ich in der Zukunft bin? Das es irgendeinen Zusammenhang gibt?" fragte er. Ich dachte darüber nach. An Zufälle glaubte ich nicht mehr. "Könnte gut sein. Das hieße ja, dass ich auch die Zukunft sehen kann. Wenn auch auf andere Art und Weise." sagte ich. Takemichi nickte zustimmend. "Echt heftig." sagte er. Plötzlich fiel mir etwas ein: "Sag mal, Hanagaki. Ich habe jetzt schon öfters davon geträumt, was in der Zukunft passieren wird. Aber als ich von Draken in der Todeszelle träumte, war da noch etwas anders. Ich hatte mich in dieser Vision selbst gesehen. Ich sah auch älter aus und mir fehlte ein Auge. Ich konnte mich sehen, als wäre ich eine andere Person. Es war so seltsam. Ich hatte mich ganz anders verhalten, als ich es jetzt tue. Gleichzeitig konnte ich spüren, was mein zukünftiges Ich fühlte. Es fühlte sich irgendwie leer und kalt an. Ich hatte Angst vor mir selbst." Takemichi ließ meine Worte einen Moment auf sich wirken. Dann weiteten sich seine Augen. "Das heißt du siehst nicht nur die Zukunft, sondern bist auch wirklich selbst in die Zukunft gereist. Du siehst dass, was ich sehe und gleichzeitig auch, wie deine eigene Zukunft aussehen wird." fasste er zusammen. Ich war geschockt, weil das, was er sagte wirklich Sinn ergab. Ich starrte vor mich hin, unfähig zu glauben, was gerade hier abging. Takemichi sah mich wieder ernst an. "Du darfst wirklich niemandem von diesem Gespräch hier erzählen, okay? Ich will mir gar nicht vorstellen was passiert, wenn hier irgendjemand von der ganzen Geschichte hier Wind bekommt. Das könnte die ganze Zukunft nochmal komplett umschreiben." sagte er. Ich nickte nur geistesabwesend. "Dann haben wir beide ein verdammt großes Geheimnis." er nickte. Ich stand auf und klopfte meine Hose ab. Takemichi sah mich fragend an. "Ich muss jetzt zur Arbeit. Ich hab ja deine Nummer. Wir telefonieren einfach später nochmal.  Und generell muss ich erstmal auf diesen ganzen Wahnsinn klar kommen." ich grinste ihn an und er begann zu lachen. "Du hast recht. Das ist wirklich absolut wahnsinnig. Gut, dann geh ruhig. Ich werde auch noch etwas darüber nachdenken." ich nickte und ging. Auf den Weg zur Arbeit, dachte ich immer wieder über das nach, was mir Takemichi erzählt hat. Doch nicht darüber, dass er eigentlich 26 Jahre ist und aus der Zukunft kommt, sondern darüber, was er zu meiner Fähigkeit gesagt hat. Wenn ich diese Träume habe, ist Takemichi zeitgleich in der Zukunft. Ich sehe also live, was er sieht. Aber gleichzeitig existiere ich auch in der Zukunft, und sehe ebenfalls zeitgleich, was mein zukünftiges Ich gerade macht, denkt und fühlt. Soweit hatte ich das ganze schon verstanden. Allerdings machte mir das, was ich über mein zukünftiges Ich gesehen hatte, extreme Angst. 

"Yo, was geht?" erschrocken zuckte ich zusammen und sah in violette Augen. Ich war in dem 24 Stunden Laden. Am arbeiten. Und ich war mit meinen Gedanken ganz woanders gewesen. Na super. Ich sah direkt in Rans Gesicht, der mir 3 Chipstüten und 4 Colaflaschen auf den Tisch gelegt hatte. Er sah mich  fragend an. "Was ist? Hab ich dich so krass aus deinen Träumereien gerissen?" fragte er. Ich schüttelte schnell den Kopf um wieder Fassung zu erlangen. "Nein. Sorry." sagte ich schnell und scannte seine Sachen ab. Er beobachtete jede meiner Bewegungen ganz genau. Es wirkte fast so, als würde er damit rechnen, dass ich jeden Moment ne Knarre auspacken würde. "Das macht dann 600 Yen, bitte." sagte ich. Er gab mir das Geld und ich zählte nach. "Als du deine Haare noch geflochten hattest, sahst du süßer aus." ich starrte ihn an. "Was?" fragte ich völlig perplex. Er schnaufte und nahm das Rückgeld, welches ich noch in meiner Hand hielt und packte seine Sachen in einen Stoffbeutel. "Als wir klein waren. Mum hatte dir immer die Haare geflochten. Wenn sie auf Geschäftsreise war, hab ich das gemacht." erklärte er. Ich starrte ihn immer noch an. Wie kam er plötzlich darauf? Er meinte doch, er glaubte nicht daran, dass wir Geschwister waren. Er bemerkte meinen Blick und wandte den Blick ab. "Rindou hat mit mir gesprochen. Ich wollte es nicht, aber er hat nicht locker gelassen. Er hat mir erzählt, was er mit dir besprochen hatte. Ich hab viel darüber nachgedacht. Und ich wollte dich um Entschuldigung bitten." er verneigte sich vor mir und ich versuchte nur zu realisieren, was gerade geschah. Ich war so überrascht von seiner plötzlichen Ehrlichkeit, dass mir ganz warm ums Herz wurde. "Ich hätte dich nicht nach meiner dämlichen Aktion im Regen stehen lassen sollen. Ich hab so eine Scheiße gelabert, dass ich mich selbst dafür geschlagen hab. Ich hab die ganze Sache nochmal überdacht. Ich denke, ich hatte einfach Angst davor, was wäre, wenn wir wirklich wieder eine Familie werden würden. Ich hatte Angst davor, was du von uns halten würdest. Wie wir miteinander auskommen würden..." seine Stimme brach und er hielt noch immer seinen Blick gesenkt. Mir kamen die Tränen und ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich ging um den Tisch herum und nahm ihn in den Armen. Überrascht hielt er kurz den Atem an, doch entspannte sich schnell wieder und legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Wir standen einen Moment einfach nur da. Ran legte nach einer Weile seine Arme vorsichtig um meine Taille. "Ich hab Angst, dich wieder zu verlieren. Dass das alles hier nur ein Traum ist." flüsterte er leise. Ich streichelte ihm über den Kopf. "Das ist kein Traum. Ich bin wirklich hier." antwortete ich. Er ließ von mir ab und sah mich mit leicht verquollenen Augen an. "Ich hab mit Rindou den Bluttest gemacht. In zwei Tagen sollte das Ergebnis da sein." sagte er. Ich nickte erleichtert. "Tu mir den Gefallen und sag keinem, dass ich geheult hab, ja?" er grinste und ich schlug ihm gegen die Schulter. "Schon klar. Die Welt darf nicht erfahren, dass ein Junge vor nem Mädchen heult, geschweige denn einen Fehler einsieht." er lachte leise und nahm seinen Beutel. "Du hast es gecheckt. Vielen Dank." er schenkte mir ein warmes Lächeln, welches ich erfreut erwiderte. "Dann sehen wir uns beim Ergebnis des Bluttests." sagte ich. Er nickte. "Ja. Wir sehen uns." er nickte mir noch einmal zu und verließ dann den Laden. Ich sah ihm hinterher, wie er die Straße hinunter ging und schließlich um die Ecke verschwand. Wer weiß. Vielleicht würden wir doch noch eine Familie werden. 

Durch die Zeit, durch das LeidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt