Kapitel 27

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Der Tag, den ich zusammen mit Mikey und Draken verbringen durfte, war unglaublich schön. Die beiden waren wirklich sehr locker drauf. Und das obwohl morgen ein sehr wichtiger Kampf stattfinden würde. Wir gingen zusammen Essen und Draken beschwerte sich, dass Mikey eingepennt war. Sein Kopf ruhte auf meiner Schulter, und sein Haar kitzelte mich an der Nase. Natürlich hatten wir Draken davon erzählt, dass wir zusammen waren. Draken war wirklich sauer geworden. "So ein Bullshit! Jedes Mal pennt der direkt nach dem Essen ein!" rief er. Leider ein wenig zu laut, denn ein paar andere Gäste des Cafés in dem wir saßen, beschwerten sich. "Beruhig dich mal. Wir sind hier nicht alleine." mahnte ich. Draken schnaubte und bezahlte. "Gut. Dann gehen wir halt." meinte er nur, stand auf und hievte sich Mikey grob auf den Rücken. Dieser murrte nur kurz und schlief dann seelenruhig weiter. Wir liefen ein Stück am Fluss entlang. Die Sonne ging schon langsam unter und ich beobachtete dass klare Wasser, was durch die untergehende Sonne in verschiedenen Orange und Gelbtönen schimmerte. "Eigentlich gab es noch einen Grund, weshalb Mikey mich heute morgen angerufen hatte." meinte Draken schließlich. Fragend sah ich ihn an. "Mikey und ich wollten dir etwas schenken. Wir haben uns echt den Arsch dafür aufgerissen, aber wir haben es einfach nicht geschafft, genug Teile zu sammeln." er sah mich von der Seite an. "Und was wolltet ihr mir schenken, was ihr mir nun doch nicht schenken könnt?" hakte ich nach. Sichtlich verärgert huschte sein Blick kurz zu dem noch immer schlafendem Mikey. "Mikey und ich wollten dir ein Bike schenken. Er meinte, dass jemand wie du mit Sonderrang in der Gang ein eigenes Motorrad braucht. Tja also haben wir versucht die Teile zu finden, um dir eins zu basteln. Aber die sind schweineteuer und viele gibt es hier in Japan gar nicht zu bekommen. Deshalb konnten wir dir dieses Geschenk nicht geben." erklärte er. Einen Moment starrte ich nur auf den Weg vor mir. Sie wollten mir ein Motorrad schenken? Einfach so? Ausgerechnet mir? Auf Drakens Rücken begann Mikey sich zu bewegen. Mit einem lauten Gähnen öffnete er die Augen und sah sich verschlafen um. "Na, Prinzessin? Auch schon wach?" sofort setzte Draken Mikey ab, der nun murrend zwischen uns herlief und ganz beiläufig meine Hand in seine nahm. Draken verdrehte nur die Augen. "Wie gesagt, du wirst noch ein bisschen warten müssen, bis du dein Bike bekommst. Und meins ist auch kaputt gegangen und ich find einfach keine Ersatzteile. Das ist zum Kotzen." fauchte er. Ich dachte einen Moment nach. Sollte ich es ihnen zeigen? Oder lieber nicht? "Das ist echt lieb von euch, dass ihr mir ein Bike schenken wollt. Aber das braucht ihr gar nicht. Und wegen der Ersatzteile kann ich vielleicht auch helfen." sagte ich, wobei ich mir die fragenden Blicke der zwei einfing. "Wie meinst du das, du brauchst kein Bike? Du bist Gang Mitglied mit Sonderrang. Natürlich brauchst du ein Bike." sagte Mikey. "Und wie willst du mir bitte die Ersatzteile geben?" fragte nun Draken. Ich schmunzelte in mich hinein. Wie ahnungslos die beiden doch waren. "Lasst euch überraschen. Aber folgt mir erstmal." sagte ich, löste meine Hand aus Mikeys und lief voran. Schweigend und mit tausend Fragezeichen über dem Kopf folgten sie mir. Da wir zu Fuß waren, waren wir ewig unterwegs. Als wir ankamen, war es bereits dunkel. Wir standen unter einer Brücke, deren Wände überall mit Graffiti bemalt war. "Was gibts denn hier?" fragte Mikey und auch Draken sah sich um. Unauffällig lehnte ich mich an die Wand. "Seht euch genau um. Welche Stelle erscheint euch auffällig?" fragte ich. Die beiden sahen sich um und blieben, genau wie erwartet, an dem großen grünem Auge am unteren rechten Rand der Wand hängen. Im Vergleich zu dem anderen Graffiti, stach das Auge sehr hervor. Draken beugte sich zu dem Auge hinab. "Da ist nen Knopf." sagte er und sah mich an. Ich nickte und er drückte den Knopf. Gleichzeitig betätigte ich den richtigen Knopf, an einer unscheinbaren Stelle mitten an der Wand und vor uns, tat sich die Wand auf und entblößte einen in völliger Dunkelheit liegenden Gang. "Abgefahren!" rief Mikey aufgeregt. "Ach du Scheiße. Was geht denn hier ab?" fragte Draken genauso verblüfft. Ich grinste siegessicher und betrat den dunklen Gang. Die beiden folgten mir. "Was ist das für ein Ort?" fragte Mikey. "Dieser Geheimgang wurde vor über 100 Jahren gebaut. Damals galt er als Versteck vor feindlichen Angreifern. Heute kennt ihn keiner mehr. Er führt uns unterhalb der Kanalisation in einen großen Raum, indem sich mit der Zeit allerlei Zeugs angesammelt hat." erklärte ich. "Und woher kennst du diesen Ort?" fragte Draken und duckte sich unter einem Spinnennetz hindurch. "Als ich als Kind die Schnauze voll von allem hatte, bin ich immer durch die Straßen gerannt und habe nach Orten gesucht, an denen man mich nicht so schnell finden würde. Das ich den Gang gefunden habe, war purer Zufall. Ich rannte unter die Brücke, sah die Graffiti, sah das Auge, betrachtete es genauer, sah den Knop und drückte ihn." antwortete ich. Das war zwar nur die halbe Wahrheit, weil der eigentliche Knopf ja ganz woanders war, aber egal. "Echt heftig." staunte er. Wir hatten die lange Treppe nun hinter uns gelassen und ich tastete im Dunkeln nach dem Lichtschalter. Als ich fand hörte man das Surren der Lampen bevor sie angingen und die Umgebung in ein grelles Licht tauchten. Wir liefen den Gang weiter entlang, bis wir zu einer großen Metalltür kamen. "Seit ihr bereit?" fragte ich. Unsicher nickten sie. Ich öffnete die Tür und ließ die beiden eintreten. Mit offenem Mund blieben sie stehen. Wir befanden uns in einer riesigen unterirdischen Halle, die von altmodischen Säulen gestützt wurden. Überall standen unzählige Motorräder unterschiedlicher Typen und Herkünfte aufgereiht und blitzblank geputzt da. Auf der anderen Seite der Halle, befand sich ein gigantischer Haufen, voll mit KFZ Bauteilen, Ersatz- und Zusatzteilen. Ich zwängte mich an den beiden vorbei und bestaunte das Werk, was ich zusammen mit Makoto und vielen anderen Leuten seit Jahren hier errichte. Da heute Ruhetag war, dürften wir hier heute aber auf niemanden antreffen. Um ganz sicher zu sein, hatte ich sogar eine anonyme Nachricht an alle beteiligten geschickt. "Das ist der absolute Wahnsinn." sagte Draken atemlos. Mikey fiel mir um den Hals. "Das ist das geilste, was ich je gesehen habe!" rief er. Ich stieg mit in sein Lachen ein. "Ich bin mir sicher,  dass du hier Ersatzteile finden wirst, Draken." sagte ich und bedeutete ihm damit, dass er sich ruhig umsehen konnte. Gespannt folgte ich den beiden. Draken verschwand in dem großen Haufen an Bauteilen, während Mikey die ganzen Bikes bestaunte. Ich setzte mich auf einen Haufen Bauteile und beobachtete sie. Nach einer ganzen Weile, kam Draken mit beiden Händen voller Bauteile  zurück und Mikey mit einem wunderschönem Glänzen in den Augen. "Das ist der absolute Wahnsinn." sagte Mikey. "Aber jetzt sag mal. Wieso brauchst du kein Bike? Hast du dir selber was zusammengeschraubt, oder was?" sagte Draken mit breitem Grinsen. Ich nickte. "Kann man so sagen. Wollt ihrs sehen?" wieder starrten mich beide fassungslos an. Ich kicherte und bahnte mit den Weg, vorbei an allen Motorrädern und Bauteilen, durch eine weitere Tür, die in eine kleine Werkstatt führte. Dort schaltete ich das Licht ein, und die Sicht auf mein Motorrad wurde frei. Es war ein komplett in schwarz gehaltenes Motorrad. Es war kein Moped oder Mofa, sondern ein richtiges Motorrad, so wie es auch Erwachsene Leute fuhren. Den beiden fiel die Kinnlade herunter, als sie mein Gefährt bestaunten. "Das ist deins?!" riefen beide gleichzeitig und ich musste lachen. Sie sahen es sich genau an und nickten mir dann anerkennend zu. "Das ist abnormal geil. Solche Seiten hast du also auch." sagte Draken neckend. "Ja. Das Motorrad hab ich mal auf dem Schrottplatz gefunden. Ich habs hier runter gebracht und wieder neu zusammengeschraubt." erklärte ich schulterzuckend. "Echt krass. Aber wie willst du mit dem Ding fahren? Es gibt keine Möglichkeit, das Teil nach oben zu bringen." sagte Mikey nachdenklich. "Das denkst aber auch nur du." sagte ich und legte einen Schalter um. Wieder tat sich eine Wand auf, diesmal mit blauer LED Beleuchtung an den Rändern, die einen Weg nach oben beleuchteten. "Dieser Weg führt direkt auf einen abgelegenen Parkplatz, von welchem man aus direkt auf die Hauptstraße kommt." sagte ich. "Du bist wirklich der absolute Wahnsinn." sagte Draken. Mikey schloss mich in seine Arme. "Ich hab die beste Freundin der ganzen Welt. Du bist wirklich unglaublich." sagte er leise an mein Ohr. Mir wurde ganz warm ums Herz. Das war das schönste Kompliment, was ich je erhalten hatte. Mir Freuden erwiderte ich seine kurze Umarmung, ehe sich Draken an mich wendete. "Du scheinst dich echt mit so Technik Kram auszukennen. Aber auch wenn du viel Zeit hattest, kannst du das gar nicht alles allein geschafft haben." meinte er. "Ja das ist richtig. Ich hatte tatsächlich von ein paar Leuten Unterstützung, die auch ab und an hier her kommen. Ein paar von den Leuten sind sogar in der Gang." sagte ich und ließ diese Aussage einfach mal im Raum stehen. Ich hatte die Wahrheit erzählt. Ich hatte nur nicht alles, was ich wusste preisgegeben. "Echt? Das ist ja krass. Davon weiß ich gar nichts." sagte Mikey nachdenklich. "Tja, so ist das eben. Dieser Ort sollte eigentlich auch ein Geheimnis bleiben. Ein geheimer Rückzugsort für alle, die mal ihre Ruhe oder Hilfe brauchen. Ich will nicht, dass das hier ein öffentlicher Ort wird. Deshalb bitte ich euch, niemandem von dem Ort hier zu erzählen." erklärte ich. Beide nickten. "Du hast unser Wort. Wir erzählen niemandem von diesem Ort." sagte Draken und Mikey nickte zustimmend. Nachdem sich die beiden noch eine Weile umgesehen hatten, verließen wir wieder den geheimen Raum und traten auf die offene Straße. "Dieser Ort ist wirklich unglaublich." schwärmte Mikey noch immer, selbst nachdem wir uns schon ein gutes Stück von der Brücke entfernt hatten. Das grinsen ging mir schon die ganze Zeit nicht mehr vom Gesicht. Ich hatte eines meiner größten Geheimnisse mit den beiden geteilt. Ich freute mich einfach sehr darüber, dass die beiden so begeistert von diesem Ort waren. "Wusstest du, dass mein großer Bruder mein Bike selbst zusammen geschraubt hat?" fragte Mikey. "Nein. Das ist echt cool." sagte ich ehrlich. Er nickte und ließ seinen Blick schweifen, ganz so, als würde er in eine alte Erinnerung abtauchen. "Er fand eine große Ruine auf den Philippinen. Dort war ein gigantischer Schrottplatz untergebracht. Überall lagen Auto- und Motorradteile rum. Und an diesem Ort fand Shinichiro die Motoren. Einen hat er in mein Bike gebaut, den anderen in seins. Er hatte immer wieder von diesem Ort geschwärmt." er blieb stehen, sah mich an und hielt mir seine Hand hin. "Ich will unbedingt auch mal dahin. Lass uns irgendwann mal zusammen dahin reisen, ja?" fragte er mit einem warmen Lächeln, bei welchem mein Herz dahin floss. Lächelnd legte ich meine Hand in seine. "Versprochen." sagte ich. Und damit war es beschlossen. Irgendwann in der Zukunft, würden wir gemeinsam an diesem Ort sein. "Und was ist mit mir?" fragte Draken genervt. Mikey hakte sich bei mir unter und streckte ihm die Zunge raus. "Du kannst auch mit. Aber nur, wenn wir noch Platz für dein Gepäck haben." Draken zeigte die Zähne. Er würde ganz bestimmt am liebsten auf Mikey losgehen. Doch er ballte nur die Faust. "Na warte nur, bis wir unter uns sind." knurrte er. Mikey grinste überlegen und ich musste lachen. Am Anfang stieß Draken noch einige Flüche aus, doch am Ende stieg auch er mit in unser Lachen ein. Schließlich brachten mich die beiden wieder nach Hause, wo wir uns auch  verabschiedeten. "Ich hol dich morgen ab, ja?" fragte Mikey. So sehr ich mich auch freute, Mikey noch einmal vor dem Kampf zu sehen, musste ich ablehnen. "Sorry. Mitsuya holt mich schon ab. Konzentrier dich morgen einfach aufs Wesentliche. Lass dich bloß nicht durch mich ablenken, klar?" sichtlich enttäuscht fiel er mit theatralisch um den Hals. "Meine Freundin hat mich abgewiesen! Was soll ich nur tun?!" jammerte er. Ich lachte und drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel, ehe ich ihn entschlossen von mir wegstieß. "Heul leise, ja? Du wirst schon nicht sterben. Draken, bring die Heulsuse bitte heil nach Hause, ok?" dieser nickte und warf sich Mikey, trotz Protest, auf den Rücken. "Geht klar. Dann bis morgen." er nickte mir zu, was ich erwiderte, dann drehte er sich um und lief mit Mikey auf den Rücken davon. "Schlaf gut! Bis morgen!!!" hörte ich Mikey noch rufen, woraufhin Draken wieder schimpfte. "Halt die Fresse, man! Es ist mitten in der Nacht!" lachend ging ich in die Wohnung und checkte als aller erstes meine Mails. Ich hatte eine Nachricht von Ran bekommen und eine vom Bestattungsinstitut. Als ich zweitere Nachricht las, lief es mir eiskalt den Rücken runter. Die Beerdigung meiner Großmutter würde übermorgen am 1. November stattfinden. Allein die Vorstellung, wie ich in schwarzer Robe vor dem Familiengrab stehen würde, und mit ansehen müsste, wie ein weiterer Name seinen Weg auf diesen Stein gefunden hatte. Ich versuchte den Gedanken schnell beiseite zu schütteln und las die Mail von Ran. Er schrieb, dass er und Rindou morgen auch mit auf dem Schrottplatz als Zuschauer dabei sein würden. Was also heißt : Die berüchtigten Haitani-Brüder die über Roppongi regierten, würden bei dem Kampf zwischen Valhalla und der Tokyo-Manji-Gang dabei sein. Was wiederum bedeutete, dass die beiden mich wahrscheinlich keine Sekunde aus den Augen lassen würden, und mich gleichzeitig vermutlich komplett ignorieren würden, sollte ich sie ansehen, oder halb tot vor ihnen liegen. Wie nett. 

Ich schrieb ihm schnell, dass die Nachricht und seine darin vermittelte Botschaft bei mir angekommen war, und dass er mir am Ende bloß keine dämlichen Fehler unter die Nase reiben sollte. Schließlich legte mich ins Bett. Langsam spürte ich die Aufregung wegen des morgigen Tages, aber auch Angst, die ganz langsam zu mir kroch, weil ich morgen Hanma gegenübertreten würde. Mit Unbehagen und mulmigem Gefühl im Bauch, schlief ich schließlich ein.

Durch die Zeit, durch das LeidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt