Kapitel 20

114 3 0
                                    


Der restliche Tag verlief sehr unspektakulär. Ich arbeitete meine 8 Stunden, ging nach Hause, als es schon stockdunkel war, machte mich frisch, aß etwas und legte mich ins Bett. Der nächste Tag brach an und das erste was ich auf meinem Handy sah, war eine Nachricht in der Toman Gruppe. Es stand mal wieder eine Versammlung heute Abend um 21 Uhr an. Mikey hatte rein gar nichts darüber geschrieben, um was es denn gehen sollte. Aber gut. Dann halt nicht. Ich machte mich fertig und ging zur Schule. Der Schultag verlief genauso unspektakulär. Ich meine, was soll an Schule bitte so toll sein? Man geht doch nur dahin um seinen Abschluss zu machen, um später nicht irgendwo in der Gosse zu landen. 

Nach der Schule, wartete ich auf den Bus, als ich eine Mail erhielt :

Sehr geehrte Frau Yoshioka,

Vor einer Weile hatten sie mich gebeten, ihre DNA mit der, der anderen Patienten zu vergleichen. Nun gab es erstmals eine 97 prozentige Übereinstimmung mit zwei Herren Ihres Alters. Ich möchte Sie heute um 16 Uhr in das Krankenhaus zu einem Gespräch mit den Herrn bitten. Vermutlich handelt es sich bei diesen Personen um Verwandte von Ihnen.

Mit aufrichtigen Grüßen

Hr. Yoshimura.


Mir sprang förmlich das Herz aus der Brust.  Es war wirklich bestätigt. Die Haitani Geschwister waren nun offiziell meine Brüder. Ich konnte es kaum fassen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits 15: 30 Uhr war. Also entschloss ich kurzerhand direkt zum Krankenhaus zu fahren. Während der Fahrt, konnte ich kaum still sitzen. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so aufgeregt gewesen war. Ich musste dauernd meine Hände kneten und unruhig im Sitz hin und her wackeln. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was die anderen Fahrgäste von mir denken mochten. Allerdings war es mir scheißegal, was andere von mir hielten. Solange ich nicht wieder in den Dreck gezogen wurde, konnten mich die Leute akzeptieren, oder eben nicht. Es war mir gleich. Zumindest bei vielen Leuten. Wenn ich an Mikey dachte, war ich mir da nicht mehr so sicher. Ich hatte mich schon öfters gefragt, warum der Typ mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Aber mir fiel einfach keine logische Schlussfolgerung dazu ein. 

Als ich ankam und durchs Krankenhaus lief, wurde ich immer unruhiger. Würden Rindou und ran mich wirklich wieder als Familienmitglied akzeptieren? Ich meine es sind so viele Jahre seit dem Unfall vergangen und während ich die Ganze Zeit allein war, waren sie immer zusammen. 

Ich versuchte nicht weiter darüber nachzudenken und klopfte an der Tür von Herrn Yoshimura Tür. Nach einem freundlichem "Herein!" öffnete ich die Tür und trat ein. Ran und Rindou saßen bereits auf zwei Stühlen, neben ihnen noch ein weiterer Platz frei, auf welchem ich mich niederließ. Die beiden wirkten bis auf den letzten Nerv angespannt, was mich automatisch auch nervöser werden ließ. Herr Yoshimura kramte in seinen unzähligen Dokumenten. "Nun denn. Lasst uns beginnen. Erstmal viele Dank, dass Sie sich heute die Zeit für dieses, doch ungewöhnliche Gespräch, genommen haben. Ich bin mir sicher, dass es bei Ihnen für Verwirrung gesorgt hat, weshalb ich nun noch einmal erklären möchte, was denn nun genau vorgefallen ist." er machte eine Pause und wartete auf die zustimmenden Blicke von uns dreien. Ich fühlte mich gerade wie in der Schule, nachdem wir einen Test geschrieben hatten. Unser Lehrer stand mit den korrigierten Tests da und anstatt diese auszuteilen, hatte er sich ganze 45 Minuten genommen, nur um nochmal zusammenzufassen, was denn alles in dem Test dran kam und wie schlecht wir seien. Wie ich so etwas hasste. Konnten die Leute es nicht einfach auf den Punkt bringen? Herr Yoshimura fuhr fort. " Nun gut. Vor einer Woche kam Frau Yoshioka zu einer normalen Blutabnahme hierher. Da in ihrer Vergangenheit etwas vorgefallen sei, bat sie mich die DNA ihres Blutergebnisses mit der DNA der anderen Patienten zu vergleichen. Nun, nachdem die Herrn Haitani ebenfalls zu einer Blutabnahme hier im Krankenhaus waren, gab es tatsächlich eine 97 prozentige Übereinstimmung der beiden DNA. Daraus lässt schließen, dass sie drei miteinander verwandt sind. Aus dieser großen Übereinstimmung lässt sich ganz einfach sagen, dass sie leibliche Geschwister sind. In wie weit sie nun zueinander stehen, ist unklar. Das müssten Sie selbst in Erfahrung bringen. Es sei denn, Sie wissen bereits wie Sie zueinander stehen." er atmete tief durch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Für einen Moment sagte keiner auch nur ein Wort. Es war so bedrückend still in diesem Raum, dass man eine hätte eine Nadel fallen hören. Ich hatte große Angst. Obwohl ich bereits sowohl mit Rindou, als auch mit Ran darüber gesprochen hatte, hatte ich große Angst, dass sie mich trotz allem als Familienmitglied ablehnen würden. Ran schnaufte. "Also wirklich. Wenn wir noch keinen Plan von dem ganzen Theater hier gewusst hätten, wären wir echt volle Kanne gegen die Wand gelaufen." sagte er an den Doktor gewandt. Dieser lächelte nur schuldbewusst. "Es tut mir wirklich leid. Aber so etwas erlebe ich auch gerade zum ersten Mal. Große Reden und Erklärungen zu schwingen, gehören leider nicht zu meinen Stärken." tolle Rechtfertigung. Ich war auch kein Freund von großen Reden schwingen und trotzdem bekam ich das auf die Reihe. "Nun denn. Ich denke, Sie brauchen einen Moment für sich. Wenn Sie hier fertig sind, sind Sie entlassen. Ich verabschiede mich." sagte der Doktor, stand auf, verbeugte sich knapp und war mit sechs Schritten zur Tür hinaus. Wir sahen ihm nach, obwohl schon lange die Tür ins Schloss gefallen war. Rindou stand auf. "Also wirklich. Ihr wirkt, als wäre jemand krepiert. Los hoch mit euch! Wir sind endlich wieder eine Familie und es wurde uns soeben bestätigt! Hört gefälligst auf so steif zu sein. Lasst uns feiern!" er sprang von Ran zu mir und zog uns beide auf die Beine. Wir sahen uns an. Erst jetzt fiel mir auf, wie ähnlich wir uns doch waren. Wir hatten alle drei ein relativ rundes Gesicht, eine kleine Nase und blau violette Augen. Langsam realisierte ich, was Rindou soeben gesagt hat. Langsam fiel meine Anspannung ab und machte dem Unglauben Platz, der sich nun stattdessen in mir ausbreitete. "Warte-... Du...Ihr akzeptiert mich wirklich? Ihr akzeptiert mich wirklich als Teil der Familie?" stammelte ich und blickte zwischen den Haitani-Brüdern hin und her. Ran nickte. "Na klar doch. Wir haben jetzt schwarz auf weiß den Beweis, dass wir Geschwister sind. Noch deutlicher gehts ja kaum. Es gibt keinen Grund, weshalb wir dich ausstoßen sollten. Du bist unsere Schwester." bei dem Wort 'Schwester' wurde mir ganz warm ums Herz. Ohne, dass ich es richtig mitbekam, merkte ich, wie mir plötzlich Tränen über die Wange liefen. "Hey! Nicht weinen! Scheiße! Hey, hör auf." sagte Rindou plötzlich panisch. Ich musste zwischen zwei Schluchzern lachen. "Wir sind wirklich eine Familie..." wimmerte ich und vergrub mein Gesicht in den Händen. Ran nahm meine Hände in seine, und legte sie um seine Taille. Dann umschlang er mich mit seinen langen Armen und ich ließ meinen Kopf gegen seine Brust fallen. Mit einer Hand streichelte er mir beruhigend über den Kopf. "Shhh. Alles ist gut. Du bist jetzt nicht mehr allein. Wir sind bei dir. Und wir werden dich nie mehr gehen lassen." sagte er leise. Ich schniefte und nickte. Rindou gesellte sich zu uns, und schlang ebenfalls seine Arme um uns. So standen wir da. Ich wusste nicht wie lange. Es konnten Sekunden, aber auch Stunden vergangen sein. Ich wusste es nicht. Aber es kümmerte mich auch nicht. Ich schloss meine Augen und genoss den Moment. Die fremden, aber gleichzeitig auch vertrauten Gerüche der beiden. Die Nähe zu ihnen, in der ich mich so sicher fühlte, dass ich sie nicht mehr verlassen wollte. Auch wenn ich es nicht sah, wusste ich, dass auch meine Brüder mit den Gefühlen rangen. Einmal spürte ich etwas nasses auf mein Haar tropfen und ich wusste, dass Ran still weinte. Nachdem wir uns schweren Herzens voneinander gelöst und uns beruhigt hatten, verließen wir das Krankenhaus. "Lasst uns essen gehn. Zum Feiern brauchen wir Alkohol. Und paar heiße Weiber." sagte Rindou, als wir an der Straße entlang liefen, und fing sich eine von Ran. "Du bist durch und durch verdorben. Wir gehen essen. Nicht feiern. Auch nicht heute Nacht. Und von deinen tollen Weibern, werde ich dich losreißen." sagte er finster. Ich musste schmunzeln. "Man du bist so ein Arsch!" meckerte Rindou. Doch dann, blieben beide mit einem Mal stehen und starrten mich skeptisch an. "Was ist los?" fragte ich verwirrt. Rindou ergriff das Wort. "Hast du eigentlich nen Freund?" fragte er. Hätte ich gerade was getrunken, hätte ich mich zu 100 Prozent verschluckt. Ich starrte sie an. "Wie kommt ihr denn jetzt plötzlich auf so eine Frage?" fragte ich, noch immer unsicher, was ich sagen sollte. Ran zuckte mit den Schultern. "Naja wir sind schließlich in ner Gang. Würde blöd rüber kommen, wenn wir deinen Freund verprügeln würden." das klang tatsächlich logisch. Doch irgendwie, wusste ich, dass es ohnehin kein Weg daran vorbei gab, dass wir uns irgendwann als Feinde gegenüber stehen würden. Am besten wäre es, ich würde direkt damit rauskommen. Ich atmete einmal tief durch und blickte in die erwartungsvollen Gesichter meiner Brüder. "Ich bin auch in einer Gang." sagte ich. Beide sahen mich nun überrascht und ungläubig an. Bevor jemand etwas sagen konnte, fuhr ich fort. "Ich bin Mitglied in der Tokyo-Manji-Gang und belege einen Sonderrang." Rindous Kinnlade klappte nach unten. Oha. Damit schienen die beiden also nicht gerechnet zu haben. "Du bist Mitglied mit Sonderrang in Toman? Ich dachte, die nehmen keine Mädchen." sagte Ran. "Deshalb hab ich ja auch nen Sonderrang. Es würde mich also nicht wundern, wenn wir uns irgendwann mal als Feinde gegenüber stehen würden." sagte ich und grinste. Rindou schüttelte den Kopf. "Das ist ja echt krass. Dass hätt ich echt nicht von dir erwartet. Aber gut. Dann kann ich dir leider nicht garantieren, dass wir Mikey in ner Prügelei verschonen werden." Mein Herz setzte einen Moment lang aus, als er Mikey erwähnte. "Wie kommst du auf Mikey?" fragte ich vorsichtig. Rindou sah mich wissend an. "Na warum wohl? Als ich bei unserem Treffen gegangen war, wollte ich nochmal zurück, weil ich dich noch was fragen wollte. Dann hab ich dich da gesehen. Du standest da eng umschlungen mit Mikey da. Er ist doch dein Freund, oder?" diesmal war ich diejenige, der die Kinnlade runter fiel. Er hatte es gesehen. Alles. Ich war so am Arsch. "Nein. Er ist nicht mein Freund." stammelte ich unsicher. War dem so? Natürlich war es das. Aber warum störte es mich? Rindou nickte. "Ja klar, und ich bin der Weihnachtsmann. So sah das aber nicht aus." ich schnaufte. "Es ist nicht so wie du denkst. Es... Es ist kompliziert, okay?" ich versuchte, dieses Thema zu beenden, doch es funktionierte nicht so, wie ich es gern hätte. "Mach dir kein Kopf. Ob ihr zusammen kommt oder nicht ist doch egal. Du hast auf jeden Fall unseren Segen, ganz egal wer es ist. Wir wollen schließlich nur das beste für dich. Ich bin nicht gläubig, oder so. Aber ich denke, dass alles so kommen wird, wie es kommen soll." Ich bewunderte Rans Denkweise. Fast hätte ich ihm geglaubt, doch dann musste ich an mein Gespräch mit Takemichi denken. So wie die Zukunft jetzt ist, werden viele meiner Freunde sterben. Es wird alles so kommen, wie es kommen soll? Wieso sollte es soweit kommen, dass die Gang den Bach runter geht und viele meiner Freunde sterben? Was das anging, konnte ich Ran nicht zustimmen. Aber gut. Er wusste ja auch nichts von dieser ganzen Zeitreise Geschichte. 

Wir redeten noch weine Weile und entschieden uns schließlich in ein Restaurant zu setzen und Pizza zu essen. Wir unterhielten uns noch ein ganze Weile über unser bisheriges Leben. Was alles vorgefallen war, und was wir für Ziele für unsere Zukunft haben. Es war wirklich schön. Als es draußen schon dunkel wurde, und wir längst bezahlt hatten, kamen wir wieder auf das Thema Beziehungen. "Hört mal. Ich weiß, dass das echt ne große Sache ist. Das wir jetzt offiziell nach Jahren wieder eine Familie sind. Aber ich möchte euch bitten, vorerst niemandem davon zu erzählen." beide sahen mich fragend an. "Versteht mich nicht falsch, ich bin unglaublich glücklich wieder mit euch vereint zu sein. Aber ich habe Angst, dass das ganze für mich Folgen in der Gang haben wird." Sie schwiegen einen Moment. "Alles klar. Wir sagen nichts. Aber wenn uns jemand aus deiner Gang beim rumhängen sieht, darfst du dir eine Ausrede einfallen lassen." sagte Rindou und grinste mich siegessicher an. Ich nickte. "Das werde ich. Danke." Ran stand auf und streckte seine Glieder. "Na dann. Es ist schon spät. Gehen wir heim." sagte er. Wir gingen nach draußen. Es war ganz schön frisch für Anfang Sommer. Ich folgte den beiden zu einem etwas abgelegeneren Parkplatz, wo zwei Motorräder standen. Optisch fand ich die Dinger potthässlich, aber mir fiel sofort auf, dass die Teile ordentlich getuned wurden. "Wie kommst du nach Hause?" fragte Ran und setzte sich auf sein Bike. "Ich fahre sie." wir alle drei fuhren herum und starrten in Mikeys Gesicht. Mit gefror das Blut in den Adern. Scheiße. Er hatte alles gesehen. Sein Gesicht wirkte gefasst, doch ich sah an seinem Blick, dass er innerlich vor Wut kochte. Seine Haltung wirkte gelassen, doch er hatte die Hände zu Fäusten geballt und sein Kiefer malte angespannt. Ran und Rindou warfen sich kurz einen Blick zu. "Gut. Wir sind dann mal weg." sagte Rindou und wollte seinen Motor starten. "Ihr geht nirgendwohin." sagte Mikey mit bebender Stimme. Rindou hielt inne. Mikey ging an mir vorbei und auf die Haitani-Brüder zu. "Was zur Hölle habt ihr mit Yuna zu tun? Für welche eurer behinderten Pläne, nutzt ihr sie aus? ich mach euch kalt." er jagte mir große Angst ein. Seine Stimme klang so bedrohlich, als würde seine Stimme selbst jeden Moment die beiden umbringen. Er knackte mit den Knochen und wollte zum Schlag ausholen. Ich schaffte es, mich wieder zu fangen und stellte mich ihm in den Weg. "Was soll der Scheiß?" fragte Mikey noch immer unheimlich ruhig. Ich hob schützend meine Hände in die Höhe. "Ich werd dir alles erklären, okay? Jetzt lass die beiden. Bitte." flehte ich und sah ihn an. Er schien kaum noch bei Verstand zu sein. Pure Mordlust spiegelte sich in seinen schwarzen Augen. Doch er kam wieder zurück und ließ seine Faust sinken. "Gut." sagte er zerknirscht. Ich nickte meinen Brüdern kurz zu und diese starteten ihren Motor und fuhren davon. Nun stand ich hier. Alleine mit Mikey, der immer noch wirkte, als würde er den beiden am liebsten hinterher jagen. "Raus mit der Sprache. Was hast du mit den Haitani-Brüdern zu tun? Wirst zu erpresst? So sah das gerade aber nicht aus. Bist du etwa mit einem dieser Typen zusammen?!" die letzte Frage schrie er förmlich. Er war so angespannt, dass er kurz vorm explodieren war. Tausende von Gefühlen ließen sich aus seinem Blick lesen. Wut, Mordlust. Aber auch tiefe Enttäuschung, Trauer und Eifersucht. Ich schluckte schwer. Wie sollte ich es ihm sagen? Würde er mich aus der Gang schmeißen? Oder die bessere Frage lautet: Was wird er tun, wenn ich ihm die Wahrheit verschweige?

Durch die Zeit, durch das LeidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt