Kapitel 31

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Der nächste Tag brach an und ich wurde gegen Mittag entlassen. Natürlich rief ich Draken sofort an und er holte mich mit seinem Bike ab. "Hast du eine Ahnung, wo Mikey gerade ist?" fragte ich ihn, während wir durch die Straßen fuhren. "Nein, aber die Möglichkeiten sind begrenzt. Es wird also nicht lang dauern, bis wir ihn finden." antwortete er. Als erstes suchten wir auf dem Friedhof. Draken erklärte mir, dass Mikey öfters hierher kam um mit seinem Bruder zu sprechen und sich Gedanken über seine Handlungen zu machen. Doch wir fanden ihn nicht. Als nächstes suchten wir unter einer Brücke. Mikey soll hier oft mit Draken gespielt und sich geprügelt haben. Doch auch hier war er nicht. Wir suchten den ganzen Tag nach Mikey, aber wir fanden ihn nicht. Es war, als wäre er vom Erdboden verschluckt worden. Als ich Ema anrief, um zu fragen ob Mikey da ist, meinte sie nur, dass sie selbst keine Ahnung hatte, wo er sein könnte. Allmählich wurde es dunkel und Draken brachte mich nach Hause. "Tut mir echt leid. Ich weiß echt nicht mehr, wo wir noch suchen könnten." sagte Draken. "Ist schon gut. Er kann nicht für immer verschwinden." antwortete ich. Er nickte nachdenklich. "Ja. Ich bin sicher, dass er bald wieder auftauchen wird. Spätestens zum nächsten Gang Treffen wird er wieder da sein." es war lieb von ihm, dass er versuchte mich aufzumuntern, doch der Versuch scheiterte leider. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es Mikey gehen mochte. "Ja, hoffen wirs mal. Ich werd ihn morgen trotzdem nochmal suchen gehen." sagte ich also. Draken nickte. "Mach das. Auch, wenn ich weiß, dass du dir wahrscheinlich den Kopf wegen Mikey zerbrichst, wünsche ich dir noch einen schönen Abend." er schenkte mir sein warmes lächeln und fuhr dann auf seinem Bike davon. Eigentlich hatte ich gesagt, dass ich erst morgen weitersuchen würde. Aber ich könnte im Moment sowieso nicht schlafen, und es gab noch einen Ort, an dem wir nicht gesucht hatten. Also machte ich mich auf den Weg. Die Lichter der meisten Häuser waren bereits erloschen und es war kaum noch Verkehr auf den Straßen. Doch als ich an meinem Ziel ankam, war ich hellwach. Ich befand mich auf der Brücke, von welcher ich mit Mikey mal den Sonnenaufgang beobachtet hatte. Jetzt lag die Brücke in völliger Dunkelheit. Und doch erkannte ich sofort die Silhouette, die sich im dunkeln abzeichnete. Langsam ging ich auf die Person zu, die auf das schwarze Wasser blickte. Als ich näher kam, bemerkte er meine Anwesenheit. Als Mikey mich erkannte, wich er einen Schritt zurück und senkte sofort den Kopf. Diese Geste allein zeigte mir, dass er mir nicht in die Augen sehen konnte. Am liebsten würde er mir wahrscheinlich komplett aus dem Weg gehen. Aber das würde ich nicht zulassen. Ich vergrub meine Hände in meinen Jackentaschen und sah auf das Wasser. "Es ist ziemlich kalt geworden, was?" fragte ich in die Stille. Tatsächlich war der Herbst nun fast vorbei und es war mittlerweile so kalt geworden, dass man den Atem in der Luft sehen konnte. Nach kurzem Schweigen, hörte ich nur ein leises, abgehacktes : "Ja." Das war mein Startschuss. "Du hattest beim Kampf ganz schön war abgekriegt. Geht es dir gut?" fragte ich also weiter. Ich musste ein Gespräch aufbauen. Mikey war total verkrampft und angespannt. "Ja." antwortete er wieder. Ich nickte. "Das ist schön. Ich hab mir echt Sorgen gemacht. Ich hatte schon Angst, du hast ne Gehirnerschütterung bekommen." ich lächelte ihn an, auch wenn mir nicht danach war. Aber ich musste ihm zeigen, dass alles in Ordnung war. Einen Moment lang schwiegen wir uns an. Dann setzte Mikey endlich an. "Yuna...Was da passiert war...beim Kampf...also..." er rang mit sich selbst. "Was passiert ist, ist passiert. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Und es geht mir gut. Ich bin wieder vollkommen genesen." sagte ich und sah ihn an. Er biss die Zähne zusammen. "Das meinte ich nicht...Ich meine das...das was ich getan habe...dass ich dich-...dass ich dich geschlagen habe..." seine Stimme brach und ich merkte, dass er weinte. "Ach das? Ja du hast mich geschlagen. Und jetzt? Was soll jetzt sein?" fragte ich. Ich ging einen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen. Und noch einen. Bis ich vor ihm stand. "Glaubst du ich bin sauer auf dich? Glaubst du ich will nichts mehr zu tun haben? Glaubst du, dass ich dir die Schuld daran gebe?" er schwieg. "Mikey. Ich weiß, dass du nicht du selbst warst. Ich weiß, dass du dir extreme Vorwürfe machst, weil du mich geschlagen hast. Ich weiß, dass du dir die Schuld daran gibst, dass ich abgestochen wurde. Aber das ist totaler Bullshit! Ich gebe dir an überhaupt nichts die Schuld!" rief ich. Es war etwas aus dem Ruder gelaufen. Eigentlich wollte ich die Sache in Ruhe klären. Doch nun riss Mikey den Kopf hoch, sah mich mit dem verzweifelsten Blick an, den ich je gesehen hatte, und rief genauso laut. "Ach ja? Ich hab dich geschlagen! Nur, weil ich zu schwach war und mich habe ablenken lassen, wurdest du abgestochen! Ich konnte dich nicht beschützen! Wer weiß, was passiert wäre, wenn du dich nicht so gut mit Medizin ausgekannt hättest! Du wärst gestorben! Und das meinetwegen! Ich bin Schuld daran, dass du fast gestorben bist!" auf mir schossen die Tränen in die Augen. Ich konnte mich nicht mehr bremsen und nahm ihn fest in die Arme. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Halsbeuge und ließ meinen Tränen freien Lauf. "Du bist nicht Schuld daran. Hör auf. Hör bitte auf dir deswegen Vorwürfe zu machen. Ich gebe dir nicht die Schuld daran. Es war meine eigene Entscheidung an dem Kampf teilzunehmen. Ja du hast mich geschlagen. Und ja, ich wäre fast gestorben, aber so ist es nicht gekommen. Ich lebe noch. Ich bin hier und es geht mir gut." ich musste eine Pause machen um kurz die Fassung zurückzuerlangen. "Mikey, ich liebe dich. Ganz egal was passiert. Selbst, wenn du mich irgendwann umbringen würdest, würde ich dich selbst dann noch lieben." meine Stimme zitterte sosehr, dass ich keine Ahnung hatte, ob er mich überhaupt verstand. Doch er legte seine Arme um mich, vergrub ebenfalls sein Gesicht in meiner Halsbeuge und weinte auch. So standen wir da. Sekunden, Minuten. Es hätten Stunden sein können. Dieser emotionale Moment, indem wir uns einfach in der Nähe des anderen trösteten, indem wir auf einer in völliger Dunkelheit gehüllten Brücke standen und weinten, als wär sonst war passiert. Wir beide waren einfach völlig erschöpft. Wir mussten uns beide dauernd verstellen und die Ereignisse der letzten Tage fielen nun von uns ab. In diesem Moment, war es egal, wer uns eventuell sehen könnte oder nicht. Wir wussten beide, dass wir uns liebten und das wir bereit waren, alles für diese Liebe zu tun, weil wir in dem Moment erfuhren, dass wir einander brauchten. Wir beide waren die einzigen, bei denen wir wir selbst sein konnten, ohne uns verstellen zu müssen. Wir wussten, dass unsere Verbindung weit tiefer ging, als es den Anschein machte, und genauso gut wussten wir, dass wir ohne den anderen nicht mehr leben konnten.

Durch die Zeit, durch das LeidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt