I. II

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Tatsächlich hat Eren mit der Theorie des hohen Besuches recht.

Dieser war vor nicht einmal zehn Minuten unangekündigt aufgetaucht und hatte Erwin förmlich aus seinem Meeting geschliffen.

Nun an einer Porzellantasse nippend, schaut der General zu dem Kommandanten ihm gegenüber. Das Kinn auf den Händen abgestützt hält dieser stur den Blick und wartet darauf, dass sein Gast den ersten Schluck des Grüntees zu sich nimmt. Bevor er das Schweigen bricht.

"Ich bin mir mehr als sicher, dass du bessere Leute für diesen Fall hast. Die Soldaten des Aufklärungstrupps haben andere Spezialgebiete." Erwins Stimme bleibt durchaus ruhig mit seiner Erklärung, dennoch vermittelt sein sturer Blick einen gewissen Nachdruck an den Mann ihm Gegenüber. Dieser hat ihm wenige Minuten zuvor verkündet, dass seine Leute in einem Mordfall ermitteln sollen.

Zackley schiebt seine Brille hoch und stellt dann behutsam die Teetasse ab.

"In der Tat, Erwin. Die Militärpolizei würde unter normalen Umständen im Laufe der Zeit die Täter sicherlich fassen", beginnt er und schmunzelt als Erwin direkt spitz: "Unter normalen Umständen?", wiederholt.

Der blonde Mann ist scharfsinnig und gerade deswegen ist der Aufklärungstrupp für diesen Job durchaus geeignet. Die Menschen hier haben etwas im Köpfchen.

"Exakt. Diese Mördertruppe ist geschickt und hat womöglich Gehilfen bei der Polizei, du verstehst?" Zackley hebt erneut die Tasse und lächelt, nachdem einen Schluck des exzellenten Tees genommen hat.

Erwins Blick hingegen liegt weiterhin skeptisch auf ihn.

Verständlich, eigentlich hat der Kommandant im Moment alle Hände damit zu tun eine weitere Expedition zu planen. Der Zeitpunkt Zackleys ist daher in der Tat etwas ungünstig, den Fakt sieht auch der General ein, aber Mörder halten sich nun einmal nicht an Zeitpläne.

Und nur aus diesem Grund hat der General den blondhaarigen Mann überhaupt erst aus dem Meeting geschliffen – die Zeit drängt.

Kurz öffnet sich Erwins Mund, um ein Gegenargument zu bringen, dann schließt er sich jedoch wieder und schüttelt stattdessen den Kopf.

"Wir haben im Moment absolut keine Zeit dafür..." Es ist nicht so, als das Erwin scharf auf diese Aufgabe wäre, aber dennoch bereitet es ihm innerlich etwas Unbehagen, sich dagegen Sträuben zu müssen. Auch, wenn die Aufgabe nun wirklich nicht zu seiner Arbeit gehört. Zackley hingegen seufzt innerlich, die Karte, die er nun spielen müsste, wollte er eigentlich gar nicht nutzen, aber scheinbar benötigt er dieses Ass.

"Verständlich, doch ohne Gelder finden auch keine weiteren Exkursionen statt." Die Worte kommen recht gleichgültig über seine Lippen, während der General erneut an seiner Tasse nippt, um ein kleines Lächeln zu vertuschen, aber er bemerkt wie Erwin sich etwas anspannt.

"Wie bitte?" Ganz als hätte man einen Schalter beim Kommandanten umgelegt, sitzt dieser plötzlich kerzengerade in seinem Stuhl und mustert Zackley genaustens. Doch der Grauhaarige spielt weiter unbekümmert seinen Trumpf und zuckt mit den Schultern: "Es sind vor allem hohe Tiere die im Moment sterben. Wenn man beschließt, die Sicherheit innerhalb der Mauern verstärken zu müssen, weil sie den Täter nicht finden, wird dem Aufklärungstrupp als Erstes die Gelder gestrichen. Ich dachte, das wäre dir bewusst." Mit Mühen muss er sein Grinsen unterdrücken, während er beobachtet, wie in Erwins blauen Augen plötzlich etwas aufflackert.

Bis gerade eben war es Erwin Smith gegen irgendeinen – für ihn – belanglosen Mörder.

Doch nun heißt es Erwin Smith gegen die Streichung seiner Gelder.

Dass er dafür die Täter schnappen muss ist offensichtlich. Aber im Gegensatz zu vorhin hat er nun einen sehr triftigen Grund.

"Fein. Diesen einen Fall übernehmen wir." Seine Stimme klingt zwar etwas kühl, aber nichtsdestotrotz bekommt Zackley so genau das, was er möchte.

"Keine Sorge. Nur dieser eine Fall. Die Unterlagen werde ich dir zukommen lassen." Zufrieden streckt der General dem Kommandanten die Hand entgegen, worauf letzterer kurz seufzt, sie dann jedoch schüttelt.

"Ich werde dafür sorgen, dass sich ein Team drum kümmert. Der Fall wird möglichst schnell aufgeklärt werden."

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Die besagte Person sitz derweil zwei Räume weiter und weiß noch gar nichts von ihrem Glück. Vielmehr ist er im Moment damit beschäftigt nicht selbst einen Mord zu begehen.

Hanjis Stimme ist schrill und wird zudem noch lauter, wenn sie aufgeregt ist. Zwei Faktoren die es nahe zu unmöglich machen, sie auszublenden. Normalerweise hilft nur die Flucht, aber sie warten immer noch darauf das Erwin wieder auftaucht – was sich genau genommen auch um Stunden verschwendeter Zeit handeln könnte.

"Und dann haben wir–"

"Hanji, ich glaube, der Junge hat keinen blassen Schimmer wo von du überhaupt sprichst." Mike gibt zum ersten Mal seit dem Erwin den Raum verlassen hatte wieder einen Ton von sich und betrachtet dabei den jungen Burschen der mit Zackley gekommen war und – kaum das dieser mit Erwin verschwunden war – hilflos im Raum rumstand.

Innerhalb von Minuten wurde er zum Opfer von Hanji, welche ihn direkt auf den neusten Forschungsstand bringen wollte. An seinen leicht aufgerissenen Augen und den nach unten gezogenen Mundwinkeln sollte allerdings direkt jeder erkennen, dass der Junge wenig mit ihrem Gefasel anfangen kann und eher etwas verstört ist.

"Hat Erwin nochmal vor aufzutauchen?" Mittlerweile ist sicherlich eine halbe Stunde vergangen, wenn der Blonde nicht in den nächsten Minuten auftaucht, würde er gehen. Er hat für heute noch genügend Arbeit zu erledigen. Mal davon abgesehen, dass er das Gefasel von den abartigen Experimenten nicht länger hören kann. Des Weiteren müsste Eren mittlerweile vom Markt zurück sein und den Braunhaarigen kann man ebenfalls kaum alleine lassen, ohne das er nicht irgendeinen Streit oder ähnliches ausbrütet.

Allerdings öffnet sich keine Sekunde später die Tür zum Raum und Erwin tritt mit einem "Entschuldigt bitte", hinein. Für einen Moment blicken alle zu ihm und er mustert die Runde im Raum, dann bleibt sein Blick auf dem, ihm fremden, Jungen hängen und kurz überlegt er bevor ihm anhand der Uniform klar wird, dass dieser mit Zackley hier sein muss.

"Der General hat sich bereits zur Kutsche aufgemacht", informiert er den Jungen, welcher plötzlich nickt und förmlich aus dem Raum stürmt, was Erwin ein überraschtes 'Nanu?' von den Lippen entlockt.

Bevor er sich wieder zu den drei bekannten Gesichtern wendet, welche immer noch auf ihn warten.

"Schien ja unglaublich wichtig zu sein", bemerkt Levi und verzieht die Lippen, als Erwins Blick auf ihm landet, der Mann jedoch eine Weile lang nichts sagt.

Es ist ein ungutes Gefühl, dass sich im kleineren breit macht. Eine Vorwarnung vor irgendetwas auf das er absolut keine Lust hat.

"Kann man so sagen", antwortet Erwin und bewegt sich dabei zu seinem Schreibtisch, "Ich hab einen Auftrag für dich und deinen Squad", fährt er fort, kaum dass er sich hingesetzt hat.

"Einen Auftrag?" Sowohl die Stimme als auch der Blick des Captains lassen direkt darauf schließen, dass er dem Auftrag nicht traut. Es ist die Situation und Erwins ernster, leicht unzufriedener Blick, der förmlich danach schreit, dass dieser Auftrag rein gar nichts mit seinem eigentlichen Job zu tun hat.

Das leicht steife "Ja", seitens Erwin sorgen zudem ebenfalls nicht dafür, dass diese Annahme schwindet.

Er kann jetzt schon darauf verzichten.

・Grace •Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt