II. V

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"Wir haben einiges rausgefunden und eine Zielperson."

Kaum haben die Worte Jeans Lippen verlassen, kehrt eine Stille im Raum ein, die es möglich macht, eine Stecknadel fallen zu hören. Alle Augen im Raum liegen auf ihm. Fordernd und neugierig starren sie ihn an.

"Ich fange zunächst mit unserem Glückstreffer an. Beim Herumfragen sind wir bei einem Soldaten der Militärpolizei gelandet, bei seiner Befragung ist und sein Verhalten aufgefallen", erklärt der Junge und legt dabei seine Notizen auf den Tisch, "Conrad Müller war trotz des ernsten Themas verdächtig locker und er schien ziemliches Desinteresse an dem Fall zu haben. Er selbst hatte angegeben ein einfacher Soldat zu sein, war jedoch sehr gut informiert und außerdem bei allen Tatorten anwesend gewesen. Das Erste, was uns seltsam vorkam war, dass er meinte, er hätte nichts Auffälliges an den Tatorten bemerkt und alles wäre an seinem Platz gewesen. Er kannte diese Orte vorher aber nicht, woher wusste er also, ob wirklich alles an Ort und Stelle war?

Des Weiteren steht, wie uns allen bewusst, in den Dokumenten, dass vermutet wird, die Täter hätten womöglich mehrere Pferde. Conrad war sich aber sicher, dass es nur ein einziges Pferd ist. Die Zahl ist angesichts der Unterlagen viel zu genau und er schien viel zu überzeugt davon. Ich möchte an dem Punkt darauf hinweise, dass die Militärpolizei den Fall auch innerhalb hätte weiterreichen können. Das ist jedoch nicht passiert. Ich gehe davon aus, dass Conrad Müller mehr mit den Fällen zu tun hat als er zugegeben hat und den Leuten oben in den Rängen dies womöglich auch bereits aufgefallen ist, warum der Fall bei uns gelandet ist." Jean atmet einmal tief ein und aus. Bevor er auch den Rest der Notizen auf den Tisch legt. "Die restlichen Fragen haben nicht ganz so viel ergeben und eher bestätigt, was wir schon wissen", ergänzt er dann und setz sich wieder. Für einen Moment herrscht Stille, bevor Levis leises: "Stimmt", sie unterbricht.

Im nächsten Moment nickt der Dunkelhaarige leicht. "Ich werde das mit Erwin besprechen, wir sollten Conrad aber definitiv im Auge behalten", ergänzt er dann, den Blick stur auf den Holztisch gerichtet.

"Wir haben im übrigen auch alle Toten überprüft", merkt Connie dann an, "Jeder von Ihnen hat auf irgendeine Weise Kontakt zum Militär. Die Politiker hatten Kontakte zu den Kommadanten der Polizei. Die Händler haben alle drei Divisionen mit finanziert und teilweise auch Verwandte in diesen und auch die Adeligen waren in ihren Finanzierungen beteiligt. Wir haben das lediglich durch unser Briefarchiv herausgefunden. Ich würde also davon ausgehen, dass einer der Täter dem Militär angehört und durch die Briefe einiges über seine Opfer wusste", erklärt Connie.

"In dem Fall habt ihr womöglich wirklich mit einem der Täter gesprochen!", ruft Eren dann aus und springt förmlich aus seinem Stuhl.

"Womöglich", stimmt Levi ihm zu und schaut dann kurz auf die Uhr, "Um den Rest kümmern wir uns morgen", verkündet er dann. Seine Truppe erscheint ihm doch recht erschöpft. Sascha hat bereits seit mehreren Minuten die Augen zu und zuckt nur dann hoch, wenn Connie ihr sanft in die Rippe boxt. Wie auch bei ihren normalen Tätigkeiten ist es hier wichtig, dass sie durchaus in ausgeruhten Zustand sind.

Er selbst wird wahrscheinlich nicht schlafen gehen, das kann er eh nicht. Sein Schlafrhythmus hat sich bereits vor Jahren verabschiedet und die alten Erinnerungen und Albträume sorgen eher für Herzrasen und Unruhe als für wirkliche Entspannung. In der Regel schläft er nur noch wenige Stunde und auch nur dann, wenn sein Körper ihn vor Erschöpfung einschlafen lässt. Im Moment ist er davon jedoch noch weit entfernt, dennoch gilt das für den Rest scheinbar nicht.

Mit einem leichten Nicken stehen sie nach einander auf und schleifen sich langsam, leise miteinander quatschend, aus dem Raum, während der älteste auf seinem Stuhl sitzen bleibt und aus dem Fenster starrt. Sie sind heute überraschend gut vorangekommen. Er hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie bereits morgen ihren ersten richtigen Schritt machen können. Wobei er davor noch mit Erwin sprechen müsste. Zum einen, um den Blonden auf den neusten Stand der Ermittelungen zu bringen, zum anderen, damit er womöglich noch einmal bei Darius nach harkt, wie viel dieser wirklich weiß. Denn scheinbar hat der Mann nicht alles erwähnt, als er mit dem Auftrag um die Ecke kam.

Kurz schließt Levi die Augen und reibt sich die Stirn, bevor er aufsteht und die auf dem Tisch verteilten Dokumente einsammelt. Dabei fällt sein Blick auf die Akte, welche gegenüber vom Tisch auf einer Holzkommode liegt.

'Akte des Entführungsfalles vom 15. September 850.'

Er weiß gar nicht so genau, warum er die Akte aus dem Archiv mitgenommen hatte, er hatte sie in der Hand gehabt und dann einfach mitgenommen und nun lag sie da. Er musste sie nicht erneut durchblätter, mittlerweile kannte er den Fall auswendig.

Eine Entführungsreihe von mehreren Leuten, darunter auch mehreren Soldaten. Beim Versuch sie zu befreien brach ein Feuer aus und alle Entführungsopfer verstarben. Ein düsterer Tag für die Militärpolizei, ein noch viel düsterer für die Familien der Opfer. Ihnen ist es nicht zu verübeln, dass einige auch Jahre später noch ein Problem mit der Militärpolizei haben. "Ich brauche ein Tee."

Mit den Worten verlässt Levi ebenfalls den Raum und macht sich auf zur kleinen Küche in dem Gebäude.

Als er dort jedoch eine brünette Brillenschlange ausfindig macht, dreht er sich direkt wieder um. Jedoch immer noch zu langsam. "Leviiiiii!", Hanji erscheint mehr als nur glücklich den kleineren zu erblicken. "Nicht so schüchtern! Komm doch rein! Ich hab Tee!"

"Halts Maul", mit den Worten nimmt Levi eine der zwei Tassen, die vor Hanji stehen, bevor er sich gegen die Küchenzeile lehnt. Für einige Minuten herrscht tatsächlich Ruhe zwischen den beiden, bevor die Größere beschließt, diese dann doch zu brechen.

"Und wie läuft es mit eurem Fall?", fragt sie neugierig und grinst nur leicht, als Levis Blick sie erreicht. Für eine Weile schweigt er, als die Brünette jedoch nicht aufhört ihn anzustarren, seufzt er irgendwann auf. "Besser als gedacht", murrt er, mit dem Wissen, dass Hanji sich mit so wenigen Informationen nur selten zufriedengibt.

"Echt? Komm, erzähl mir mehr! Wisst ihr schon wer es war?", beginnt ihre Fragerei und für einen kurzen Augenblick bereut Levi es, doch hiergeblieben zu sein. "Nein, so gut sind wir auch nicht. Aber wir wissen etwas mehr als zu Beginn", erklärt er. Rein theoretisch dürfte er Hanji als Außenstehende gar nichts erzählen, vor allem nicht, wenn man davon ausgehen kann, dass sich womöglich ein paar Täter unter den Soldaten aufhalten. Allerdings kennt er die Brünette lang als genug, um sie einschätzen zu können und er vertraut ihr.

"Das klingt doch nach einem Fortschritt." Nachdenklich mustert Hanji ihn, ganz so, als würde sie überlegen, ob es sinnvoll ist Levi weiter zu nerven oder ob ihr Vorhaben erfolglos bleiben würde. Da der Schwarzhaarige, aber genervter als sonst wirkt, nippt sie stattdessen an ihrer Tasse.

"Wenn ich irgendwie helfen kann, gebt mir Bescheid."

"Mhm"

Die Wahrscheinlichkeit, dass Hanji wirklich helfen kann, ist eher gering. Immerhin geht er hier nicht um Titanen. Wobei.

"Kennst du zufällig Ärzte oder Apotheker?", fragt er dann nach. Hanji hat in ihrem Büro einiges an Zeug herumstehen für Experimente in Hinsicht auf die Titanen, wer weiß was für Kontakte die Frau hat. Immerhin muss sie das ganze Zeug ja irgendwo auftreiben.

Für eine Weile starrt Hanji einfach nur an die weiße Decke, bevor ihre Augen wieder zu ihm wandern. "Ein paar. Ich hab einen Apotheker, bei dem ich einiges an Medikamenten bekomme, wenn nötig, und der mir manchmal verschiedene geforderte Mixturen zusammen bastelt, wenn ich es selbst nicht kenn. Na ja und neben dem Militärarzt noch ein Hausarzt", erklärt sie dann und legt dabei ihren Kopf schief. Levi sieht die nächste Frage schon kommen.

"Warum?"

Sie ignorierend nimmt er einen weiteren Schluck von seinem Grüntee und merkt sich gedanklich, dass Hanji keinen Tee mehr kochen sollte. Verschwendung der Zutaten.

"Notiere mir deren Kontaktdaten", erklärt er dann und stellt die mittlerweile leere Tasse ab, bevor er den Raum wieder verlässt, bevor Hanji noch weitere Fragen stellen kann. Er sollte ihr nicht mehr als vorerst nötig erzählen. Zumindest nicht so lange er nicht einschätzen kann, wer zu den Feinden gehört. Letztendlich will er niemanden unnötig in Gefahr bringen.

Somit holt er sich schnell die Dokumente aus dem Besprechungsraum, bevor er sich in sein eigenes Zimmer zurückzieht.

・Grace • Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt