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Die Sonne strahlt in ihrer vollen Pracht und keine einzige Wolke ist am Himmelszelt zu vernehmen. Womöglich ist der Marktplatz gerade aus diesem Grund so unglaublich voll.

Für Armin fast schon zu voll. Er hat bereits vor einer Weile aufgehört zu zählen, wie viele Ellenbogen er in die Rippen gerammt bekommen hat und gleichzeitig auch andere Menschen aus versehen in die Seite gerammt hatte. Im Moment setzt er alles daran, Mikasa und Eren wiederzufinden. Mit den beiden zusammen sollte er ein paar Besorgungen für den Aufklärungstrupp erledigen, aber irgendwie hat er direkt beide verloren. Er kann nicht einmal genau sagen, wie es passiert ist, er hatte Erens wütende Stimme vernommen und kurz darauf den Braunhaarigen in der Masse aus den Augen verloren, nur um wenige Minuten später zu bemerken, dass auch Mikasa verschwunden war. Aktuell besteht seine einzige Hoffnung lediglich daraus, dass zumindest die Schwarzhaarige bei Eren ist und die beiden nicht ebenfalls einzeln durch den Markt streunen.

Mit einem leisen Stöhnen wandern die blauen Augen kurz hoch zum Himmel. Schwalben ziehen dort ihre Kreise durch die Lüfte und sorgen dafür, dass der Junge ihnen kurz wie gebannt zuschaut. Dann holt ein Stoß in die Seite ihn wieder aus seinen Gedanken. Ein älterer Mann brummt ihm ein: "Entschuldigung" zu, während er sich durch die Masse quetscht, während Armin nur abwinkend nickt. Er sollte hier echt nicht länger einfach nur herumstehen.

Glücklicherweise hatte er vorausschauend gedacht und mit den anderen beiden einen Plan entwickelt der einzuhalten ist, falls sie verloren gehen sollten. Sie waren auf dem Hinweg an einem Brunnen vorbeigekommen, welchen sie als ihren Treffpunkt ausgemacht hatten. Jeder hat eine Aufgabe bekommen, was er zu besorgen hatte und sollte dann zum Brunnen kommen. So war zum einen dafür gesorgt, dass sie sich wiederfinden und zum anderen, dass niemand doppelte Besorgungen macht. Kurz darauf starrt Armin auf die Äpfel in seinem Beutel. Mit seinen Besorgungen ist er bereits fertig, er müsste somit nur noch zum Brunnen gehen.

Ein letztes Mal schaut er sich um und versucht etwas von der Stimmung des Platzes aufzusaugen. Denn auch wenn der Marktplatz mehr als nur überfüllt ist und die meisten Menschen gestresst sind, hängt etwas Lockeres in der Luft. Komplett anders als beim Militär.

Die Menschen sind unbekümmert und ihre größten Sorgen sind die Besorgungen ihrer Gemüse. Der Gedanke vom Tod findet hier nur wenig Platz. Titanen scheinen in ihren Köpfen nahezu verdrängt zu sein und das, obwohl die riesigen Mauern zum Schutz der Menschheit ein stetiger Weckruf dafür sind. Doch vielleicht ist es genau dieser graue Wall, der für Ihn anders aussieht als für alle anderen hier.

Die Menschen sehen lediglich darin was der Stein darstellen soll: Einen Schutz.

Er hingegen sieht nur das, was vor ihm steht: Eine Mauer.

"Ahh!"

"Oh, Entschuldigung!", erschrocken und komplett aus seinen Gedanken gerissen, fängt Armin plötzlich die Person auf, die vor ihm ins Stolpern geraten ist und nun zu fallen droht.

Grüne Augen - die farblich an die Baumkronen erinnern, welche im Wind wehen und das Gefühl einer frischen Brise vermitteln. Zusammen mit helleren Flecken von braun, die an die Wärme von Sonnenstrahlen auf einer Wiese denken lassen - blitzen auf und lassen ihn direkt an einen Wald denken.

Die minimal kleinere Person blickt währenddessen zu ihm hoch und starrt ihn mit leicht geweiteten Augen an, bevor sie sich wieder leicht auf die Beine rappelt.

"Verzeih bitte! Ich bin wohl über irgendeinen Stein gestolpert!", gibt die weibliche Stimme von sich und seufzt kurz, während ihre Augen den Boden nach dem Täter absuchen.

Ohne Erfolg. Armin blinzelt währenddessen mehrmals und mustert dann die etwas kleinere Frau.

Sie trägt einen schwarzen Kapuzenmantel, der alles darunter verdeckt und als sie ihren Blick wieder senkt, verschwinden auch ihre grünen Augen – welche sich bereits förmlich in Armins Gedächtnis gebrannt hatten – unter der schwarzen Kapuze. Allerdings löst sich im nächsten Moment eine kupferne, leicht rötliche Strähne und fällt ihr ins Gesicht.

"A-alles gut. Immerhin ist nichts passiert", erklärt er dann, während er beobachtet, wie ihre zarte, blasse Hand – welche zum Teil mit Verband verbunden zu sein scheint – die Strähne wieder unter die Kapuze schiebt. Mit einem kleinen Lächeln nickt die Fremde plötzlich und schaut dabei kurz über ihre Schulter.

Unauffällig folgt Armins Blick ihr und – wenn auch eigentlich in der Menschenmasse untergehend – bemerkt er die zwei Gestalten direkt. Auch sie tragen Kapuzenmäntel mit den Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und doch spürt der Blonde ihre Blicke gerade zu stechend auf ihm. Von der Statur her lässt es auf zwei Männer schließen und nahezu gleichzeitig mit dieser Erkenntnis macht sich ein ungutes Gefühl in Armin breit. Warum laufen drei Personen am frühen Morgen so herum, als wollten sie nicht erkannt werden? Sind sie fremde? Wenn ja, woher? Wenn nein, vor welchen Blicken verstecken sie sich?

"Ich muss dann wieder los. Schönen Tag noch!"

Der Hauch einer Sekunde, Armin kann gerade noch so zu ihr schauen, da ist sie plötzlich verschwunden. In der Masse einfach untergetaucht, ohne das auch nur eine einzige weitere Seele einen Verdacht zieht.

Und auch die beiden Männer kann er mit einem Mal nicht mehr ausfindig machen. "Seltsam", nuschelt er sich selbst zu, schüttelt dann jedoch den Kopf. Egal. Es ist bereits zu spät um noch zu Handeln und vielleicht war es auch einfach nur ihre Strategie um sich auf dem Markt leichter wiederzufinden. Vielleicht macht er sich gerade völlig umsonst Gedanken.

Apropos Wiederfinden. Er sollte zusehen langsam zum Brunnen zu gelangen. Immerhin würden Mikasa und Eren womöglich schon längst dort auf ihn warten. Sich einmal umschauend drückt der Blonde seine Tüte mit Obst an sich und beginnt dann erneut seinen Weg durch die Massen von Menschen zu bahnen. Nun doppelt so vorsichtig um nicht nochmal in jemanden hineinzulaufen.

Wobei war er das überhaupt? Oder war die Frau in ihn hineingelaufen? So genau weiß er das gar nicht. Es war so schnell gegangen und er war so in seine Gedanken vertieft gewesen, dass er es gar nicht richtig wahrgenommen hatte.

Als er nach einigen Minuten endlich am besagten Springbrunnen ankommt, warten seine Freunde tatsächlich bereits auf ihn.

"Da bist du ja endlich! Warum hast du so lange gebraucht?", fragt der braunhaarige Junge mit den grünen Augen direkt, während er seinen Freund leicht skeptisch, aber auch etwas besorgt mustert. Dieser schaut kurz beschämt zu Boden: "Verzeih, ich bin in jemanden hinein gelaufen und danach nur schwer durch die Massen gekommen." Für einen Moment hebt Eren eine Augenbraue, bevor er mit den Schultern zuckt, während Mikasa die Tüten bereits vom Boden aufhebt. "Lasst uns zurückgehen, der Captain wartet sicherlich schon", sind ihre einzigen Worte, nachdem auch sie Armin einmal prüfend gemustert hat.

"Ich könnte dir eine Tüte abnehmen, Mikasa"

"Lass nur Eren."

Mit den Worten laufen die drei los, während Eren kurz schmollt. Er ist schon lange kein Kind mehr und wäre in der Tat dazu fähig, eine Tüte vom Einkauf selbst zu tragen, aber keine Chance. Stattdessen blickt er eine Weile in den klaren blauen Himmel. "Wann wir wohl wieder hinter die Mauern gehen?", murmelt er leise und sorgt kurz dafür, dass die zwei anderen Anwesenden etwas überrascht zu ihm blicken. Dann schauen auch sie in den Himmel. "Meines Wissens nach wird die nächste Expedition schon geplant, aber keine Ahnung wie lange es noch dauern wird.", gesteht Armin dann. Er hatte vor ein paar Tagen aus Zufall ein Gespräch auf dem Flur mitbekommen, doch noch gab es keine offizielle Ankündigung, demnach wird es wohl noch eine Weile dauern.

"Verstehe", nickt Eren dann. Für ihn dauert das ganze fast schon etwas zu lange, wenn er ehrlich ist, würde er am liebsten gleich morgen wieder dorthin. Andererseits kann er sehr gut verstehen, dass sie einen guten Plan brauchen und dieser plus die ganzen Besorgungen eben etwas Zeit in Anspruch nimmt. Mit einem kleinen Seufzen betreten sie dann das Gelände des Hauptquartiers. Tatsächlich ist dieses nicht gerade weit weg vom Markt, dementsprechend auffällig lange haben sie jedoch für die Einkäufe gebraucht. Aber wen wundert es bei den vollen Gassen und vielen Menschen?

"Nanu, was ist denn hier los?", murmelt der Braunhaarige plötzlich, als er bemerkt, wie mehrere Soldaten an einer Kutsche stehen, um diese zu bewachen. Entweder Kommandant Erwin wurde plötzlich irgendwohin berufen oder aber ein hoher Besuch ist vorbeigekommen. Jedoch kann Eren sich nicht erinnern, dass so etwas angekündigt wurde. Dann wiederum wird ihnen als Soldaten auch nicht alles erzählt und gerade Levi traut er zu, manche Sachen nicht zu erwähnen, wenn sie dem Kleinen als unnötig erscheinen.

・Grace • Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt