2. Der Biss

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(POV: Nick)

Als die Lichter aufblitzten und die Band anfing zu spielen, fühlten sich Nick und Charlotte wie zwei Vögel, die das erste Mal in ihrem Leben das Fliegen entdeckten.

Nick erinnerte sich an die Zeit in der Grundschule, als er gemeinsam mit Charlotte ihre Musik auf seinem MP3-Player hörte und davon träumte, eines Tages ein Konzert mit Charlotte zu besuchen. Nun standen sie hier. Der Moment, von dem sie immer geträumt haben.

Nick blickte zu seiner besten Freundin, die grinste wie ein Honigkuchenpferd. Die tanzenden Lichter, der künstliche Rauch, die tobende Menge, all dies fühlte sich für die beiden an wie die Szene aus einem Traum. Dieser Abend mit Charlotte zählte definitiv zu einem der schönsten in Nicks Leben. Wenn es nicht sogar der schönste war.

Nach drei Stunden stürmten Nick und Charlotte mit den Armen voller Fan-Armbändern und von der Musik betäubten Ohren aus der Konzerthalle. Es war tief in der Nacht. Nick konnte zwar nicht auf die Uhr sehen, aber es müsste ungefähr nach Mitternacht gewesen sein.
Als Charlottes älteren Bruder bereits ungeduldig auf die beiden wartete.

Als er sie von weitem sah, schmiss er einen Zigarettenstummel weg und stieg in seinen roten Minivan ein. Ein lautstarkes seufzen war zu vernehmen, als seine jüngere Schwester mit Nick im Schlepptau hinten einstiegen.

"Da seit ihr ja endlich. Ich habe mir hier draußen den Arsch abgefroren", beschwerte er sich, während er den Motor startete.

"Kyle, du hast dich freiwillig dazu entschlossen, uns abzuholen", erinnerte Charlotte ihn.

Da der Veranstaltungsort in einer anderen Stadt lag, die man mit dem Zug nur schwer erreichen konnte und Nicks Mutter kein eigenes Auto besaß. Blieb die einzige Option nun mal Kyle.

Er trug einen schwarzen Trainingsanzug mit einem unübersehbaren Loch. Das gesamte Auto stank nach dem Qualm der Zigarette, die er vor wenigen Sekunden geraucht hatte.

"Nun, ist ja auch egal", beendete er das Gespräch und fuhr los.

Die Lichter der Großstadt spiegelten sich im Fensterglas. Der Anblick der hektischen Metropole inmitten der Nacht ließ Nicks Herz höher schlagen. Eines Tages dem kleinen Dorf entfliehen. Er verstand, warum das Charlottes größter Traum war. Die Atmosphäre hier zog einen nicht in den Abgrund. Das Gefühl, in jeder Straße etwas Neues zu entdecken. Das wollte auch er verspüren.

"Ist Dad Zuhause?", fragte Charlotte. Kyle ächzte. Sein Blick war starr auf die Straße gerichtet.

"Er ist wieder im Casino", sagte er. Sie rollte ihre Augen und blickte aus dem Fenster, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

"Er hat die Haushaltskasse dafür geplündert", fügte Kyle hinzu.

Das wäre nicht das erste Mal, dass er dies tat. Charlotte berichtete Nick beinahe jede Woche aufs Neue, wie ihr Vater die gesamten Ersparnisse der Familie verzockte und sich Nächte lang herumtrieb.

"Und du hast versucht ihn aufzuhalten?", sie deutete auf das dicke blaue Auge im Gesicht ihres Bruders, welches Nick zuvor nicht auffiel, da Kyle seine Sonnenbrille erst im Auto abnahm. Es folgte keine Antwort. Denn jeder im Auto konnte sich denken, wie sie lautete.

"Ich werde noch eine Schicht übernehmen!", beschloss Charlotte, woraufhin Nick ihre Hand nahm und ihr in die Augen blickte.

"Du weißt, meine Mama hat euch bereits angeboten auszuhelfen", erinnerte er sie an das Angebot. Charlotte seufzte.

"Ich kann das nicht annehmen, tut mir leid", lehnte sie ab. Nick konnte verstehen, warum es ihr unangenehm war eine Finanzspritze anzunehmen. Vor allem von Freunden. Aber er wollte alles in seiner Macht stehende tun, um ihr zu helfen. Selbst wenn seine Familie selbst nicht viel besaß. Dafür sind Freunde da.

Crescence - Boy meets LycantropyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt