5. Die Wolf-Theorie

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(POV: Nick)

"Die Krallen eines Wolfes! Da besteht kein Zweifel", Charlotte legte ein bereits vergilbtes Buch zur Seite, nachdem sie mehrere Minuten darin nach Antworten suchte. Immer wieder betrachtete sie Nicks Krallen und verglich sie mit den Abbildungen in einer Art Lexikon für Fabelwesen.

Die Schriften und Bilder waren stark verblasst. Aus diesem Jahrhundert stammte dieser Schinken nicht, da war Nick sich sicher. Sie verglich seine Krallen mit denen von Vampiren, Sirenen und Wesen, von denen er noch nie zuvor etwas gehört hatte.

Zum Beispiel existierten Legenden von monströsen Vögeln, die Kinder entführen und Mischwesen aus mehreren Tieren gleichzeitig. Alle diese Legenden und Erzählungen reichten bis in die tiefsten Punkte der Menschheitsgeschichte zurück. Nick hoffte inständig, dass ihm nicht als nächstes ein Schnabel wachsen würde.

In Nicks Augen, gab es für diese übernatürlichen Erscheinungen eine logische Erklärung. Einen menschlichen Auslöser, welcher für die Menschen dieser Zeit unbegreiflich war.

Lieber glaubte man an ein Monster, als an einen Menschen, der monströse Dinge tat.

Vielleicht brauchten die Menschen aber einfach nur einen Sündenbock, um die Personen aus dem Weg zu räumen, die ihnen Schaden. Als man früher Jagd auf Gestalten wie Hexen und Werwölfe machte, war es sicher einfach, jemandem übernatürliche Fähigkeiten nachzusagen, um diese Person auf den Scheiterhaufen zu bringen.

Eine Frau welche dem damaligen Bild entsprechend viel zu intelligent war und somit ein Dorn im Auge der Gesellschaft darstellte, wurde kurzerhand zur Hexe. Der ehemalige Verbündete, der das ein oder andere Geheimnis ausplaudern könnte, wurde zum blutrünstigen Vampir. Es war die Gelegenheit, sie von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Diese Theorien über die Menschen der damaligen Zeit und wie sie sich den Glauben an das Übernatürliche zur Waffe machte, war für Nick faszinierend. Liebend gerne sprach er mit Charlotte über solche Theorien, in dieser Hinsicht, gab sie Nick jedes Mal recht. Dennoch wollte sie den Glauben daran, dass diese Fabelwesen tatsächlich existierten, niemals verwerfen.

"Das Tier, welches dich Gebissen hat, muss ein Wolf gewesen sein, um genau zu sein, ein Werwolf", war Charlotte überzeugt. Sie blätterte durch ihr Buch und drückte Nick die ausschlaggebenden Seiten förmlich ins Auge.

Nick seufzte und schob das Buch zur Seite. "Ich weiß, für dich mag es logisch erscheinen, dass ich mich nach einem Wolfsbiss in einen Werwolf verwandle. Doch das geht mir alles irgendwie zu schnell", Nick war im Begriff, dass die Ereignisse durchaus keine Veränderungen der Pubertät geschuldet waren.

Sein Körper durchlebte eine Metamorphose der übernatürlichen Art. Sein Weltbild änderte sich von heute auf morgen. Ein kleiner Biss und schon war alles anders.

Ein Werwolf. Das würde die starke Regeneration des Tieres nach dem Unfall erklären. Die verschwundene Wunde, die verstärkte Sinneswahrnehmung und natürlich die Krallen, die vor lauter Aufregung immer noch sichtbar waren. Da sein Herz weiterhin wie wild klopfte, konnte er sie nicht wieder einfahren. Immerhin konnte der Teenager froh sein, dass er zusätzlich nicht noch anfing zu bellen.

"Öffne endlich deine Augen, Nick. Die Aufzeichnungen besagen, dass der Biss wirkt wie ein Gift, das deine Zellen rapide verändert. Jedoch braucht es Zeit, bis der Körper sich daran gewöhnt, beziehungsweise, er gelernt hat, seine neuen Fähigkeiten einzusetzen. In den nächsten Tagen werden also weitere Veränderungen eintreten.
Wenn wir also vorzeitig die Hypothese stellen, dass du dich in einen Werwolf verwandelst, können wir auf dieser Grundlage weiter experimentieren", meinte sie.

Mit großen Augen blickte sie auf die Hände ihres Freundes. Selbst wenn die Situation für beide mehr als beängstigend war, so faszinierte sie der Anblick eines waschechten übernatürlichen Ereignisses dennoch.

Crescence - Boy meets LycantropyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt