1| Bonjour Québec

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Seufzend denke ich an die verhängnisvolle E-Mail zurück. Nach dem ersten Schock hatte sich mein rasendes Herz zunächst wieder beruhigt, denn das konnte nur ein Fehler sein. Schließlich hatte ich mich nur für Vancouver beworben und von Québec Stadt noch nie was gehört. Mein Besuch im Austauschbüro der Uni ließ mich allerdings aus allen Wolken fallen. 

"Nö, das passt schon so!", hatte mir die verantwortliche Dame erklärt und dabei liebevoll die Blätter ihrer Zimmerpalme getätschelt. "Sie haben in Ihrer Bewerbung doch angegeben, dass sie so toll Französisch sprechen? Und für Vancouver gab es so viele Bewerber, die alle nur Englisch können. Bevor unsere Kollegen in Québec traurig sind, dass da keiner hin will, schicken wir Sie als Freundschaftsbeweis. Ich verspreche Ihnen, Québec wird sie aus den Socken hauen!"

Das hat es auch tatsächlich. Zuerst war ich so geschockt, dass ich wie in Trance aus dem Büro gestolpert bin und mich irgendwann mit zwei neuen Handtaschen in meinem Wohnheimzimmer wiedergefunden habe. Dann habe ich sämtliche hohe Tiere im Austauschbüro angerufen und versucht, mich doch noch nach Vancouver zu diskutieren, zu betteln, zu klagen. Ohne Erfolg. Schließlich wollte ich meinen Traum vom Auslandsstudium unter dem Ahornbaum schweren Herzens begraben, doch da kam mir etwas in die Quere. Meine Follower.

Wahnsinn, das sind dann ja halbe Franzosen und Französisch ist so sexy!, lautete der erste Kommentar unter meinem Blogeintrag, mit dem ich eigentlich auf mein Semester in Vancouver anstoßen wollte. Besonders wenn man sie nicht versteht!, antwortete ich in Gedanken und scrollte weiter, doch da war schon der nächste Fan. Ist doch viel cooler als Vancouver!, stand da ernsthaft. Nach Vancouver fahren alle, aber du entdeckst was Neues! Und so ging es weiter. Viele meiner Follower schienen einfach nicht zu verstehen, was für eine Katastrophe das war. Von der strahlenden Hippie-Metropole in ein verschlafenes Provinznest verbannt. Anstatt eines der besten Journalismus-Programme Nordamerikas in seinen Lebenslauf schreiben zu können nur ein Eintrag einer unbedeutenden 08/15 Uni im Nirgendwo. Die meisten Leute weltweit wussten bestimmt nicht mal, dass Québec überhaupt existiert. 

Mist, jetzt steckte ich gehörig in der Klemme. Zu allem Übel schrieben mir nun auch Unmengen an Menschen, wie sehr sie sich auf meine Erfahrungsberichte freuen, dass sie unbedingt wissen möchten, was eine kanadische Französin (auf klug: Frankokanadierin) so im Herbst trägt und ob die jungen Männer dort genauso verführerisch sind wie ihre europäischen Verwandten. Küssen die französisch (mit Zunge)? Gibt es beim ersten Date Croissants? Sind sie eine Mischung aus Gentleman und draufgängerischem Ice Hockey-Spieler? Vielleicht kannst du ja mal in den englischen Teil fahren und sie mit den Männern da vergleichen?

Letztendlich konnte ich es mir nicht leisten, meine aufkeimende Journalisten-Karriere im Sand verlaufen zu lassen, indem ich meine Follower enttäuschte und so sagte ich zu. Naja, sechs Monate würde ich wohl überstehen. Wenn da nicht das kleine Problem mit der Sprache wäre...

*

Verdammt, wo geht es denn nun zu den Zügen?

Schnaufend bleibe ich mit meinen beiden tonnenschweren Koffern vor einem Schild stehen und versuche zu entziffern, was da steht. Gar nicht so einfach, wenn man gerade acht Stunden lang in ein Flugzeug eingesperrt war und einem vor lauter Jetlag dauernd die Augen zufallen.

"Avez-vous besoin de l'aide?" 

Mmh? Was will der nette, alte Herr? Fragt er mich gerade, wo der Erste-Hilfe-Kasten hängt? "Äh, ich versteh nur Bahnhof, sorry!", entgegne ich in einem Mischmasch aus Franko-Englisch und spüre, wie meine Wangen brennen und ich knallrot anlaufe. Dieses Semester wird auf jeden Fall sehr peinlich, das steht schon mal fest.

"Ich wollte nur wissen, ob Sie Hilfe brauchen", antwortet der grauhaarige Herr mit den buschigen Augenbrauen nun auf Englisch und lächelt mich an.

Ah, Mist! Hätte ich in den Sommerferien nur Französisch-Vokabeln gepaukt anstatt am Pool zu liegen. "Ja, gerne. Ich suche den Bahnhof. Ich muss nach Québec Stadt!", sprudelt es in lupenreinem Englisch aus mir heraus. Na also. Wäre ich tatsächlich in Vancouver gelandet, wäre die Sprache sowas von kein Problem. Blödes Karma!

Mit der Hilfe des freundlichen Kanadiers, der glücklicherweise komplett bilingual ist, finde ich den Bahnhof dann tatsächlich und lasse mich gähnend in einen der Sitze fallen. Vier Stunden Zugfahrt, oh weia. Wäre ich doch nur ein paar Tage früher gekommen und hätte in Montréal übernachtet, aber nein, ich habe das kommende Semester so lange wie möglich verdrängt und reise erst am Wochenende vor dem Unistart an. Selbst schuld. Mal sehen, wie es in Québec Stadt so wird. Hoffentlich nicht zu öde, sonst langweilen sich meine Follower daheim vor ihren Bildschirmen ja zu Tode. 

Während der Zugfahrt nicke ich immer wieder ein, doch der Blick aus dem Fenster lässt mein Herz hüpfen. Das also ist das weite, abenteuerliche Kanada. Wiesen und Wälder ziehen vor meinen Augen vorbei und der Zug hält nur ungefähr jede Stunde einmal in einer größeren Stadt. Über Drummondville tuckern wir nach Québec Stadt und je näher wir der Stadt am St. Lorenzstrom kommen, umso schweißiger werden meine Hände und umso heftiger klopft mein Herz. Was ist bloß mit mir los? Eigentlich möchte ich doch gar nicht dort sein? Oder etwa doch?

Als der Zug schließlich anhält und ich mit meinem ganzen Gepäck (den zwei schon erwähnten Koffern, einem Rucksack und einer Handtasche, natürlich in meiner Lieblingsfarbe zitronengelb) aus der Wartehalle stolpere, hyperventiliere ich beinahe. Oh Gott, ich bin in Kanada. Alleine. Und um mich herum sprechen alle tatsächlich Französisch. Das ist nicht Montréal, wo man sich auch noch mit Englisch durchschlagen kann, das ist das Herzen Québecs. Wäre ich bei meiner Bewerbung doch nur ehrlich gewesen! Was mache ich, wenn der Abholdienst der Uni mich nicht findet? 

Ich unterdrücke die aufsteigende Panik in mir und zwinge mich, gleichmäßig zu atmen. Es wird alles gut werden. Wenn ich, Julie Baumüller, einmal eine berühmte Journalistin werden will, kann ich mich nicht für immer und ewig verstecken. Ich muss raus in die Welt.

Endlich bin ich da. Ein steinerner Bahnhof in der Abenddämmerung, ein kleiner Park vor seinen Toren und die Stille, die sich so sehr vom geschäftigen Treiben Montréals unterscheidet. "Bonjour, Québec!", murmle ich erschöpft und sinke neben meinen Koffern zu Boden. Das Abenteuer kann beginnen.

Oh Canada, die Community Ecke

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Werden Julies schlechte Französisch-Kenntnisse sie so richtig blamieren?

Hättet ihr Julie die gleichen Fragen über die jungen Männer in Québec gestellt wie ihre Follower? Französischer Gentleman oder nordamerikanischer Draufgänger-Typ, was erwartet Julie eurer Meinung nach?


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Verliebt in einen QuébécoisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt