15| Herzflattern im Indian Summer

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Kaum bin ich mit meinem Traummann zusammen, erstrahlt auch der Indian Summer in seiner vollen Blüte. Die Blätter wechseln ihre Farben und bringen mich in herbstliche Stimmung, während es langsam kälter wird und Soleil grummelnd in ihrer beeindruckenden Sammlung an schicken Schals wühlt.

Wie kann ich nur so ein Glück haben?, frage ich mich jeden Morgen, wenn ich mit Louis an der Uni treffe und ihn zur Begrüßung lächelnd küsse. Ich bin in einer wunderschönen Stadt, habe eine tolle Mitbewohnerin und den süßesten Freund der Welt. Selbst beim Uni Radio läuft es gut und dank meiner Nachhilfestunden mit Xavier macht auch mein Französisch Fortschritte. Klar, ich lerne auch dank Louis, aber ehrlich gesagt lenken seine strahlenden Augen und die Schmetterlinge in meinem Bauch mich zu sehr ab, als dass ich auf die richtige Grammatik achten könnte. Kennt ihr die Honeymoon-Phase in einer Beziehung? Die abschweifenden Gedanken, das Herzklopfen, die merkwürdige Leere, sobald man auch nur fünf Minuten vom anderen getrennt ist? Mich hat sie voll erwischt.

Außerdem ist Québec Stadt im Herbst, wenn die Bäume der Blätter sich bunt verfärben und die geschnitzten Kürbisse und Heuschrecken als Deko vor den Läden auftauchen die romantischste Stadt der Welt. Vergesst Paris, vergesst New York. Nur Québec Stadt hat diesen unvergleichlichen Charme aus Kleinstadt-Feeling und nordamerikanischer Thanksgiving Atmosphäre.

Vor dem Rathaus gibt es den ganzen Oktober lang eine kleine Kunstausstellung zu Halloween. Louis und ich schießen fröhlich Selfies neben Graf Dracula, bewundern kunstvoll gewebte Spinnennetze und gruseln uns vor besonders echt aussehenden Hexen mit Hakennasen. So laufen unsere Nachmittage mittlerweile meistens ab: Wir verbringen einfach Zeit miteinander und schlendern durch die Gegend, schauen Filme oder machen gemeinsam die Hausaufgaben, die Xavier mir nach jeder Nachhilfestunde in Französisch gibt. Das klingt nicht so spannend, aber für große Gesten ist es noch zu früh. Gerade das gefällt mir an unserer Beziehung, denn Louis und ich müssen nichts Instagram-würdiges unternehmen, um eine schöne Zeit zu haben.

Heute finden wir uns nach unserem kleinen Fotoshooting am Rathaus nach einem kleinen Einkaufsbummel durch die Gassen der Altstadt am Place Royal wieder. Seit der Stadtführung am Anfang des Semesters war ich nicht mehr hier, obwohl der Platz so wunderschön ist. Die steinernen Gebäude, die Blumenkästen an den Fenstern, die kleine Kirche und das Wandgemälde einer historischen Altstadt-Szene versetzen mich in ein Dorf im ländlichen Frankreich. Hätte man mir vor einem Jahr erzählt, dass es in Nordamerika einen so magischen Ort gibt, hätte ich es nicht geglaubt. All der Protz, die Weite und die Wolkenkratzer des restlichen Nordamerika sind hier ganz weit weg. Québec ist das Tor zu einer anderen Welt.

„Mir geht's so wie dir", vernehme ich plötzlich Louis Stimme neben mir und schließe hastig meinen Mund, der peinlicherweise offen steht. „Immer wenn ich hier bin, kann ich kaum glauben, wie wundervoll meine Heimat ist." Er errötet bis unter die Haarspitzen. Nanu, was ist denn jetzt los?

„Ich wollte dir aber eigentlich die Statue da drüben zeigen", fährt Louis fort und spielt mit den Fingern am Reißverschluss seiner Jacke. Irgendetwas an der Statue scheint ihn nervös zu machen.

„Okay, dann gehen wir zur Statue!", stimme ich zu und nehme Louis Hand. „Ist das nicht Louis XIV.?"

Als Louis nickt, schwillt mir vor Stolz die Brust. Ha, das habe ich mir von der Stadtführung gemerkt, obwohl ich eigentlich die ganze Zeit von Louis abgelenkt war. Vermutlich, weil Ludwig der XIV. auf Französisch den gleichen Namen trägt wie mein Louis. Louis und Louis. Fast wie Zwillinge.

„Der Sonnenkönig Louis XIV. hat sich sehr für Neufrankreich eingesetzt", erklärt Louis und dabei kommt wieder der Geschichtsstudent in ihm zum Vorschein. „Damals umfasste Neufrankreich aber nicht nur Québec, sondern erstreckte sich bis an den Golf von Mexiko. Louisiana gehörte auch dazu, das hat Louis, bescheiden wie er war, natürlich nach sich selbst benannt."

Verliebt in einen QuébécoisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt