12 | Nur Freunde

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„Hey, was machst du denn hier?" Eine schlauere Bemerkung fällt mir natürlich nicht ein. Sieht so aus, als ob ich neben meinem Lampenfieber auch noch an meiner Schlagfertigkeit arbeiten muss, sonst kann ich meine Karriere knicken.

„Mein Seminar wurde spontan abgesagt und ich dachte, ich schaue mal bei dir vorbei. Schließlich bekommt ihr doch heute die Ergebnisse des Einstufungstests, über den du dir Sorgen gemacht hast?"
Ach so, Louis erkundigt sich nur nach meinem Studium.

„Oh, danke. Den Einstufungstest hab ich tatsächlich versaut!", erkläre ich und fahre mir nervös durchs Haar. „Xavier wird mir Nachhilfeunterricht geben, dann wird das schon."

„Okay, das ist super!" Louis zögert einen Augenblick. „Tut mir leid, wenn ich dich auf der Party verletzt habe. Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir Freunde bleiben könnten. Meinst du, wir bekommen das hin?"

Ich denke einen Augenblick lang nach. Mit Louis nur befreundet zu sein, wäre ganz schön schwer. Aber es ist nicht so, als ob ich in Québec Stadt schon hunderte Freunde hätte, also könnte ich einen mehr gut gebrauchen. Wer weiß, vielleicht überlegt sich Louis das mit der Beziehung ja auch nochmal anders? Wenn er mich näher kennenlernt, wird er merken, dass eine Fernbeziehung kein Problem für mich wäre.

„Na gut, also Freunde", stimme ich deshalb zu und ringe mir ein Lächeln ab.

„Da bin ich erleichtert." Louis atmet auf. „Hast du Lust, dir morgen Nachmittag das Château Frontenac von innen anzusehen? Und danach könnten wir bei mir Poutine kochen, das ist die Leibspeise in Québec und sie schmeckt echt lecker."

Ich nicke. Himmel, ich bin zu romantisch. Gemeinsam auf Sightseeing Tour zu gehen und danach zu kochen hört sich wie das perfekte erste Date an. Nur, dass es jetzt keins ist, weil wir ja nur Freunde sind.

„Okay, dann treffen wir uns morgen nach den Vorlesungen an der Uni." Louis kratzt sich am Kopf und lehnt sich verlegen an die Wand. Anscheinend ist das Leben in der Friendzone für ihn auch nicht so einfach.

„Weißt du was? Gleich kommt Soleils absolute Lieblingssendung, die wir immer zusammen ansehen und ich bin schon spät dran", erlöse ich ihn deshalb und krame in meiner Tasche demonstrativ nach meinem Schlüssel. „Bis morgen, Louis!"

„Bis morgen!" Erleichtert sause ich die Treppe nach oben. Soleil muss mir unbedingt dabei helfen, mein Outfit für morgen zu planen. Zwar ist es kein offizielles Date, aber man weiß ja nie. Eine zurechtgemachte Julie hat eine höhere Chance auf einen zweiten Kuss als eine zerstrubbelte, soviel ist sicher.

*

„Normalerweise kommt man nur mit einer offiziellen Führung in die interessanten Räume, aber ich kenn da wen", erklärt Louis am nächsten Tag mit verschmitzter Mine, als wir endlich beim Chateau angekommen sind. „Mein Kumpel Arnold arbeitet manchmal an der Rezeption und von ihm habe ich die hier!" Er zieht mit einem Grinsen einen Schlüsselbund aus der Hosentasche. „Wir müssen uns nur unauffällig verhalten, damit uns die Touristen nicht hinterherlaufen!"

Kopfschüttelnd folge ich Louis zum Eingang des Luxushotels. Da hält man ihn für brav und angepasst und dann sowas. Ich find's jedenfalls fantastisch.

Wow! Schon die Eingangshalle macht dem Hotel alle Ehre. Mit dunklem Holz verkleidete Wände, ein blitzeblank geschrubbter Parkettboden und mannshohe Blumengestecke erwarten uns. Und die Kronleuchter erst!

Mit offenem Mund sehe ich mich um. Die antike Einrichtung versetzt uns zurück ins 19. Jahrhundert und die teuren Läden, in denen man von Mänteln über Parfüm und Handtaschen alle erdenklichen Luxusgüter kaufen kann, ziehen mich wie magisch an. Nicht, dass ich mir irgendwas davon leisten könnte. Schaufenstershopping macht allerdings auch Spaß.

Verliebt in einen QuébécoisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt