5 | In der Friendzone

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„Louis! Was machst du denn hier?" Kaum ist mir die Frage herausgerutscht, würde ich mir am liebsten einen Klaps auf den Hinterkopf verpassen. Louis studiert hier, was sollte er denn sonst in einem Unigebäude tun. Vermutlich hält er mich jetzt für komplett bescheuert.

„Natürlich Austauschstudentinnen vor gefährlichen Treppenstufen retten!", antwortet Louis schlagfertig und zieht mich demonstrativ einige Schritte von der Treppe weg.

Ich spüre, wie ich tomatenrot anlaufe.

„Sag mal, weshalb wolltest du denn so schnell aus der Uni weg? War die Einführungsvorlesung so schlimm?" Louis zieht die Augenbrauen hoch.

Ich schüttle den Kopf. „Die nicht, aber morgen findet mein Einstufungstest in Französisch statt. Das wird bestimmt eine Katastrophe!"

Louis mustert mich aufmerksam, woraufhin mir ein wohliger Schauer den Rücken hinunterläuft. Weiß er, welche Wirkung er auf Frauen hat, wenn er sie so ansieht?

„Dein Französisch ist nicht schlecht, aber wenn du dir Sorgen machst, können wir gerne einen Kaffee trinken und ein wenig üben!", schlägt er nun vor.

Träume ich oder hat mich gerade ein Superhottie zu einer Lernsession in ein Café eingeladen?

„Und ob ich mir Sorgen mache! Üben ist dringend nötig!", versichere ich Louis so hastig, dass es übereifrig wirkt. Die Feministin in mir verpasst sich selbst eine Ohrfeige, denn so begierig wie ich Louis ansehe, sollte keine unabhängige Frau einen Mann anstarren.

Louis reckt den Daumen nach oben. „Na dann wollen wir mal. Ich kenne ein gemütliches Café in der Altstadt. Hast du ein Übungsbuch dabei?"

Ich verneine, wobei ich mir wie ein unvorbereitetes Schulmädchen vorkomme. Man merkt, dass Louis in der Rolle des Lehrers aufgeht. Seine späteren Schüler und Schülerinnen haben wirklich Glück.

„Was soll's, Reden ist sowieso die beste Übung", winkt Louis ab und bietet mir seinen Arm an. „Damit unser Nachmittag im Café von keinem verstauchten Knöchel sabotiert wird!", erklärt er zwinkernd, was mich zum Lachen bringt. Eins muss man Louis lassen: Er weiß, wie man jemanden aufmuntert.

*

Louis Lieblingscafé liegt in einer schmalen Seitengasse in der Altstadt in der Nähe des Rathauses. Es ist schlicht mit Holzmöbeln, bunten Sitzpolstern und Topfpflanzen eingerichtet, doch wirkt sehr gemütlich. Ich bestelle bei der Bedienung einen Milchkaffee und Louis möchte „das Übliche", was darauf hindeutet, dass er häufig hierher kommt.

„Alle Zutaten hier stammen aus fairem und ökologischem Handel!", erklärt er mir stolz, während er einen Block aus seinem Rucksack kramt. „Nachhaltigkeit ist super wichtig, findest du nicht auch?"

Ich nicke und hoffe inständig, dass Louis nicht noch mehr tolle Eigenschaften hat. Sein gutes Aussehen, seine zuvorkommende Art und die Begeisterung für die Geschichte seiner Heimatprovinz reichen mehr als aus, um jede Frau mit gutem Geschmack um den Finger zu wickeln. Jetzt interessiert er sich auch noch für die Umwelt, was fast ein wenig zu viel des Guten ist. Irgendwelche negativen Seiten muss er doch

haben? Vielleicht räumt er nie auf oder verpetzt seine Nachbarn im Wohnheim, wenn sie zu laut Musik hören?

Louis sieht mich immer noch fragend an. Anstatt tagzuträumen sollte ich mich lieber auf unsere Unterhaltung konzentrieren, schließlich schulde ich ihm noch immer eine Antwort. „Oh, ja klar, ohne Nachhaltigkeit läuft gar nichts!", versichere ich schnell und schelte mich insgeheim für meine regelmäßigen Shoppingtrips in die Hamburger Innenstadt. Besser, ich erzähle Louis nicht die ganze Wahrheit über mich. Im Vergleich zu ihm bin ich ein Mensch mit ziemlich vielen Fehlern.

Verliebt in einen QuébécoisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt