Verliebt in einen Québécois

4| Lernen, Party oder Flirten

"Na, wie war deine Stadtführung?", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Ich schrecke auf und lasse beinahe den Teekessel fallen, den ich in der Hand halte. Blöde Tagträumerei!

"Super, sehr interessant!", antworte ich Soleil, die es sich nun am Tisch bequem macht und mich neugierig mustert. "Québec hat eine chaotische Vergangenheit, aber die alten Gebäude und das Château Frontenac sind wirklich schön."

"Na dann hat es sich ja gelohnt!" Soleil grinst, während ich uns beiden Tee einschenke. "Ich hab mir gedacht, dass die Stadt dir gefällt. Die meisten Austauschstudenten sind sauer, wenn ihre Uni sie ins spießige Québec schickt, aber nach einer Weile leben sich die meisten ein. Und es ist hier längst nicht so langweilig wie es aussieht, es gibt an der Uni richtig coole Partys! Aber das siehst du ja hoffentlich bald selbst."

Ich nicke und nehme ebenfalls Platz. Soll ich Soleil von Louis erzählen? Lieber nicht, schließlich habe ich sie ja gerade erst kennengelernt und über Jungs zu reden fühlt sich noch zu privat an. Wahrscheinlich sehe ich ihn sowieso nicht wieder, also sollte ich unsere Begegnung nicht an die große Glocke hängen. Ich will keine von den Mädels sein, die von einem Typen schwärmen, der sie schon nach fünf Minuten wieder vergessen hat. Warum erkundige ich mich stattdessen nicht nach den Partys? Ein wenig Spaß könnte ich gut gebrauchen, denn das Semester wird bestimmt anstrengend.

"Was sind das denn für Partys?", frage ich und ziehe die Augenbrauen hoch. Hoffentlich geht es da nicht nur ums Saufen. Versteht mich nicht falsch, ich liebe fruchtige Cocktails mit einem ordentlichen Schuss Alkohol, aber wenn alle komplett dicht sind, macht feiern auch keinen Spaß mehr. 

"Natürlich die Feiern der Sprachenstudenten!", ruft Soleil und klopft mit strahlenden Augen auf den Tisch. "So ein Physiker oder Elektrotechniker weiß doch nicht, wie man es krachen lässt, deshalb kommen alle zu uns. Wir bieten eine kreative Bühnendeko, die angesagtesten DJs und DJanes und die beste Stimmung an der ganzen Uni. Du musst unbedingt mit mir übermorgen Abend zur Semesteranfangsparty kommen! Das Motto lautet "Back to the jungle" und wir haben sogar einen Tarzan angeheuert, der eine Akrobatikeinlage in luftiger Höhe zeigt."

"Wow, ich bin beeindruckt!" Die Feier klingt super und so vergesse ich Louis im Handumdrehen, wenn ich ihm nicht während der Vorlesungen über den Weg laufe. "Du kannst auf mich zählen, danke für die Einladung!", versichere ich Soleil. "Morgen muss ich aber erstmal in die Uni. Die Einführungsvorlesungen beginnen um 9 Uhr morgens und ich wollte mir vorher noch die Fakultät anschauen."

"Du bist die fleißigste Austauschstudentin, die ich je getroffen habe!" Soleil grinst. "Die meisten sind zum Urlaub machen oder feiern hier. Letztes Jahr habe ich eine holländische Studentin kennengelernt, die einen ganzen Monat lang die Uni geschwänzt hat, um bis an die Westküste zu fahren. Und sie war nicht mal alleine, sie ist mit einem Typen aus Mexiko durchgebrannt. Lern also bloß nicht zu viel, ja? Ein Auslandssemester soll schließlich vor allem Spaß machen."

Ich nicke. Natürlich will ich hier eine gute Zeit verbringen, aber meine Karriere als Journalistin ist mir genauso wichtig. Ein Auslandsaufenthalt macht sich gut im Lebenslauf, auch wenn ich nicht in Vancouver gelandet bin. Und meine Heimatuni würde mir nie wieder ein Empfehlungsschreiben für ein cooles Praktikum geben, wenn ich einen Monat lang nicht in die Vorlesungen gehe. Wie schwer kann es schon sein, Party und Lernen unter einen Hut zu bekommen? Im schnuckeligen Québec werde ich schließlich nicht so leicht von hippen Cafés oder internationalen Kunstausstellungen abgelenkt wie in einer Metropole. Außer ich stolpere doch noch über einen gewissen, unwiderstehlichen Québécois. Halt, man rennt als moderne Frau keinen Typen nach. Die gibt es schließlich auch in Hamburg und hier in Kanada bin ich nur für ein paar Monate. Viel zu schade, um sie mit einem Mann zu vergeuden. Auch wenn er so gebildet ist wie Louis und ich mich jedes Mal aufs Neue in seinen Augen verlieren könnte.