Kapitel 4 (Adys POV)

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Es war schwer, ihn nicht zu beachten und einfach mein Essen zu essen. Besonders, wenn ich seine Blicke so genau auf mir spüren konnte. Selbst durch diese dämliche Sonnenbrille, die seine Augen verdeckte. Ich konnte nicht verstehen, wie ein Mensch nur so eine Präsenz haben konnte. Auch ohne ihn direkt anzusehen, spürte ich ihn deutlich.
Das Sandwich in meinem Mund schmeckte nach nichts und ich musste mich wirklich bemühen, es runterzukriegen. Wenn ich aber nicht wollte, dass der Mann wusste, dass ich ihn sehen konnte, musste ich mich so unauffällig wie möglich verhalten. So als wäre alles normal, wie immer.
„Willst du weiter so tun, als könntest du mich nicht sehen?“, ertönte eine dunkle melodische Stimme vom Sofa aus. Da niemand den Raum betreten hatte, war relativ klar, wer der Besitzer dieser Stimme war. So viel zum Thema nicht auf sich aufmerksam machen. Bestimmt hat er bereits im Gang gemerkt, dass ich ihn angesehen hatte. Egal, einfach weiter ignorieren. Nichts anmerken lassen.
Mir war nicht genau klar, wie er das gemacht hatte, aber plötzlich stand er mir am Tisch gegenüber, mit den Händen in den Hosentaschen und beugte sich zu mir runter. Es kostete, mich beinahe alles still dazusitzen. Sein Gesicht war meinem jetzt unangenehm nahe und mit zittrigen Händen nahm ich meinen Kaffee und trank einen Schluck.
„Wie süß du dir Mühe gibst mich zu ignorieren, aber das klappt nicht. Ich weiß das du mich hören kannst. Ich weiß das du mich sehen kannst. Also sieh mich an.“
Gegen Ende wurde seine Stimme immer sanfter und verführerischer und eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Ich wusste nicht, welchen Trick er anwendete, damit ich mich so fühlte, und ich würde es nicht an mich heranlassen. Jedenfalls hatte ich es mir fest vorgenommen. Dennoch konnte ich meine Augen nicht davon abhalten nach oben zu sehen, direkt in seine.
Noch nie in meinem Leben habe ich solche kristallblauen Augen gesehen. Seine schwarze Sonnenbrille war etwas auf seiner Nase nach unten gerutscht und wir starrten einander regelrecht an.
„Interessant“, murmelte er, während sein Blick meinen festhielt. „Du kannst mich tatsächlich sehen.“
Ich spürte, wie die Hitze in meine Wangen stieg und beeilte mich, Abstand zwischen uns zu bringen. Noch nie hatte ein Geist so mit mir besprochen und noch nie hatte mein Körper so auf einen reagiert. Noch nicht einmal auf einen Menschen. Auf niemanden.
Wahrscheinlich wollte mein Körper mir unterbewusst sagen, dass ich schon lange niemanden so nahe bei mir hatte. Jedenfalls nicht im echten Leben. Der Mann aus meinen Träumen war ein anderes Thema, mit dem ich mich bis jetzt nicht auseinandergesetzt hatte. Ich wusste, es war nicht normal und ich sofort einen Schlussstrich ziehen müssen. Jetzt stellte ich mir schon jemanden wie ihn bei der Arbeit vor.
Den Kopf schüttelnd packte ich mein Essen wieder ein und stand auf. Er war nicht echt. Bestimmt stellte sich mein übermüdeter Kopf einfach einen heißen Typen vor um mich von der Arbeit abzulenken. Ich sollte mir ein paar Tage frei nehmen, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Ich wollte nicht so enden wie meine Mutter, überfordert von den Geistern und den Dinge, die sie gesehen hatte. Liam hatte da immer mehr Glück gehabt. Mein Bruder war nie in der Lage gewesen die Geister zu sehen, obwohl er sie gespürt hatte. Vor allem die Dunklen. Deshalb war er auch immer überall. Das letzte Mal, als er hier in Woodstone war, war vor drei Jahren. Als Papa frisch ins Altersheim gekommen ist. Er und Papa hatten nie ein besonders gutes Verhältnis miteinander gehabt. Unsere Mutter hatte Harry kennengelernt, als sie mit mir schwanger war. Damals war Liam bereits fünf. Für ihn war Papa am Anfang irgendein Fremder gewesen, der plötzlich Teil seines Lebens geworden war. Für mich aber, war er immer da gewesen. Papa hatte sich immer große Mühe mit Liam und mir gegeben, aber mein Bruder war als Kind schon nicht einfach gewesen, geschweige denn als Teenager. Jetzt war er ein erwachsener Mann, reiste durch die Welt und erlebte neue Dinge, während ich in meiner Heimatstadt festsaß. Nicht, dass es hier besonders furchtbar war, so war es nicht. Nur hätte ich ebenfalls gerne mehr von der Welt gesehen. Mama wollte nie weit wegfahren, sie waren immer zufrieden, in ihrer Kleinstadt mit der Familie zu sein, und das war in Ordnung. Nur glaubte ich nicht, dass mir das reichen würde. Ich hatte keine wirkliche Familie mehr hier, außer Papa, und lebte alleine. Dating war bei mir nie sonderlich erfolgreich gewesen, auch wenn ich bereits mit James zusammen gewesen bin. Aber das war im College gewesen und schon eine Weile her. Wahrscheinlich stellte ich mir deshalb diesen Mann vor. Natürlich machte es mir meine besondere Fähigkeit auch nicht leichter jemanden zu finden. Wie sollte ich meinen Partner denn erklären, was ich sehen kann? Mama hatte es Papa nie gesagt. Es war immer ein Geheimnis zwischen uns Kindern und ihr gewesen. Das wollte ich für meine Zukunft nicht. Die Geister waren ein großer Teil meines Lebens und den wollte ich nicht vor meinem Partner verbergen.
Tief in meinen Gedanken versunken wollte ich den Raum wieder verlassen und mich an meine Arbeit machen, als sich die Tür mit einem Ruck öffnete. Vergebens mein Gleichgewicht zu halten stolperte ich nach hinten und landete auf meinem Arsch.
„Geht es dir gut?“
„Scheiße Ady, ich hab dich gar nicht gesehen,“, kam es gleichzeitig von zwei Seiten und blinzelnd sah ich zuerst zu Tür. James stand in der Tür und reichte mir mit zerknirschtem Blick die Hand. Ohne sie zu ergreifen, rappelte ich mich auf und winkte ab. „Alles gut, Dr. Hoffman, nichts passiert.“
Ich warf ihm ein flüchtiges Lächeln zu und sammelte meine sieben Sachen ein. Mir war schon klar, dass er es nicht mit Absicht tat, aber solche Unfälle passierten mir in seiner Gegenwart irgendwie ständig.
„Setzt dich doch noch mal hin, ich wollte gerade Pause machen.“
James warf mir eines seiner berühmten Herzschmelzlächeln zu, dass mich früher schwach gemacht hatten, aber jetzt ließ es mich kalt. Meinetwegen könnte er es sich sparen.
Ich spürte eine starke Präsenz hinter mir und gab mir Mühe, mich nicht danach umzudrehen. Mein Tagtraum stand wahrscheinlich hinter mir, aber ich würde nicht noch einmal den Fehler machen mit ihm zu interagieren. Besonders nicht vor Dr. Hoffman. Ich hatte mich damals von James getrennt, weil er Verdacht geschöpft hatte, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich hatte es ihm nicht sagen können. Das schlimmste wäre, auf Grund meiner Fähigkeiten irgendwann in der Psychiatrie zu landen.
„Meine Pause ist schon vorbei, tut mir leid. Aber ich wünsche dir einen guten Appetit!“, bevor Dr. Hoffman noch etwas antworten konnte, drängte ich mich an ihm vorbei in den Flur. Zwar hätte ich noch ein paar Minuten, aber die wollte ich auf jeden Fall nicht mit ihm verbringen.
Nach einem letzten Blick zur Tür wollte ich mich wieder Richtung Patienten begeben und hielt mitten in der Bewegung inne.
Der Mann stand wieder vor mir und sah zur Tür. Seine Stirn war gerunzelt, aber seine Mimik war sonst unverändert. Ich wollte nicht mit ihm reden, wirklich nicht, und ich sollte es auch nicht tun, aber ich war neugierig. Leider war mein Mund wieder schneller als mein Gehirn.
„Was?“, fragte ich ihn leise, während ich meinen Blick über den Flur wandern ließ.
Verdammt Adalyn hör auf mit ihm zu reden! Aber leider war es schon zu spät.
Ich konnte spüren, wie er mir wieder ins Gesicht sah und meine Wangen erhitzten sich. Jetzt wusste er mit Sicherheit, dass ich ihn sehen konnte, da konnte ich mich nicht mehr herausreden. Aber da er ohnehin nicht echt, sondern nur ein Tagtraum war, könnte ich auch mit ihm reden. Nur sollte es so unauffällig wie möglich geschehen. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und ging Richtung Abstellkammer, ohne ihn weiter zu beachten. Er würde mir sowieso folgen. Und ich hatte recht.
Sobald ich die Tür hinter mir schloss, schaltete ich das Licht an und drehte mich um. Dort stand er nun, lässig an die Wand gelehnt, mit verschränkten Armen und undurchschaubarer Miene. Seufzend ahmte ich seine Haltung nach und lehnte mich an die Tür.
„Also, was willst du von mir“, fragte ich ihn leise und versuchte, seine Augen durch dunkle Sonnenbrille zu erkennen. Ob ich sie einfach wegwünschen konnte?
Er sagte nichts und langsam wurde ich ungeduldig.
„Hör auf mit dem Scheiß. Ich habe noch Patienten um die ich mich kümmern muss und keine Zeit dafür. Entweder du spuckst aus, was du von mir willst oder du verschwindest wieder.“
Bei Geistern funktionierte das manchmal, aber er legte nur leicht den Kopf schief.
„Du hast Feuer, dass gefällt mir“, murmelte er leise und stieß sich von der Wand ab. „Es ist eigentlich ganz einfach. Ich brauche deine Hilfe, kleine Seherin. Sagt dir der Name Claire Malcom etwas?“
„Wer soll das sein?“
Nur weil ich in einer Kleinstadt lebte, hieß es noch lange nicht, dass ich jeden hier kannte.
„Claire Malcom ist eine Magierin, wie du. Du willst mir wirklich weißmachen, dass du sie nicht kennst?“
Jetzt war mir eindeutig klar, dass er mich verarschte. Das trockene Lachen, dass mir entwich, konnte ich nicht zurückhalten.
„Ich weiß nicht, wer du bist oder warum mein Hirn es für eine gute Idee hielt, dich zu kreieren, aber weder bin ich eine Magierin noch gibt es so etwas hier. Also verschwinde wieder dahin, wo du hergekommen bist.“
Ich machte eine Handbewegung und versuchte, ihn wegzuscheuchen, aber er zog nur eine Augenbraue hoch. Dann bewegte er sich so schnell, dass meine Augen nicht mehr hinterherkamen. Von einem Augenblick zum anderen stand er direkt vor mir und wieder war sein Gesicht meinem unglaublich nahe.
„Denkst du wirklich, dass du mich so einfach wieder loswerden wirst? Oh nein kleine Seherin, du solltest dich besser an meine Anwesenheit gewöhnen.“

THE CONTRACT - Du Gehörst MirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt